Der Alltag in den Pariser Banlieues kann ganz schön rau sein, wie Amélie (Mathilde Lamusse), Bintou (Suzy Kemba) und Morjana (Samarcande Saadi) nur allzu gut wissen. Nicht nur die Bandenkriminalität, auch Armut und Arbeitslosigkeit machen ihnen und ihren Familien zu schaffen, sodass neben der Musik auch das Sprayen von Graffiti für sie eine willkommene Abwechslung ist. Als sie wieder einmal in ihrem Versteck dabei sind, ein neues Kunstwerk zu vollenden, stößt Amélie auf ein altes Graffiti, welches von der marokkanischen Legende der Kandisha inspiriert ist. Diese geht zurück auf die Zeit der portugiesischen Eroberer, welche einer jungen Frau über mitspielten, sodass sie blutige Rache an ihnen nahm und später sogar als Dämon diese heimsuchte. Laut einem Aberglauben soll Kandishas Geist jeder Frau erscheinen, die ebenso Rache an einem Mann nehmen will und ihren Namen fünfmal in einen Spiegel sagt. Keiner der jungen Frauen glaubt an die Legende, doch nachdem Amélie auf dem Nachhauseweg von ihrem Exfreund fast vergewaltigt wurde, ist ihre Wut so groß, dass sie den Fluch daheim ausspricht.
Bereits am nächsten Tag hören die drei Freunde von Tod des jungen Mannes, der, wohl auf der Flucht vor einem unbekannten Verfolger, in ein heranfahrendes Auto rannte und letztlich verstarb. Da Amélie zudem geplagt wird von Visionen einer in einen langen schwarzen Schleier gehüllten Frau und sich wenig später noch andere seltsame Todesfälle unter ihren männlichen Freunden ereignen, kommt ihr wie auch Bintou und Morjana der Gedanke, dass hinter der Legende etwas mehr als nur eine unheimliche Geschichte verborgen ist. Nun müssen sie zusammenhalten, wenn sie den Fluch Kandishas stoppen wollen, deren Blutdurst kein Ende zu nehmen scheint.
Eine Kindheitserinnerung
Wie jede Kultur hat auch die marokkanische ihre Mythen und Legenden, von denen die der Aisha Quandisha eine von vielen ist. Bereits als Kind kam Filmemacher Alexandre Bustillo mit der Legende um den weiblichen Dämon in Kontakt, da er von dieser durch seine vielen marokkanischen Freunde hörte, welche großen Respekt und Angst vor deren Fluch hatten. Als er seinem Freund und Regiekollegen Julien Maury, mit dem er zusammen bereits Werke wie Inside, Among the Living und Livid inszeniert hatte, von der Legende erzählte, war auch er sofort Feuer und Flamme für die Idee, einen Film über den Stoff zu machen und ihn in das heutige Frankreich zu versetzen.
Bereits in ihren früheren Filmen zeigten sich Bustillo und Maury als Regisseure, die nicht nur ein Faible für starke weibliche Figuren haben, sondern zugleich ein Auge für das Milieu, in dem die Geschichte eines Filmes spielt. Während ihr erstes Werk Inside eine klaustrophobisches Kammerspiel war, das durch seine Figuren wie auch das Setting auf Themen wie die soziale Kluft und die Idee von Besitz in Frankreich verwies, fängt die Kamera Simon Rocas gleich zu Anfang das Panorama der Mietskasernen ein. Zwar versuchen die jungen Leute das Beste aus ihrer Situation zu machen, doch das omnipräsente Beton der Bauten sowie die erschlagende Realität von Armut und Verbrechen ergeben einen düsteren Ausblick auf ihre Zukunft. Die drei Heldinnen sind durch diese Wirklichkeit geprägt, aber haben zugleich beschlossen, sich nicht von ihr erdrücken zu lassen, was ihnen eine gewisse Stärke gibt, welche in den schauspielerischen Darstellungen der jungen Schauspielerinnen gut zum Tragen kommt, selbst wenn viele Aspekte ihres Lebens nur angerissen werden und überlagert werden von den Horrorfilm-Elementen der Handlung.
Die Mythen der alten Welt
Dabei ergibt sich immer wieder eine Art Widerspruch, der sich aus der Langlebigkeit einer so alten Legende in der heutigen Realität zeigt. Die Idee, die Todesfälle könnten mit dem Fluch in Verbindung stehen, wird bereits früh in den Plot integriert und von den drei Heldinnen ohne viel Aufhebens geglaubt, während ihre männlichen Kollegen viel zu sehr in andere Probleme verwickelt sind, um der als Hirngespinst abgetanen Geschichte Glauben zu schenken. Auch wenn die Entwicklung der Geschichte etwas holprig ist, erscheint die Idee, die Präsenz kultureller Subtexte wie Legenden in Graffiti zu finden, durchaus interessant und verleiht den drei Heldinnen in gewisser Weise eine Verbindung zu jener anderen Welt, aus der Kandisha kommt. Diese wird zu einer Art längerem Arm, der ihre Sorgen, Ängste und natürlich ihre Wut auslebt, was schon bald nicht mehr zu kontrollieren ist und von den Regisseuren in einigen recht brutalen Szenen gezeigt wird.
Ein weiteres Lob verdient jedoch eindeutig Mériem Sarolie, die als Dämon zu überzeugen weiß, was durch die Kameraarbeit Rocas sowie Kostüm und Spezialeffekte noch betont wird. Nur mit wenigen Gesten vermag sie der Legende von Kandisha Leben einzuhauchen und dem Zuschauer einen Eindruck davon zu vermitteln, warum die Kindheitsfreunde Bustillos mit so viel Ehrfurcht in der Stimme von jener Frauengestalt sprachen.
OT: „Kandisha“
Land: Frankreich
Jahr: 2020
Regie: Alexandre Bustillo, Julien Maury
Drehbuch: Alexandre Bustillo, Julien Maury
Musik: Raf Keunen
Kamera: Simon Roca
Besetzung: Mathilde Lamusse, Suzy Bemba, Samarcande Saadi, Mériem Sarolie, Waldi Afkir, Nassim lyes, Bakary Diombera, Félix Glaux-Delporto
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