Für das Dienstmädchen Jane Fairchild (Odessa Young) ist der Muttertag gleich doppelt ein Grund zur Freude. Nicht nur dass Mr. (Colin Firth) und Mrs. Nivens (Olivia Colman), bei denen sie angestellt ist, ihr anlässlich der Feierlichkeiten den Tag freigegeben haben. Sie wird den Tag zudem mit Paul Sheringham (Josh O’Connor) verbringen, der ebenfalls der Oberschicht entstammt und mit dem sie seit einer Weile schon eine leidenschaftliche Affäre hat. Damit wird es zwar bald vorbei sein, schließlich ist seine Ehe mit Emma Hobday (Emma D’Arcy) bereits beschlossene Sache. Tatsächlich steht später noch seine eigene Verlobungsfeier an, für die er sich vorbereiten muss. Doch die Zeit davor wollen sie noch einmal miteinander verbringen und ungehemmt ihren Gefühlen nachgeben, während alle anderen ausgeflogen sind. Dabei ahnen die beiden nicht, dass dieser Tag ganz anders verlaufen wird, als sie sich das ausgemalt haben …
Zwei Welten begegnen sich
Ein bisschen seltsam erscheint einem die Entscheidung ja schon, Graham Swifts 2016 veröffentlichte Novelle Ein Festtag ausgerechnet von Eva Husson verfilmen zu lassen. Auf der einen Seite eine Geschichte, wie sie britischer nicht sein könnte und von Klassenunterschieden und steifen Gepflogenheiten in der englischen Upperclass berichtet. Auf der anderen Seite die Französin, die sich zuerst als Schauspielerin versuchte, bevor sie sich mit dem Erotikdrama Bang Gang als Regisseurin zu Wort meldete, in dem eine Gruppe Jugendlicher in wilden Sexpartys Freiheit und Selbstverwirklichung suchte. Das waren zwei Welten, die aufeinanderprallten und erst einmal wenig kompatibel erscheinen. Und doch zahlt sich der Coup aus, der gerade auch aus diesem Kontrast seine überraschende Stärke bezieht.
Genauer ist es Husson selbst, die uns zwei verschiedene Welten zeigt. In einer Parallelmontage folgen wir einerseits dem jungen Paar, das offiziell kein Paar sein darf und im Schutz der dicken Mauern seine Leidenschaften auslebt. Auf der anderen Seite haben wir die Feierlichkeiten, bei denen unter anderem die Nivens beteiligt sind. Ein Festtag ist hier in der offiziellen Welt unterwegs. Eine Welt, die nach außen hin Wert auf den Schein und die Sitten legt, bei der hinter den Kulissen aber vieles im Argen liegt. Die Geschichte spielt im Jahr 1924. Und auch wenn der Erste Weltkrieg zu dem Zeitpunkt bereits einige Jahre zurückliegt, so sind dessen Auswirkungen doch noch immer zu spüren, auch wenn nach außen hin alles ganz wunderbar wirken soll. Die Welt ist eine andere geworden und immer noch dabei sich zu ändern, während die feinen Leute krampfhaft an einer Ordnung und Vergangenheit festhalten, die es so nicht mehr gibt.
Impressionen abseits der Chronologie
Auch anderweitig bedient sich die Filmemacherin des Spiels mit den Zeiten. So springt sie zwischen mehreren Ebenen hin und her. Mal lässt sie uns an der Vorgeschichte des Paares teilhaben. Dann wieder sehen wir Jane in einer späteren Beziehung mit einem anderen Mann, der aus dem Nichts auftaucht. Und da wäre außerdem noch die deutlich ältere Jane, die zu einer erfolgreichen Schriftstellerin geworden ist. Anstatt aber diese einzelnen Schritte chronologisch aufeinanderfolgen zu lassen, da verschwimmen in Ein Festtag die Grenzen zwischen den Etappen. Das macht es gerade anfangs etwas kompliziert, dem Geschehen zu folgen. Das Drama, welches auf den Filmfestspielen von Cannes 2021 Weltpremiere hatte, ist eine impressionistische Veranschaulichung, wie Ereignisse sich gegenseitig bedingen und manche Punkte ein ganzes Leben beeinflussen – selbst wenn man sich in dem Moment dessen nicht bewusst sein sollte.
Konstant bleibt dabei die Leistung von Hauptdarstellerin Odessa Young (Assassination Nation). Die junge Australierin zeigt eine starke Leistung als Frau, die zwischen den Welten wandert, selbstbewusst und verloren zugleich. Eine Frau, die auf der Suche nach Antworten ist und diese zumindest später in ihrer Kunst zu finden hofft. Das Publikum wird diese eher nicht erhalten. Tatsächlich ist Ein Festtag einer dieser Filme, die kaum Handlung haben, keine Geschichte im traditionellen Sinn. Vielmehr ist das hier eine Mischung aus Momentaufnahmen und Zeitlosigkeit, aus sinnlichen Eindrücken und Gedanken, die sich zusammenfinden. Sehenswert ist das, sofern man eben damit leben kann, dass der Film mehr ein Erleben als wirkliches Erzählen ist. Husson nimmt uns mit auf eine Reise, die zwischen einer inneren und einer äußeren Welt wechselt und ein Gefühl feiert, das nie ganz greifbar wird.
OT: „Mothering Sunday“
Land: UK
Jahr: 2021
Regie: Eva Husson
Drehbuch: Alice Birch
Vorlage: Graham Swift
Musik: Morgan Kibby
Kamera: Jamie Ramsay
Besetzung: Odessa Young, Josh O’Connor, Olivia Colman, Colin Firth, Sope Dirisu
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