So richtig schwer trifft Kathy (Hong Chau) der Verlust ihrer Schwester nicht, schließlich hatten sie sich schon vor einer ganzen Weile entfremdet. Gesehen haben sie sich auch nicht mehr in der letzten Zeit. Ihr Plan lautet deshalb auch, mit ihrem Sohn Cody (Lucas Jaye) für ein paar Tage zum Haus der Verstorbenen zu fahren, dort Klarschiff zu machen und das Ganze anschließend zu verkaufen. Doch daraus wird nichts, als ihr bewusst wird, in welch schlechten Zustand das Haus ist: Es gibt keinen Strom, jedes Zimmer ist bis obenhin mit irgendwelchem Kram zugemüllt. Während Kathy nach und nach alles entrümpelt und wieder bewohnbar macht, freundet sich Cody mit dem älteren Kriegsveteranen Del (Brian Dennehy) an, der nebenan lebt …
Ein Problem, das keines ist
Die Geschichte klingt zunächst einmal nicht sonderlich originell: Ein alter Griesgram lernt ein Kind kennen und entdeckt dabei sein verloren geglaubtes Herz wieder. Solche Szenarien hat es mehr als genug gegeben. St. Vincent fängt fast deckungsgleich an. In beiden Filmen lernen eine alleinerziehende Mutter und ihr Sohn einen Kriegsveteranen kennen, der mit seinem grimmigen Gesicht keinen Zweifel daran lässt, dass man auf seinem Grundstück nichts zu suchen hat. Doch in Driveways kommt es anders. So muss Del nicht erst mühselig dazu überredet werden, mal nett zu sein. Er ist es von Anfang an und versucht die beiden von nebenan zu unterstützen. Es ist eher Kathy, die zunächst ein bisschen auf der Bremse steht.
Und auch ein anderer Punkt stellt sich als falsche Fährte heraus. Da es sich bei Mutter und Sohn um eine asienstämmige Familie handelt, die es in eine Kleinstadt verschlägt, wäre es naheliegend, dass es sich bei Driveways um ein Drama rund um das Thema provinziellen Rassismus handelt. Stimmt aber nicht. Tatsächlich war die Besetzung ursprünglich auch nicht an diese Ethnie geknüpft, da Regisseur Andrew Ahn nach seinem erfolgreichen Debüt Spa Night etwas anderes erzählen wollte. Später schlug er dann doch eine solche Familie vor, ohne dies jedoch groß im Drehbuch thematisieren zu wollen. Dann und wann schimmert die Herkunft zwar schon durch, gerade wenn es darum geht, dass die verstorbene Schwester nie Teil der Gemeinschaft wurde. Wie das gefeierte Minari – Wo wir Wurzeln schlagen, welches von einer in den USA lebenden koreanischen Familie erzählt, verzichtet der Film aber auf plumpe Anfeindungen.
Ruhig erzählt und wohltuend schön
Da dürften sich manche dann fragen: Wenn es nicht der grimmige Alte ist oder ländlicher Rassismus, was genau ist dann das Problem innerhalb des Filmes? Antwort: Es gibt keines. Zumindest nicht direkt. Problemfelder gibt es zwar schon. Da geht es mal um Geldmangel, an anderen Stellen um Einsamkeit, auch das Alter geht mit Schwierigkeiten einher. Doch aus keinem dieser Aspekte macht Driveways einen richtigen Knackpunkt, an dem alles festgemacht wird. Eine späte Zuspitzung, bei der es noch einmal richtig heftig wird, fehlt auch. Stattdessen erzählt der Film ganz leise von einer doppelten Annäherung. Die eine betrifft die Freundschaft zwischen Cody und Del, auch wenn die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben. Das andere ist, dass Kathy lernt, sich mit ihrer Vergangenheit und ihrer verstorbenen Schwester zu arrangieren.
Das wird nicht allen reichen. Tatsächlich bemängeln mache, der Film sei letztendlich irgendwie langweilig und ohne Aussage. Doch damit würde man dem Drama, welches auf der Berlinale 2019 Weltpremiere feierte, Unrecht tun. Tatsächlich ist Driveways ein sehr einfühlsames Werk über die Überwindung von Differenzen, über eine Freundschaft, deren Schönheit auch darin liegt, dass sie so unwahrscheinlich erscheint. Ahn betont in seinem zweiten Film das verbindende Element, erzählt eine zutiefst menschliche Geschichte, ohne sich dabei billigem Kitsch hingeben zu müssen. Das ist gerade in einer Zeit, in der sich alle gegenseitig an die Gurgel geben und über Konflikte definieren irgendwie wohltuend. Außerdem ist es ein zu Herzen gehendes Vermächtnis, welches der 2020 verstorbene Brian Dennehy (Aus Mangel an Beweisen) mit einer seiner letzten Rollen dem Publikum hinterlassen hat: ein Geschenk, das trotz bittersüßer Töne auf willkommene Weise Hoffnung spendet.
OT: „Driveways“
Land: USA
Jahr: 2019
Regie: Andrew Ahn
Drehbuch: Hannah Bos, Paul Thureen
Musik: Jay Wadley
Kamera: Ki Jin Kim
Besetzung: Hong Chau, Lucas Jaye, Brian Dennehy, Christine Ebersole
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Film Independent Spirit Awards | 2020 | Beste Hauptdarstellerin | Hong Chau | Nominierung |
Bestes Debüt-Drehbuch | Hannah Bos, Paul Thureen | Nominierung |
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