Zurzeit hat ein Publikum mit Faible für Bergaufnahmen eine ganze Menge zu tun. Der Dokumentarfilm 14 Gipfel: Nichts ist unmöglich berichtet, wie Nirmal Purja in Rekordzeit sämtliche 8000er dieser Welt besteigen will. Dann nahm sich der auf einem Manga basierende Animationsfilm Gipfel der Götter der Faszination eines solches Aufstiegs an, veranschaulicht an der Geschichte mehrerer Männer. Nun folgt mit La Liste – Everything or Nothing bereits der dritte Film in kürzester Zeit, der in gewisser Weise das Ganze noch einmal toppen will. Anstatt nur auf die Berge zu steigen, wie es die Kollegen zuvor getan haben, sollen diese hier tatkräftig genutzt werden: zum Skifahren.
Skifahren, wo es sonst niemand tut
Genauer folgen wir den beiden Schweizern Jérémie Heitz und Sam Anthamatten um die Welt auf der Suche nach geeigneten Pisten. Wobei „geeignet“ da wirklich sehr im Auge des Betrachters liegt. Den beiden geht es eben nicht um die vorgefertigten und abgesicherten Skihänge, auf denen sich das gemeine Wintersportvolk so tummelt. Sie suchen eine Herausforderung abseits der Massen, wollen Orte entdecken, die tatsächlich noch unberührt sind, um diese dann zu erkunden – von ihren Brettern aus. Der Aufstieg an sich spielt im Gegensatz zu den oben genannten Filmen also keine Rolle. Vielmehr beschäftigt sich La Liste – Everything or Nothing mit dem Weg nach unten, zumindest Abschnitten hiervon. Die Berge sind auch nicht ganz so hoch, bei 6000 Metern ist dann doch irgendwann Schluss.
Regisseur Eric Crosland, der zuvor als Produzent so manche Berg-Doku begleitet hat – darunter etwa den Film Mountain – hat dennoch sehenswerte Bilder mitgebracht. Diese sind aber nur zum Teil den Abfahrten selbst entnommen. Diese rasanten Szenen sind nicht sehr zahlreich, oft auch eher kurz. Stattdessen sehen wir die beiden befreundeten Extremsportler, wie sie im Schnee stehen, teilweise auch an anderen Orten, während sie ihre nächsten Abenteuer planen. Denn geplant wird in La Liste – Everything or Nothing jede Menge, ein Muss bei einer solchen Beschäftigung. Auch wenn Freeskiing ein Gefühl von Freiheit vermittelt, wenn abseits der zivilisatorischen Einengungen Leute mitten durch ein abgelegenes Gebiet rasen: Es gibt durchaus Grenzen des Machbaren. Und die sollten im Idealfall natürlich vorher gefunden werden.
Abfahrt ohne Tiefgang
Tatsächlich wird zum Ende des Films unisono ausgesagt, dass das Skifahren ihnen zwar viel bedeutet, aber nicht mehr als das eigene Leben. Sie würden niemals ein zu großes Risiko eingehen, sondern im Zweifelsfall lieber auf das Abenteuer verzichten. Ob diese Aussagen nun tatsächlich der Wahrheit entsprechen oder reine Lippenbekenntnisse sind, das sei mal dahingestellt. Crosland hakt da nicht weiter nach. Bemerkenswert ist es aber, dass sich diese klaren Aussagen in der Dokumentation finden, da diese nicht mit dem Bild des Teufelskerls übereinstimmt. Auch an anderer Stelle zeigt sich La Liste – Everything or Nothing wenig kritisch: der Umweltaspekt. Dass das Skifahren nicht unbedingt dem Schutz der Umwelt förderlich ist, das ist kein Geheimnis. Das jetzt auch noch in der unberührten Natur zu machen, sollte zumindest hinterfragt werden. Aber das Thema wird komplett ausgeblendet. Hier wird die Liebe zur Natur nur mit Scheuklappen zelebriert.
Man muss sich daher damit abfinden können, dass La Liste – Everything or Nothing, wie so viele Dokumentarfilme in dem Bereich, eher oberflächlich ist. Zwar wird versucht, durch eine stärkere Einbeziehung der beiden Protagonisten mehr zu bieten als letztendlich nur atemberaubende Aufnahmen. Heitz und Anthamatten dürfen zwischendurch auch persönliche Geschichten erzählen und ihre Gedanken teilen. Aber an der Stelle darf man sich zu viel erwarten, es ist dann doch die Faszination der Berge, welche den Film bestimmt. Wer diese teilt, für den ist das hier auf jeden Fall sehenswert, eine schöne Mischung aus Idylle und Nervenkitzel. Zum Nachahmen ist das sicherlich weniger geeignet. Aber es reicht, um ein wenig zu träumen und selbst auszubrechen.
OT: „La Liste – Everything or Nothing“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Eric Crosland
Musik: Cory Hanson
Kamera: Dave Mossop, Leo Hoorn
Mitwirkende: Jérémie Heitz, Sam Anthamatten
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