Reist man in ein fremdes Land, besonders eines, dessen Küstenregionen gesäumt sind von einer schier endlosen Schlange von Hotelanlagen, Restaurants und Bars, bekommt man ein rein touristisches Bild einer Kultur. Während man die kühle Luft des Air-Conditioning einatmet und vielleicht noch einen Blick auf den Reiseführer wirft oder das Handy, bekommt man vielleicht nur einen winzigen Eindruck über die wirklichen Zustände in einem Land, oder bisweilen den wahren Preis dieses Luxus, den man sich einmal oder mehrfach im Jahr gönnt. Nicht nur durch die Tourismusindustrie, sondern auch durch die steigende Urbanisierung, das Auslagern von Produktionszweigen wie auch der Globalisierung als solcher steigt auf der einen Seite der Konsum und die Wirtschaftskraft eines Landes, doch genauso das Maß an Verschwendung und des Abfalls. Dieser mehrt sich gewiss und muss naturgemäß gelagert werden, was bisweilen in einem Land, welches von Korruption, Bürokratie und Vetternwirtschaft geprägt ist, mit fatalen Folgen für Mensch und Natur einhergeht. Dabei ist es nicht nur der Müll der Bewohner des Landes, der auf zahlreichen Deponien lagert und vor sich hin fault, sondern ebenso unserer, denn das Geschäft mit dem Müll ist besonders für die illegalen Elemente eines Landes sehr lukrativ.
Das türkische Dorf Çamburnu liegt zwar noch einige Kilometer entfernt von der Küste, dennoch ist es eines der Gebiete des Landes, welches von der fatalen Umweltpolitik des Systems Erdogan besonders betroffen ist. Noch während er an seinem Film Auf der anderen Seite arbeitete, kam der deutsche Regisseur Fatih Akin (Gegen die Wand, Soul Kitchen, Der Goldene Handschuh) zu dem Dorf, inspiriert von der Lektüre der Bob Dylan-Biografie Chronicles, wie er in Interviews sagt, und war zum einen verblüfft von der Schönheit des Ortes, aber genauso von den Plänen der Regierung, ausgerechnet in der Nähe des Dorfes eine Mülldeponie zu bauen. Da seine Familie mit dem Ort und der Region verwurzelt ist, beschloss Akin, das Ende von Auf der anderen Seite dort spielen zu lassen und wenig später einen Dokumentarfilm über das umstrittene Projekt der Deponie sowie die Demonstrationen der Dorfbewohner gegen diese zu drehen.
Was die Erde alles regelt
Wie schon in seiner Dokumentation Crossing The Bridge – The Sound of Istanbul lässt sich Akin von den Geschichten den Menschen leiten, die er für den Film interviewt. Dadurch erhält der Zuschauer nicht nur einen Überblick über die Ereignisse sowie deren Chronologie, sondern zugleich einen Eindruck von jenem politischen Klüngel, gegen den sich die Bewohner des Dorfes sowie deren gewählte Vertreter wehren wollen. Ihr Antagonist bleibt anonym, erscheint wie ein unsichtbarer Goliath, der sich hinter Anordnungen, Gerichtsverfahren und natürlich Anwälten und Polizisten verbirgt, welche die politischen Machenschaften in die Tat umsetzen. Über die Interviews und die Bilder ergeben sich teils hanebüchene Geschichten, beispielsweise vom Bürgermeister, der vom Staat wegen der Erfüllung seiner Pflicht, dem Wahrnehmen der Bedürfnisse der Dorfbewohner, angeklagt wird in einem aufsehenerregenden Schauprozess.
Jedoch geht es nicht nur um die Deponie an sich – ein Projekt, dessen bauliche und planerische Mängel bereits früh bekannt werden. Neben der Kluft zwischen der Politik der Stadt und der des Landes werden auch Strukturen offenbar, die von Vertuschung bis zur Einschüchterung gehen. Während das Dorf schon bald unter dem Gestank des Mülls leidet und junge Menschen erwägen, wegzuziehen, wird man Zeuge einer Führung über die Müllanlage, des angrenzenden Klärbeckens und der Berge von Abfall, in deren Verlauf eine Schülerin es wagt, den Ausführungen des Fremdenführers zu widersprechen, der davon erzählt, Kohlendioxid sei auch in großen Mengen nicht schädlich für die Natur und den Planeten. Der Widerspruch gegen das Narrativ der Regierung, der Satz „Die Erde regelt das schon“, definiert eine Politik, die keinen Widerspruch duldet und die ein sehr gefährlicher Gegner sein kann.
OT: „Müll im Garten Eden“
Land: Deutschland
Jahr: 2012
Regie: Fatih Akin
Drehbuch: Fatih Akin
Musik: Alexander Hacke
Kamera: Hervé Dieu
Cannes 2012
Filmfest Hamburg 2012
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