Restaurantbetreiber Zinos (Adam Bousdoukos) hat eine Pechsträhne. Die Spülmaschine ist kaputt, Freundin Nadine (Pheline Roggan) zieht nach Shanghai und er renkt sich den Rücken aus. Auch dem „Soul Kitchen“, seinem Lokal in einer alten Fabrikhalle in Hamburg-Wilhelmsburg, geht es nicht gut. Zwar haben sich ein paar Stammgäste an den Billigfraß aus Tütensuppen und aufgetauter Frittierware gewöhnt. Doch die Ausgaben übersteigen regelmäßig die Einnahmen, sodass die gestrenge Frau Schuster (Catrin Striebeck) vom Finanzamt die Stereoanlage einkassiert. Um den Tumult perfekt zu machen, will Zinos’ krimineller Bruder Illias (Moritz Bleibtreu) einen Job bei ihm, ebenso wie der durchgeknallte Starkoch Shayn (Birol Ünel), der gerade aus einem piekfeinen Edelschuppen geflogen ist, weil er so seine eigene Meinung vom Umgang mit den Gästen hat und gern mal ein Messer zückt. Zinos kann froh sein, dass Kellner Lutz (Lucas Gregorowicz) nebenher für Live-Musik mit seiner Band sorgt und Kellnerin Lucia (Anna Bederke) den Überblick behält. Trotzdem braust das Chaos in Zinos’ Leben hinein wie die Sturmflut in die Elbmündung.
Nur Udo Lindenberg fehlt
Soul Kitchen ist die erste Komödie des Hamburger Regisseurs Fatih Akin und bislang seine einzige tatsächliche Komödie. Scheinbar mit leichter Hand hingeworfen, wirkt der Film wie eine Fingerübung mit ein paar guten Kumpels, die auf dem Höhepunkt eines Besäufnisses die Kamera herausholen und einfach drauflos improvisieren. Jede Figur ist eine Type für sich, zusammen ergeben sie ein Panikorchester. Die typische Hamburger Schnoddrigkeit wird derart zelebriert, dass eigentlich jeden Moment Udo Lindenberg um die Ecke kommen und einen Eierlikör bestellen müsste. Auf der Oberfläche könnte es so scheinen, als feiere eine verrückte Truppe den Nonsens um des Nonsens’ willen, als eine Art tiefer Verbeugung vor den Hamburger Nächten, die mindestens so lang sind wie die in Berlin-Kreuzberg.
Beim zweiten Hinsehen aber glaubt man gern, dass sich der Regisseur während der Arbeit am Drehbuch ein Poster von Billy Wilder über seinen Schreibtisch hängte. Der US-amerikanische Regisseur und Drehbuchautor feilte intensiv an seinen Dialogen und auch die Geschichte von Soul Kitchen durfte lange reifen, bis sie schmackhaft war. Schon 2004 war die Komödie als direktes Nachfolgeprojekt von Gegen die Wand konzipiert worden. Aber dann kamen Akin Zweifel, ob eine „rotzige Komödie“ (O-Ton des Regisseurs) nach seinem Durchbruch mit einem ernsten Thema noch das war, was von ihm erwartet wurde. Zum Glück ging ihm die Geschichte, die von einer Lebenskrise seines Freundes Adam Bousdoukos inspiriert ist, auch bei der Arbeit an zwei anderen Filmen nicht aus dem Kopf. Denn vieles, was zu einer guten Komödie gehört, stimmt hier: das Timing, die Trockenheit der Dialoge, der beiläufige Bildwitz und die Prise Slapstick bei dem Running Gag mit Zinos’ Rückenleiden.
Die wichtigste Zutat im humoristischen Fünf-Gänge Menü ist die spürbar gute Laune eines bis in die Nebenrollen überragend besetzten Ensembles. Die Liste der Schauspieler liest sich wie ein Who’s Who deutscher Edeldarsteller. Monica Bleibtreu (Moritz’ Mutter) ist in ihrer letzten Filmrolle dabei, Wotan Wilke Möhring spielt einen aalglatten Immobilienhai, Peter Lohmeyer ist kurz als aufbrausender Ex-Chef von Starkoch Shayn zu sehen, Jan Fedder schaut als Chef des Gesundheitsamtes vorbei, Gustav-Peter Wöhler darf als Nörgelgast eine aufgewärmte Gazpacho verlangen und Udo Kier verschluckt sich als schwerreicher Geschäftsmann an einem abgesprungenen Anzugknopf.
Blödelei auch im Soundtrack
Soul Kitchen geht durchaus als reiner Wohlfühlfilm durch, aber wie bei jeder guten Komödie schwingen im Nachgeschmack auch anspruchsvolle Noten mit. Zum einen die Hommage an Hamburger Kultstätten, die der Gentrifizierung weichen mussten, zum anderen eine Verbeugung vor der Elbestadt als solcher mit ihren Kontrasten, ihrem Fernweh, ihrem Mix aus Zuwanderern und ihrer weltoffenen Toleranz. Fatih Akin selbst spricht von Soul Kitchen als einem „modernen Heimatfilm“ und einer Widmung an seinen älteren Bruder Cem, der nebenberuflich als Schauspieler arbeitet und in der Rolle eines Kumpels von Zinos’ Bruder Illias zu sehen ist. Mehr als genussvoll-ironische Blödelei kommt dagegen der Soundtrack daher. Etwa wenn eine E-Gitarre das Seemannslied La Paloma verfremdet, oder wenn plötzlich neben Techno oder Hardrock der Uralt-Schlager Das letzte Hemd hat keine Taschen erklingt. Nur der eigentlich naheliegendste Song, nämlich Soul Kitchen von den Doors, ist nicht zu hören. Die Rechte zu kaufen, hätte das Budget des Films gesprengt.
OT: „Soul Kitchen“
Land: Deutschland, Frankreich
Jahr: 2009
Regie: Fatih Akin
Drehbuch: Fatih Akin, Adam Bousdoukos
Musik: Klaus Maeck, Pia Hoffmann
Kamera: Rainer Klausmann
Besetzung: Adam Bousdoukos, Moritz Bleibtreu, Birol Ünel, Pheline Roggan, Lucas Gregorowicz, Demir Gökgöl, Wotan Wilke Möhring, Dorka Gryllus, Anna Bederke
Venedig 2009
Toronto International Film Festival 2009
Filmfest Hamburg 2009
Tribeca Film Festival 2010
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