Ein Hauch von Amerika Jonas Nay
Jonas Nay als Kriegsrückkehrer in "Ein Hauch von Amerika" (© SWR/FFP New Media/Martin Valentin Menke)

Jonas Nay [Interview 2021]

In Ein Hauch von Amerika (ab 1. Dezember 2021 im Ersten) spielt Jonas Nay den Soldaten Siegfried, der einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrt und seine Heimat stark verändert vorfindet. Aber auch sich selbst erkennt der durch seine Erlebnisse stark traumatisierte junge Mann nicht wieder, was auch seiner Verlobten Marie (Elisa Schlott) nicht verborgen bleibt. Wir unterhalten uns mit dem Schauspieler über die Arbeit an der Serie, die Oper-Täter-Problematik und schauspielerische Kriegserfahrungen.

 

Was hat dich daran gereizt, bei Ein Hauch von Amerika mitzumachen?

Wie so oft, waren es letztendlich die Drehbücher, die für mich ausschlaggebend sind. Als ich an dem Casting teilgenommen habe, war das außerdem gleich unter Dror Zahavi, dem Regisseur von der Serie. Manchmal hat man auf Anhieb eine Symbiose bei der Zusammenarbeit, die einfach toll ist. Und das war hier der Fall. Damals war es so, dass die Figur des Siegfrieds noch viel radikaler war und eine Art Bürgerwehr hochgezogen hat. Ich habe damals eine ziemlich krasse Rede gehalten, die rechts und populistisch war. Ich erinnere mich noch, dass ich eine oder zwei Stunden lang mit Dror Zahavi darüber diskutiert habe, was Siegfried ausmacht und woran er sich festhält. Das fand ich so toll und einzigartig. Wir haben so lange an dieser Rede gebastelt, dass mir klar war: Mit dem will ich arbeiten.

Nachdem ihr so lang an ihm gearbeitet habt: Wie würdest du denn den Siegfried beschreiben, wie er am Ende in Ein Hauch von Amerika gezeigt wird?

Er ist auf jeden Fall ein ganz anderer Mensch als der, den wir nicht erleben. Er ist als Sohn eines Bauern groß geworden und hat sich in die Nachbarstochter Marie verliebt. Sie haben sich dann auch verlobt, bevor Siegfried an die Ostfront geschickt wurde. Dieser junge Siegfried muss ein sehr freiheitsliebender, lustiger, toller Mensch gewesen sein. Wir lernen ja auch Marie als eine wahnsinnig patente und tolle Frau kennen, die sich in diesen sechs Jahren, in denen Siegfried fort war, nicht so massiv verändert hat. Und ich denke, dass Siegfried auch ein solcher Charakter gewesen sein muss, schließlich war sie auch in ihn verliebt. Aber als er nach Jahren der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, ist er ein anderer geworden, ist völlig traumatisiert. Er bezeichnet sich selbst auch als Stein und meint, wer würde überhaupt nichts mehr fühlen. Er kommt an dieses eigene Ich nicht mehr heran, weil er diese Traumaschranke aufgebaut hat, um die ganzen Gräueltaten überleben zu können, die er erlebt und selbst begangen hat. Er hat diese Zeit an der Ostfront und in Gefangenschaft nur überlebt, indem er immer an Marie gedacht hat.

Auch wenn euer Siegfried nicht mehr die Radikalität des ersten Entwurfes hat, ein Held ist er nicht gerade. Er verhält sich teilweise schon richtig wie ein Arschloch. Würdest du ihn eher als Opfer oder als Täter ansehen?

Ich glaube, dass es genau diese Kategorien sind, die eine Aufarbeitung so schwer machen. Dieses Schwarzweiß-Denken, das auf der einen Seite die Opfer und auf der anderen Seite die Täter hat, das funktioniert einfach nicht. Er ist absolut ein Täter gewesen an der Front. Aber er war eben auch Opfer des Regimes. Er wollte nicht in den Krieg, musste aber, weil er eingezogen wurde. Und diese Dualität setzt sich nach dem Krieg fort. Er tritt innerhalb der Gesellschaft als Täter auf, ist aber gleichzeitig immer das Opfer seiner traumatischen Erlebnisse. Ich glaube, dass Ein Hauch von Amerika das sehr schön zeigt, wie solche Fragen offen bleiben. Siegfried, Marie und Erika haben dieses faschistische System nicht mitaufgebaut, sind aber darin aufgewachsen. Wie geht man mit dieser Generation um? Wie geht sie selbst damit um? Welche Schuld tragen sie? Wir zeigen in der Serie eine Gesellschaft, die mitten im Wandel ist, weg vom Faschismus zur Demokratie und zum Kapitalismus. Alle versuchen aus ihrem Korsett auszubrechen. Und Siegfried ist jemand, der in diesem Wandel feststeckt und dem es aufgrund seiner Erfahrungen unmöglich ist, sich selbst zu wandeln. Das macht ihn weder zum Opfer noch zum Täter. Aber du hast recht, in einigen Situation ist er ein absolutes Arschloch.

Ein Hauch von Amerika Jonas Nay
Tragische Geschichte in „Ein Hauch von Amerika“: Eigentlich hatten Siegfried (Jonas Nay) und Maries (Elisa Schlott) heiraten wollen. Doch dann kam der Krieg und alles wurde anders (© SWR/FFP New Media/Ben Knabe)

Wir sind beide zum Glück davor verschont geblieben, in einem Krieg mitmachen zu müssen. Denkst du, dass es überhaupt möglich ist, in einen Krieg zu ziehen, ohne dadurch ein anderer Mensch zu werden?

Ich habe mich in der Vorbereitung auf die Rolle viel mit heimkehrenden Soldaten auseinandergesetzt, zum Beispiel aus Afghanistan, habe mir Dokumentarfilme angeschaut oder Interviews. Bei fast allen Fällen, mit denen ich mich auseinandergesetzt habe, war es so, dass einen eine solche Erfahrung massiv in seinem Wesen verändert. Wir werden prinzipiell alle auf unsere Weise durch unseren Beruf und das, was wir tun, sozialisiert. Bei Soldaten, zumindest solchen, die in eine Kriegssituation eingebunden sind, ist das glaube ich so traumatisierend, dass es schon unmenschlich wäre, sich nicht dadurch zu verändern.

Ein Hauch von Amerika ist nicht das erste Mal, dass du in einem Kriegsumfeld mitspielst. Da gab es vorher zum Beispiel Persischstunden und Unser letzter Sommer. Ist für dich der Krieg durch deine Arbeit greifbar geworden oder ist er fremd geblieben?

Krieg ist mir nach wie vor etwas völlig Fremdes. Ich glaube auch, dass jeder Schauspieler, der behauptet, er könne sich da hineinfühlen, ohne jemals in Krieg gewesen zu sein, nimmt da den Mund zu voll. Ich bin in meinem Leben nie in einer auch nur annähernd so traumatisierenden Situation gewesen wie Siegfried oder allgemein Situationen, bei denen es um Leben und Tod geht. Ich kann letztendlich nur von dem Punkt ausgehen, bei dem ich sage: Ich entwerfe einen Charakter, der ein so schweres Trauma in sich trägt, dass ich vor allem den Kampf mit sich selbst inszeniere. Da gibt es schon Anknüpfpunkte, weil dieser Kampf mit sich selbst, das ist eine Erfahrung, die man auch außerhalb des Krieges machen kann. Und es bringt auch sicher etwas, wenn man solche Figuren mehrfach spielt. Aber es bleibt trotzdem so weit weg, dass irgendwann auch die Grenze des Schauspiels erreicht ist. Du kannst nur als Schauspieler dein Bestes geben und darauf bauen, dass in Zusammenarbeit mit dem ganzen Drumherum etwas Authentisches entsteht. Da gibt es zum Glück auch die Regie, du hast einen tollen Schnitt und eine Kamera. Und du hast die Musik, die sehr wichtig ist für die Stimmung.

Du hast eben gemeint, dass wir alle durch unseren Beruf auch sozialisiert werden. Wie sieht das bei dir aus? Inwiefern hat die Schauspielerei dich zu dem gemacht, der du bist?

Ich bin in der Hinsicht schon etwas schizophren. In meiner Selbstwahrnehmung und in meiner Passion war ich eigentlich immer Musiker. Ich habe schon früh angefangen Klavier zu spielen, war in einem Knabenchor, war auf einem Musikgymnasium, habe meine Band Pudeldame, bin mittlerweile als Filmmusiker tätig. Ich habe auch Musik studiert. Deswegen habe ich mich immer als Musiker verstanden. Gleichzeitig stecke ich so viel von meiner kreativen Arbeit in die Schauspielerei und ziehe so viel Inspiration aus dieser Erfahrung, dass sich mein Bild etwas gewandelt hat. Mein Horizont hat sich dadurch geweitet und ich brauche auch sehr viel mehr Horizont. Mittlerweile verstehe ich mich als Künstler, bei dem sich die einzelnen Teile gegenseitig bedingen. Und das finde ich sehr schön. Ich sehe es auch als ziemliches Privileg, bei den verschiedensten kreativen Prozessen dabei sein zu dürfen. Bei meiner Band bin ich von der ersten Minute an in diese Prozesse involviert und bin eine Art Performer. Als Schauspieler bin ich mehr der Interpret, weil da schon viel kreative Arbeit geleistet wurde durch die Drehbücher. Und wenn ich Filmmusik für andere mache bin ich Handwerker und Dienstleister. All das machen zu dürfen und auch noch Geld damit zu verdienen, das ist schon ein goldenes Los.

Und wie geht es weiter? Welche Projekte stehen bei mir an?

Ich habe zusammen mit Nikola Kastner eine Serie geschrieben, über die ich aber noch nichts sagen darf. Dann habe ich zwei Kinofilme gedreht. Das eine ist eine Verfilmung von Felicita Korns Roman Drei Leben lang. Das andere ist auch eine Buchverfilmung: Tausend Zeilen Lüge von Juan Moreno über den Fall des Spiegel-Reporters Claas Relotius, unter der Regie von Bully Herbig. Dann habe ich die Musik für die Serie Legal Affairs geschrieben mit Lavinia Wilson als Medienanwältin. Außerdem planen wir die nächste Tour mit der Pudeldame.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Jonas Nay wurde am 20. September 1990 in Lübeck geboren. Schon früh zeigte er gleichermaßen Interesse an Film und Musik, spielte in einer Schulband und war direkt nach dem Abitur in mehreren TV-Produktionen zu sehen, darunter der Serie 4 gegen Z und dem preisgekrönten Fernsehdrama Homevideo über einen Jungen, der von seinen Mitschülern wegen eines intimen Videos erpresst wird. Einem internationalen Publikum wurde er durch die Spionageserie Deutschland 83 bekannt. Gleichzeitig verfolgt er seine Musikkarriere, ließ sich zum Filmkomponisten ausbilden und ist Mitglied der Band Pudeldame, die aus seinem vorherigen Projekt Northern Lights hervorgegangen ist.



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