Als Anwalt einer renommierten Kanzlei in London ist es Mohandas Karamchand Gandhi (Ben Kingsley) gewohnt, immer in der ersten Klasse unterwegs zu sein. Umso größer ist sein Schock, als er bei einer Geschäftsreise nach Südafrika aus dieser geworfen wird, da dunkelhäutigen Menschen grundsätzlich nur eine Fahrt in der dritten Klasse zusteht – wenn überhaupt. Empört über diese rücksichtslose Behandlung und Beschimpfung beschließt der gebürtige Inder, sich für eine Gleichstellung seiner Landsleute einzusetzen. Schließlich seien sie alle Teil des britischen Empires und damit ebenbürtig. Bald schon legt er sich mit lokalen Behörden an, sehr zum Leidwesen seiner Frau Kasturba (Rohini Hattangadi). Dafür wird er von anderen gefeiert, auch die internationale Presse berichtet über ihn. Dabei steht ihm seine wichtigste Aufgabe noch bevor: die Unabhängigkeit Indiens. Mit gewaltfreiem Protest will er sein Land von der britischen Herrschaft befreien …
Der gewaltlose Freiheitskampf
An nationalen Helden und großen Freiheitskämpfern mangelt es in der Geschichte der Menschheit sicher nicht. Sie werden zudem gern in Erinnerung gehalten, da das Konzept eines Davids, der den großen Goliath besiegt, in so ziemlich jedem Kulturkreis gern genutzt wird. Doch in der Reihe dieser illustren Namen hat Mohandas Gandhi, der inzwischen hauptsächlich unter dem Ehrennamen Mahatma bekannt ist, eine Sonderrolle. Anders als so viele Kollegen, die mit Schwerter, Kanonen oder sonstigen Waffen für die Freiheit kämpften, da wählte er einen völlig gewaltlosen Ansatz. Er wollte seine Widersacher nicht niederschlagen, sondern anderweitig überzeugen – und sei es durch ebenso einfache wie effektive Methoden. So stößt selbst ein mächtiges Land wie England an seine Grenzen, wenn auf einmal ganz Indien die Arbeit niederlegt und nichts mehr geht.
Auch visuell hatte der Inder nur wenig mit denjenigen gemeinsam, wie wir sie aus solchen Heldenepen kennen. Ein kleiner schmächtiger Mann, der nur einfachste, von ihm selbst angefertigte Tücher trug, das entspricht nicht unserer Vorstellung davon, wie so jemand auszusehen hat, der ein ganzes Reich in die Knie zwang. Dabei sah Gandhi früher durchaus anders aus. Nach einer kurzen Einleitung, die das tödliche Attentat auf den Anführer zeigt, kehrt der gerade auch als Regisseur bekannte Richard Attenborough (Jurassic Park, Gesprengte Ketten) zu den Anfängen seines Protagonisten zurück. Der Kontrast ist groß zwischen dem stolzen Anwalt im feinen Anzug, der zu Beginn des Biopics aus der Eisenbahn geworfen wird, und dem gebrechlichen Greis, der mehr nach Bettler als nach Führungspersönlichkeit aussieht. Doch es war eben diese demütigende Erfahrung, die – zumindest dem Film zufolge – diese Wandlung auslöste.
Ausführlich, episch und doch nicht genug
Attenborough lässt sich auch viel Zeit, um diese Wandlung zu veranschaulichen. Mehr als drei Stunden dauert sein preisgekröntes Drama, welches 1983 gleich acht Oscars erhielt, darunter den für den besten Film. Das ist viel und doch gleichzeitig nicht genug, um eine Geschichte in allen Feinheiten zu erzählen, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt. Aber dessen war sich der Regisseur selbst bewusst, weshalb er seinem Werk die Anmerkung vorausschickt, dass er einem ganzen Leben nicht gerecht werden kann. Tatsächlich bleiben viele Informationen auf der Strecke, die Gandhi außerhalb seines Freiheitskampfes charakterisieren könnten. Über das, was vor Südafrika war, erfährt man nur Bruchstücke. Zudem wird er als Mensch etwas einseitig beschrieben und zu einem reinen Helden verklärt. Nur selten gibt es hier einmal Risse in der Fassade, darf Gandhi zu einem Wesen aus Fleisch und Blut werden, anstatt nur eine Heiligengestalt zu sein.
Dafür zeigt der Film an anderen Stellen Mut zur Ambivalenz. So gibt es hier nicht die übliche Zweiteilung, dass auf der einen Seite die schäbigen Unterdrücker sind und auf der anderen Seite die armen Opfer. Das macht bereits die Ermordung durch einen Landsmann deutlich, der mit der versöhnlichen Art Gandhis nichts anfangen konnte. Gewaltbereitschaft findet sich dann auch auf beiden Seiten. Da treffen westliche Journalisten und Richter, die den Aufrührer unterstützen, auf nationalistische Killer innerhalb der eigenen Reihen. Vor allem das schwierige Verhältnis zwischen Hindus und Muslimen spielt im weiteren Verlauf eine große Rolle. Gandhi, dem es gelungen war, die Engländer in ihre Schranken zu verweisen, scheiterte letztendlich an der Aufgabe, die beiden Bevölkerungsgruppen zu versöhnen. Er fand keine Antwort, die über seinen Fastenprotest hinausging. Der war zwar effektiv, aber keine echte Lösung. Mehrfach wird deutlich, wie gefährlich es ist, die Verantwortung nur auf seinen Schultern abzuladen.
Brillant gespieltes Porträt
Das ist brillant von Ben Kingsley (Hugo Cabret Schindlers Liste) gespielt. Der bis zu dem Zeitpunkt eher weniger bekannte Schauspieler war nicht unbedingt die erste Wahl, sicherte sich damit aber die Rolle seines Lebens. Es gelingt dem Briten, in seiner Darstellung der historischen Persönlichkeit Stärke und Sanftmut miteinander zu kombinieren. Aber auch drumherum gibt es jede Menge zu sehen. Bei der Ausstattung wurden keine Kosten und Mühen gescheut, allein die Begräbnisszene wurde mit einem Aufwand betrieben, wie man ihn heutzutage kaum noch in Filmen zu sehen bekommt. Gandhi hat dann auch durchaus etwas von einem Monumentalfilm, der gleichermaßen Porträt eines ungewöhnlichen Menschen wie auch einer Zeit ist. Das ist mehr als vierzig Jahre später noch immer sehr sehenswert und trotz der vergangenen Geschichte aktuell. Themengebiete wie Unterdrückung von Minderheiten, kolonialistisches Gedankengut oder religiöse Krisen sind heute nicht weniger vorhanden und bieten einem heutigen Publikum mehr als genügend Anknüpfungspunkte.
OT: „Gandhi“
Land: UK, Indien
Jahr: 1982
Regie: Richard Attenborough
Drehbuch: John Briley
Musik: Ravi Shankar, George Fenton
Kamera: Billy Williams, Ronnie Taylor
Besetzung: Ben Kingsley, Rohini Hattangadi, Roshan Seth, Pradeep Kumar, Saeed Jaffrey, Virendra Razdan, Candice Bergen, Edward Fox, Ian Charleson, Geraldine James
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