Der Beruf des Kritikers bedarf in einer Zeit, in der ein Amazon-Kommentar oder eine zweizeilige „Besprechung“ auf Letterboxd als Kritik verkauft wird, einer Generalüberholung. Dabei ist es mitnichten so, dass es um eine Neudefinition geht, sondern viel eher darum, zu entdecken, was überhaupt eine Kritik ausmacht, welchen Nutzen man aus ihr nehmen kann als Leser oder eben warum man sie überhaupt schreibt. Vielleicht liegt es an Wort „Kritik“ an sich, dass diese Berufsgruppe ein negatives Ansehen hat, welche man mit Ideen wie Bevormundung assoziiert, wobei die Wahrheit ganz woanders liegt. Vielmehr geht es um ein ernsthaftes Interesse an der Kunst, um das Urteilsvermögen des Zuschauers oder Betrachters und nicht zuletzt darum, wie eine kulturell-intellektuell erfülltes Leben aussehen kann, sofern man ein solches anstrebt.
Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Biografie von Kritikern wie beispielsweise Marcel Reich-Ranicki die Verbindung von Leben und Kunst anstrebte, auch wenn die Verrisse des Literaturkritikers sowie seine Fehden mit Autoren und Kollegen für viele mehr im Fokus stehen. Doch vielleicht ist auch diese Schwerpunktsetzung ein Zeichen der Zeit, denn nichts vereinfacht die Perspektive mehr als der Fokus auf solche aus dem Kontext gerissenen Schlaglichter.
Vielleicht liegt der Grund in der Kultur des Landes an sich, doch gerade in den Vereinigten Staaten hat die Filmkritik einen ganz anderen Ruf als in anderen Teilen der Welt. Auch wenn das Medium seine Geburtsstunde keineswegs in der Traumfabrik hatte, so ist die Beschäftigung mit Film in der US-amerikanischen Kultur fest verankert und brachte eine ganze Reihe von Schauspielern, Regisseuren und eben auch Filmjournalisten hervor, von denen Kritiker Roger Ebert wohl einer der bekanntesten sein dürfte. Als 2002 bei ihm Krebs diagnostiziert wurde, welcher in den 2010er Jahren immer schlimmer wurde, begann Ebert an der Arbeit an seinen Memoiren Life Itself, welche die Grundlage für die gleichnamige Dokumentation von Regisseur Steve James (Hoop Dreams) lieferten, der vor dem Tod des Kritikers 2012 noch einige Male mit diesem sprechen durfte. Dabei ging es nicht nur um jene Filme, die Ebert begeisterten, sondern um seine Lust am Leben, an Geschichten und auf Abenteuer, was James ins Zentrum seines Projekts rückte.
Der Daumen geht nach oben
Dem weniger cinephilen Zuschauer wird der Namen Roger Ebert eher unbekannt sein, wohingegen Filmfans mit dem Namen nicht nur eine Handvoll Kritiken verbindet, sondern eine Stimme, welche, ähnlich wie Reich-Ranicki in Deutschland, den Diskurs über Kunst populär machte, auch wenn die Meinungen der Kritiker bisweilen umstritten waren. Mittels einer Vielzahl von Archivmaterialien und Interviews verfolgt James das Leben Eberts von seinen journalistischen Anfängen bis hin zu seiner Position als Filmkritiker bei der Chicago Sun-Times und schließlich seinen Erfolgen mit der Sendung Siskel & Ebert, die er zusammen mit seinem Kollegen Gene Siskel moderierte. Neben einigen seiner Kritiken und Meinungen sind auch andere Episoden aus Eberts Leben enthalten, wie beispielsweise seine Mitarbeit am Drehbuch von Blumen ohne Duft von Russ Meyer. James schafft einen Rundumblick zu einem Leben, der wie die Memoiren Eberts einer gewissen Struktur folgt, doch dem das Interesse an Kunst und Leben als Konstante in allen Kapiteln gleich bleibt.
Besonders erhellend und darüber hinaus auch für weniger filmbegeisterte Zuschauer interessant sind die Interviews mit Ebert an sich, welche, aufgrund dessen Gesundheitszustandes, schließlich per E-Mail weitergeführt werden müssen. Hier zeigt sich die Philosophie des Kritikers, dem der Diskurs wichtig war, der Wert einer Meinung und einer Diskussion, auch wenn dies oft Streitigkeiten mit sich brachte, wie seine Kollegen es immer wieder bestätigen.
OT: „Life Itself“
Land: USA
Jahr: 2014
Regie: Steve James
Musik: Joshua Abrams
Kamera: Dana Kupper
Sundance Film Festival 2014
Cannes 2014
Zurich Film Festival 2014
Filmfest Oldenburg 2014
International Film Festival Rotterdam 2015
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