Procession Netflix
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Procession

Hier steht ein ungewöhnlicher Ansatz zur Traumabewältigung im Mittelpunkt. Das schauspielerische Aufführen und Wiedererleben der Missbrauchstaten und ihrer Umstände ermöglicht den Opfern eine intensive Auseinandersetzung mit ihren Traumata und gibt den Zuschauern interessante Einblicke in die Gefühlswelt der Opfer.
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Inhalt / Kritik

Procession Netflix
„Procession“ // Deutschland-Start: 19. November 2021 (Netflix)

Sechs Männer tun sich zusammen, um gemeinsam traumatische Erlebnisse aus ihrer Kindheit aufzuarbeiten: Die Netflix-Doku Procession erzählt die Geschichte einer Gruppe von Opfern sexuellen Missbrauchs durch die katholische Kirche. Die sechs US-Amerikaner, die sich zusammengefunden haben, nachdem sie alle mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit getreten sind, haben nur geringe Chancen auf juristische Erfolge im Kampf gegen ihre Peiniger. Die bürokratischen Hürden sind groß, von der Kirche kommen nur leere Phrasen und allgemeine Entschuldigungen und die Taten sind zum Großteil sowieso bereits verjährt. Doch Gerechtigkeit vor dem Gesetz ist nur ein Teil der Aufarbeitung des Erlebten; die Dokumentation von Robert Greene konzentriert sich auf etwas anderes: die emotionale und psychische Aufarbeitung der Erlebnisse durch die Opfer. Dazu arbeiten diese mit einer ausgebildeten Dramatherapeutin zusammen, die ihnen hilft, sich auf kreative Weise mit den Erinnerungen auseinanderzusetzen. Gemeinsam arbeitet die Gruppe an mehreren Kurzfilmen, in denen die Männer die Jahrzehnte zurückliegenden Ereignisse noch einmal durchspielen, den Tätern selbstbewusst gegenübertreten oder sich ihren Albträumen stellen.

Gemeinsam erlittenes Leid

Zu Beginn des Films wird neben den sechs Protagonisten und der Therapeutin auch eine Anwältin vorgestellt, die die Männer vertritt. Tatsächlich kommt sie – ebenso wie die Dramatherapeutin – im weiteren Verlauf des Films jedoch kaum vor. Procession konzentriert sich voll und ganz auf die Interaktionen der Männer, die alle in ihren Fünfzigern und Sechzigern sind und die wohl nur deshalb verstehen können, was die jeweils anderen fühlen, weil jeder von ihnen dasselbe durchgemacht hat. Sie erzählen hier, wie der Missbrauch ihr Leben beeinflusst hat und welche Strategien sie anwenden, um trotz dieses schrecklichen Punktes in ihrer Vergangenheit im Alltag zu funktionieren. Dabei scheut der Film auch nicht davor zurück, die Namen der Täter zu nennen.

Obwohl die Sechs sich in ihrer Persönlichkeit teils stark unterscheiden, zeigt der Film sie als eng miteinander vertraute Persönlichkeiten, die sich gegenseitig emotional stützen. Wie eine Gruppe erwachsener Männer hier so offen und ehrlich mit ihren Emotionen umgeht, ist schön anzusehen, wenn auch der Anlass dazu natürlich ein trauriger ist. Diese Gespräche sind aber wie erwähnt nur ein Teil der Aufarbeitung der Erlebnisse, denn die Therapie geht noch weiter. Ermutigt durch die Therapeutin beginnen die Männer, ihre Geschichten aufzuschreiben, Drehbücher anzufertigen und sich zu überlegen, wie man daraus Kurzfilme machen kann. Dieses Vorhaben bringt es automatisch mit sich, wieder tief in die Erinnerungen steigen zu müssen. Es müssen Kostüme besorgt, Drehorte gesucht und Rollen gecastet werden. Immer wieder spielen einige Mitglieder der Gruppe auch die Täterrollen in den Filmen der anderen, was der Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen sicher einige neue Aspekte hinzufügt.

Auseinandersetzung mit dem eigenen Trauma

Das Ziel dieser mit einigem Aufwand betriebenen kreativen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit wird zwar nie konkret im Film erwähnt, wird aber in den Interaktionen der Gruppe deutlich: endlich wieder Macht über die eigene Lebensgeschichte zu erlangen, sich nicht mehr nur als Opfer zu fühlen, sondern die Auseinandersetzung zu suchen. Das wird besonders deutlich jenem Kurzfilm, in dem einer der Männer einer Gruppe von katholischen Würdenträgern gegenübertritt, um ihnen dieses Mal in deutlichen Worten endlich all das zu sagen, was er sich früher nie zu sagen getraut hat. Natürlich ist diese erneute Begegnung nur fiktiv, für die individuelle psychische Aufarbeitung des Geschehens aber trotzdem von großer Bedeutung. Die anderen Mitglieder der Gruppe wählen zum Teil ganz andere Ansätze und verfilmen mal einen ihrer wiederkehrenden Albträume oder lesen einfach einen Brief an ihr jüngeres Ich vor.

Die im Rahmen des Projekts entstandenen Kurzfilme werden in Procession nur auszugsweise gezeigt. Das ist einerseits schade, zeigt andererseits aber auch, dass hier der Weg das Ziel ist: die Zusammenarbeit an der filmischen Darstellung der einzelnen Geschichten, die gemeinsamen Diskussionen, die Rückkehr an Originalschauplätze – all das ermöglicht für jeden einzelnen eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem eigenen Trauma, wie sie in einer anderen Form der Therapie vielleicht nicht möglich wäre. Procession ist gewissermaßen ein „Making of“-Film zu den zum Zweck der Traumabewältigung gedrehten Kurzfilmen. Gleichzeitig gibt die Dokumentation aber auch bewegende Einblicke in die Psyche von Missbrauchsopfern.

Credits

OT: „Procession“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Robert Greene
Musik: Keegan DeWitt, Dabney Morris
Kamera: Robert Kolodny

Bilder

Trailer

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