Max (August Diehl) irrt 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch Deutschland. Als Jude wurde er im Konzentrationslager beinahe zu Tode gequält, jetzt sucht er nach seiner Frau Ruth und Sohn Benjamin. Irgendwann trifft er auf die jüdische Brigade innerhalb der britischen Armee und deren Kommandanten Michael (Michael Aloni). Der will ihm helfen, nach Palästina auszuwandern. Aber zuvor weiht er ihn noch in die geheimen Racheakte der Truppe ein. Michaels Männer spüren SS-Leute auf und erschießen sie. Noch radikaler ist die Untergrundorganisation Nakam. Sie will Vergeltung für das gesamte deutsche Volk, auch für die Mitläufer und Duckmäuser. Als die Brigade aus Deutschland abgezogen und nach Belgien verlegt werden soll, sucht der zunächst zögerliche Holocaust-Überlebende Max den Kontakt zu der äußerst radikalen Nakam-Zelle in Nürnberg.
Rohe Gewalt der Unbelehrbaren
Ein Haus auf dem Land. Ein Mann steht draußen im Garten, abgemagert, schmutzig, verzweifelt. Hier hat Max, der zerlumpte Heimkehrer, einst gewohnt. Aber jetzt leben dort seine früheren Nachbarn. Der neue Besitzer nimmt gleich das Gewehr in die Hand, als er Max, der bejammernswerten Gestalt, entgegentritt. „Warum hast du uns verraten“, will Max wissen. Und was mit Ruth und Benjamin geschehen ist. Aber der Mann mit dem Gewehr kennt nur eine einzige Antwort, auch jetzt, als Deutschland längst von den Alliierten besetzt ist: rohe Gewalt. Er schlägt dem Heimkehrer den Gewehrkolben ins Gesicht und droht: „Glaub’ nur nicht, dass wir keine Juden mehr töten können, nur weil der Krieg vorbei ist“.
Die Szene ist zentral für den Film, der ein äußerst heikles Thema anfasst. Sie etabliert die Identifikation mit Max, dem Opfer, das sich anschickt, zurückzuschlagen. Die israelischen Regiebrüder Doron und Yoav Paz (Golem – Wiedergebut) erzählen die reale Geschichte der Racheorganisation Nakam anhand der Figur von Max, schlüpfen in seine Haut, teilen seine Gefühle. Das ist der eine Pfeiler des Nachkriegsdramas. Der andere besteht in der Frage, die zum Beginn aus dem Off gestellt wird und es auch in den deutschen Verleihtitel geschafft hat: „Was würdest du tun?“ Die direkte Ansprache des Publikums bricht mit der filmischen Illusion und umkreist ein moralisches Dilemma, das zum Nachdenken auffordert. Aufgrund der ausgewogenen Pfeilerkonstruktion gewinnen Gefühl und Verstand im Film dieselbe Relevanz, auch wenn sie sich widersprechen. Das Gefühl will Rache und der Verstand weiß, dass das nie eine gute Idee ist.
Dies vorausgeschickt, muss man jetzt endlich erzählen, worum es konkret geht. Die historische Organisation Nakam (auf Deutsch: Rache) wollte mit ihrem Plan A sechs Millionen Deutsche auslöschen, als Vergeltung für sechs Millionen ermordete Juden. Die Untergrundzellen hatten vor, das Trinkwasser in mehreren deutschen Großstädten zu vergiften. Noch immer ist die Geschichte von Nakam in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, obwohl sie seit den 1990er Jahren in Zeitungsartikeln aufgegriffen wird. Auch die Regisseure Doron und Yoav Paz, die in Israel aufgewachsen sind, haben vor ihrer Recherche nie davon gehört. Die Gründe sind kaum verwunderlich. Was hätte die Weltöffentlichkeit dazu gesagt, wenn Teile des israelischen Volkes, das 1945 noch über keinen eigenen Staat verfügte, nach dem alttestamentarischen Prinzip „Auge um Auge“ gehandelt hätten? Den Brüdern Paz ist es dennoch wichtig, das Thema nicht länger unter den Teppich zu kehren und der Organisation „Nakam“ einen würdigen Platz in der Geschichte zu verschaffen.
Gründlich recherchiert
In einem riskanten Drahtseilakt verknüpfen die Brüder, die auch das Drehbuch gemeinsam geschrieben haben, die Spannungselemente des Thrillers mit nachdenklichen, fast poetischen Momenten. Die unverbrauchten Bilder von Kameramann Moshe Mishali wollen spürbar ein möglichst großes Publikum fesseln, aber sie driften nicht in die klassischen Muster des Revenge-Genres ab – und schon gar nicht in die moralisch unbeleckte Überspitzung von Quentin Tatarantinos Inglourious Basterds (2012), der die jüdische Rache nicht auf historische Fakten baut, sondern munter drauflos fantasiert.
Ob die Gratwanderung zwischen emotionalisierendem Kino und moralischer Reflexion überzeugt, ist auch von der ethischen Grundeinstellungen des Zuschauers abhängig. Sie wird daher kontrovers ausfallen. Auf alle Fälle aber entfaltet das Nachkriegsdrama eine große Wucht, ohne vordergründig belehren zu wollen. Die Debatten, die der Film aufgrund seines Themas wohl auslösen wird, hat er sich redlich verdient: durch gründliche Recherche und große Sorgfalt bei der Suche nach dem richtigen Ton. August Diehl und Sylvia Hoeks in der Rolle seiner Kampfgefährtin Ana schlüpfen tief unter die Haut ihrer Figuren, um eine aus heutiger Sicht unvorstellbare seelische Not verständlich zu machen.
OT: „Tochnit Aleph – Plan A“
Land: Deutschland, Israel
Jahr: 2020
Regie: Doron Paz, Yoav Paz
Drehbuch: Doron Paz, Yoav Paz
Musik: Tal Yardeni
Kamera: Moshe Mishali
Besetzung: August Diehl, Sylvia Hoeks, Michael Aloni, Nikolai Kinski, Milton Welsh, Oz Zehavi
Wie hat er sich auf diese Rolle vorbereitet? Und kann er den moralischen Zwiespalt verstehen? Diese und weitere Fragen stellen wir Hauptdarsteller August Diehl in unserem Interview zu Plan A – Was würdest du tun?
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