Monte Verità – Der Rausch der Freiheit
Maresi Riegner in "Monte Verità – Der Rausch der Freiheit" (© DCM)

Maresi Riegner [Interview]

Nachwuchsschauspielerin Maresi Riegner (Jahrgang 1991) hat in ihrer kurzen Karriere schon einige Preise bekommen, darunter zwei Mal den Österreichischen Filmpreis sowie den Max-Ophüls-Preis. Im Drama Monte Verità – Der Rausch der Freiheit von Stefan Jäger spielt sie eine junge Mutter in Wien Anfang des 20. Jahrhunderts. Ihre Figur Hanna Leitner lebt in unglücklicher, erstickender Ehe mit einem wohlhabenden Fotografen. Aus der flieht sie auf den Monte Verità, zu einem Sanatorium im Tessin nahe Ascona. Sie findet dort keine traditionelle Heilanstalt, sondern eine alternative Lebensgemeinschaft, wo fleischlos lebende Nudisten im Jahr 1906 mit freier Liebe und anarchistisch angehauchten Ideen experimentieren. Diese Vorläufer der Hippies sind keine Erfindung, unter anderem hat sich dort der junge Hermann Hesse aufgehalten. Wir unterhalten uns anlässlich des Kinostarts am 16. Dezember 2021 mit der Schauspielerin.

 

Den Monte Verità, also den Wahrheitsberg, gibt es wirklich. Sie und das Team haben dort geprobt und gedreht. Wie haben Sie den Ort und die Landschaft empfunden?

Ich habe den Berg als einen Kraftort wahrgenommen. Wir sind viel spazieren gegangen und man kann richtig meditieren, wenn man durch die Wälder geht. Es wird dort auch Tee angebaut. Es ist ein magischer Ort, am auffälligsten war für mich die große Ruhe.

Regisseur Stefan Jäger betont, dass der Film so entstanden ist, wie die alternativen Aussteiger vor mehr als 100 Jahren auf dem Berg gelebt haben, nämlich als kollektive Vision. Wie muss man sich das vorstellen?

Die Hierarchie war sehr flach, jeder konnte seinen Beitrag an dem Film leisten, seine Ideen mit einfließen lassen, es war eine gemeinsame Vision, Stefan war sehr offen demgegenüber. Wir haben auch während der Dreharbeiten zusammengewohnt, in einem 500 Jahre alten Steinhaus in Matcha und dort zusammen gegessen und uns ausgetauscht.

Was hat Sie an der Rolle der Hanna Leitner fasziniert, als Sie das Drehbuch bekamen?

Bei einem Casting habe ich das Drehbuch zum ersten Mal gelesen. Ich fand die Figur sehr spannend, weil sie für mich eine sehr große Kraft hat, aber zugleich eine Zartheit und Sensibilität. Ihren Mut zu spielen und diese große Entwicklung, die sie durchlebt, war ebenso toll wie in diese historische Zeit zu gehen.

Es ist ja eine Zeit Anfangs des 20. Jahrhunderts, die heute kaum vorstellbar ist, vor allem, wenn man bedenkt, unter welchen Bedingungen Ihre Figur Ehefrau und Mutter wird. Sie hat schon zwei Töchter und ihr Mann vergewaltigt sie quasi, um auch noch einen Sohn zu bekommen. Sie lebt wie eine Dienerin, zum Gehorsam verdammt. Was hat Ihnen geholfen, sich in eine solche Lage hinein zu versetzen?

Für mich war es sehr hilfreich, dass Philipp Hauß, der meinen Mann spielt, mein ehemaliger Dozent an der Schauspieluni war. Ich kannte ihn bereits und hatte großes Vertrauen. Wir haben die „Vergewaltigungsszene“ wie eine Choreografie erarbeitet und waren sehr behutsam miteinander. Hinzu kam, dass die düsteren Räume am Wiener Drehort etwas Erdrückendes hatten. Es ging wie von selbst, dass man sich dort eng fühlte und eingeschnürt. Außerdem war ich jeden Morgen zwei Stunden in der Maske und mit dem Anziehen des engen Korsettkostüms beschäftigt. Da verwandelt man sich fast automatisch in eine bestimmte Figur, während es beim Drehort Monte Verità ganz anders war, viel freier und lockerer.

Ihre Figur wird dort in das komplette Gegenteil geworfen, nämlich in ein Experiment totaler Freiheit, zu vergleichen mit der Hippie-Kultur. Aber nun muss sie mit inneren Widerständen kämpfen. Was hindert Ihre Figur, auf einen Schlag alle Fesseln abzuwerfen?

Sie durchlebt einen Prozess: ein paar Schritt vorwärts, dann wieder zurück. Zunächst ist die Gemeinschaft auf dem Monte Verità ein großer Schock für sie. So etwas hat sie noch nie gesehen. Sie war ja immer eingesperrt gewesen hinter dicken Vorhängen in einer verstaubten Wohnung. Ich glaube, sie hat nun auch eine bisschen Angst vor ihrer eigenen Neugierde und der Kraft, die in ihr steckt. Dazu kommen die Gewissensbisse, weil sie ihre Kinder zurückgelassen hat. Es steckt tief in ihren Knochen, dass man seinem Mann dienen und die Rolle als Mutter einnehmen muss.

Hannas Mann nutzt das aus. Er nimmt ihr die Kinder weg und stellt sie vor die Alternative: entweder die Fotografie weiter verfolgen, die sie für sich als künstlerische Ausdrucksform auf dem Berg entdeckt, oder Mutter sein, aber nicht beides zugleich. Sie selbst können beides sein, Schauspielerin und Mutter. Wie empfinden Sie die Lage von Frauen, die auch heute noch ihre berufliche Leidenschaft wegen der Kinder zurückstellen oder ganz aufgeben müssen?

Ich bin sehr dankbar, dass ich beides verbinden kann, und das mit viel Unterstützung auch von einem wunderbaren Mann, der ein sehr vorbildlicher Vater ist. Wir teilen uns die Aufgabe 50 zu 50! Ich kenne aber auch Frauen, bei denen das ganz anders ist, vor allem allein erziehende Frauen, die eine enorme Doppelbelastung stemmen müssen. Ich meine, es sollte nicht vom Glück abhängen, ob eine Frau sich verwirklichen kann. Es hat sich viel verändert im Vergleich zu vorigen Generationen, aber wir sind noch nicht dort angekommen, wo man von Gleichberechtigung sprechen kann, weder in Bezug auf Gehalt noch auf andere Dinge. Das empfinde ich als große Ungerechtigkeit.

Können Sie verstehen, dass sich Hanna gegen ihre Kinder entscheidet?

Ich finde nicht, dass sie sich gegen ihre Kinder entscheidet. Sie beschließt, ihren eigenen Weg zu gehen und damit ihr Leben zu retten. Somit wird sie ihren Töchtern ein Vorbild, sich als Frau nicht unterzuordnen. Natürlich ist es nicht richtig, Kinder zurückzulassen, egal ob als Mann oder als Frau. Aber in diesem Fall glaube ich, sie wäre in dem Leben, das sie sonst hätte führen müssen, zugrunde gegangen. Es ist eine existenzielle Entscheidung.

Ihre Mitspieler verkörpern reale Personen. Sie konnten sich also ihre Charaktere über das Studium von Dokumenten aneignen. Ihr Charakter hingegen ist fiktiv, wenn auch nicht frei erfunden. Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

In der Vorbereitungszeit hatte ich regelmäßige Besprechungen mit dem Regisseur Stefan Jäger, auch über Zoom. Wir haben viel über Mutterschaft und Frausein in dieser Zeit gesprochen, aber auch über den Monte Verità und über Freiheit. Er hat mir außerdem Literatur darüber gegeben. Wir entwickelten ein enges und freundschaftliches Verhältnis. Außerdem hatte ich ein Schauspielcoaching bei Teresa Harder.

Warum ein Coaching?

Da ging es um eine Figurenaufstellung, in Anlehnung an das therapeutische Mittel der Familienaufstellung, aber mit den Figuren des Films. Das war sehr hilfreich, sich auch von dieser Seite noch einmal mit der Figur auseinander zu setzen und mit ihrem Verhältnis zu anderen. Dabei geht man alles erneut durch: Welche Fragen sich die Figur stellt, welche Entscheidungen sie trifft.

Seit 2019 sind Sie Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater. Mehr kann man in der deutschsprachigen Theaterwelt praktisch nicht erreichen. Trotzdem stehen Sie zudem für Film und Fernsehen vor der Kamera. Was reizt Sie daran, im Unterschied zum Theater?

Für mich ist beides wichtig und so wahnsinnig unterschiedlich, fast so, als wären es zwei unterschiedliche Berufe. Von beiden lerne ich sehr viel, auch handwerklich, in ganz unterschiedlicher Weise. Es ist ein anderer Prozess, ob man in einem intimeren Rahmen vor einer Kamera mit einem Kollegen steht oder auf einer großen Bühne vor tausend Zuschauern. Jedes Erlebnis hat seine Qualitäten, die ich beide unglaublich schön finde.

Gibt es eine Regisseurin oder einen Regisseur, mit der oder mit dem Sie unbedingt einmal drehen wollen?

Ich bin offen für alles, was kommt, habe aber keine konkreten Wünsche. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich bis jetzt hatte.

Welche bereits abgedrehten Filme mit Ihnen kommen demnächst in die Kinos oder ins Fernsehen?

Gerade habe ich Sisi und ich von Frauke Finsterwalder abgedreht, auch zwei Tatorte mit mir (München – Wunder gibt es immer wieder und Wien – Tor zur Hölle) kommen noch heraus und außerdem der Kinofilm Broll – Für immer tot von Harald Sicheritz.

Zur Person
Maresi Riegner studierte von 2013 bis 2017 Schauspiel an der „Konservatorium Wien Privatuniversität“ (seit November 2015 „Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien“). Ihr Filmdebüt gab sie 2012 in Endlich Weltuntergang von Regisseurin Barbara Gräftner, 2013 war sie in Bad Fucking von Harald Sicheritz zu sehen. Im Drama Uns geht es gut von Henri Steinmetz hatte sie ihre erste Hauptrolle. 2020 wurde sie mit dem Max Ophüls Preis „Bester Schauspielnachwuchs“ für ihre Rolle in Irgendwann ist auch mal gut von Christian Werner ausgezeichnet. Seit 2019 ist sie festes Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater.



(Anzeige)