Joe Bell
© Leonine

Joe Bell

Inhalt / Kritik

Joe Bell
„Joe Bell“ // Deutschland-Start: 10. Dezember 2021 (DVD/Blu-ray)

Joe Bell (Mark Wahlberg) hat sich einiges vorgenommen: Er will von seiner Heimat Oregon bis ins weit entfernte New York gehen – und das zu Fuß! Dabei ist es weniger der Zielort, der ihn beschäftigt. Vielmehr hat er es sich zum Ziel gemacht, unterwegs mit den Menschen über das Thema Mobbing zu sprechen sowie die Gefahren, die damit einhergehen. Dafür hat er einen traurigen Anlass, ist doch sein eigener Sohn Jadin (Reid Miller) ein Mobbingopfer. Immer wieder wird dieser von anderen für seine Homosexualität verspottet oder auch dafür, dass er Mitglied des Cheerleader-Teams ist. Ein Junge macht sowas schließlich nicht. Auch Joe hat mit dieser Seite seines Sohnes Probleme und wird erst später lernen, wie wichtig Beistand in einer solchen Situation ist …

Massenfilm mit kontroversen Verschiebungen

Joe Bell ist ein Film, der einerseits sehr auf Konsens ausgelegt ist und einer möglichst breiten Gruppe gefallen möchte als Beitrag zu einem wichtigen Thema. Gleichzeitig ist er ein Film, an dem sich die Geister scheiden werden. Kontroverser Mainstream, wenn man so möchte und wie er vor einigen Jahren schon bei Green Book – Eine besondere Freundschaft zu sehr unterschiedlichen Reaktionen führte. Während viele den Einsatz gegen Rassismus toll fanden und es am Ende sogar für einen Oscar als bester Film reichte, schäumten andere vor Wut, wie hier ungeniert das White-Savior-Syndrom ausgepackt und der kultivierte schwarze Mann zur Nebenfigur in seiner eigenen Lebensgeschichte degradiert wurde. Dass die Geschichte, obwohl auf einer tatsächlichen Biografie basierend, auch noch in Teilen frei erfunden war, war die Krönung eines zwar unterhaltsamen, aber doch fragwürdigen Films.

Bei Joe Bell ist das zum Teil sehr ähnlich. Die erste Irritation ist bereits im Titel verborgen. Warum wird die Geschichte des Vaters eines Mobbingopfers erzählt und nicht die des Mobbingopfers selbst? Klar, aus marketingtechnischen Gründen ist das verständlich. Hollywoodstar Mark Wahlberg (Transformers: The Last Knight, Ted) ist nun einmal deutlich leichter zu verkaufen als Newcomer Reid Miller. Der hat zwar schon mehrere Dutzende Male vor der Kamera gestanden und sogar selbst Kurzfilme inszeniert. Doch die dürfte niemand kennen. Und selbst inhaltlich hat der Vater die „bessere“ Geschichte zu bieten. Mobbingopfer gibt es schließlich überall. Einen Mann, der durchs halbe Land läuft, um über Mobbing zu sprechen, das hat Nachrichtenwert – vor allem bei der Art und Weise, wie diese Odyssee endete.

Geschmacklos und emotional

Trotzdem, ein bisschen geschmacklos ist das neue Werk des mit einem Oscar ausgezeichneten Drehbuchduos Diana Ossana und Larry McMurtry (Brokeback Mountain) schon. Nicht allein, dass Jadin hier zu einem Objekt gemacht wird, über das geredet wird, das selbst aber nicht viel reden darf. Joe Bell greift zudem auf einen erzählerischen Kniff zurück, der auf einen gewissen Knalleffekt aus ist. Anstatt der Geschichte als solchen zu vertrauen und sich auf die Themen zu konzentrieren, wird da umständlich ein Überraschungsmoment konstruiert. Der verfehlt dafür seine Wirkung nicht. Wer die Geschichte nicht zufällig kennen sollte oder anderweitig ahnt, was Sache ist, wird an dieser Stelle betroffen auf den Bildschirm starren. Gleiches gilt für das Ende, welches einen emotional so sehr durch die Mangel nimmt, als wäre die Lebensgeschichte der Bells nur zu diesem Zweck geschrieben worden.

Dabei sind die besseren Momente eigentlich die leisen, in denen Joe Bell gar nicht den großen Eindruck sucht. Stark wird das Drama, welches auf dem Toronto International Film Festival 2020 Weltpremiere feierte, beispielsweise in den Szenen, in denen die Titelfigur sich der eigenen Versäumnisse bewusst wird. Die weite Reise nach New York ist nicht allein altruistischer Natur. Sicher will Bell aufklären, damit niemand das Schicksal seines Sohnes erleiden muss. Er sucht aber vor allem auch Absolution dafür, dass er kein besserer Vater war. Auch das ist eine erschreckend egozentrische Herangehensweise an ein universelles Thema. Aber es ist doch gut von Wahlberg gespielt, der selbst gerne dem hemdsärmeligen Macho-Klischee entspricht und hier eine seiner seltenen dramatischen Rollen übernimmt.

Wichtige Fragen

Ob der US-Amerikaner, der auch als Produzent an dem Film beteiligt war, diese Geschichte nun aus reinem Kalkül erzählt oder aus der tatsächlichen Erkenntnis heraus, wie kaputt da vieles in seinem Land ist, das sei mal dahingestellt. Wichtig ist die Nachricht so oder so. Joe Bell spricht zudem deutlich an, dass es nicht reicht, einfach an das Gute in den Menschen zu appellieren. Dass es nicht reicht, auf diejenigen zu bauen, die zu den Vorträgen Bells kommen. Es sind die anderen, die sich nicht dafür interessieren, die in Diners schäbige Witze reißen, die es zu erreichen gilt. Eine Antwort auf das Problem, wie diese Gräben zu überwinden sind, hat hier niemand, selbst wenn der Film so verkauft werden soll. Aber das macht es nicht verkehrt, diese Fragen zu stellen – selbst wenn der Kontext hierfür selbst fragwürdig ist.

Credits

OT: „Joe Bell“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Reinaldo Marcus Green
Drehbuch: Diana Ossana, Larry McMurtry
Musik: Antonio Pinto
Kamera: Jacques Jouffret
Besetzung: Mark Wahlberg, Reid Miller, Connie Britton

Bilder

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„Joe Bell“ folgt dem Vater eines Mobbingopfers während seiner langen Reise, die er zum Kampf gegen Mobbing nutzen will. Die Aussagen und Fragen des auf einer wahren Geschichte basierenden Dramas sind zweifelsfrei wichtig, dazu gibt es den einen oder anderen emotionalen Moment. Mindestens irritierend ist aber die fragwürdige Form, in der die Geschichte erzählt wird.
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