Wer sich für ungewöhnliche Animationsfilme interessiert, für den war The Wolf House vor einigen Jahren eine echte Entdeckung. Cristóbal León und Joaquín Cociña widmeten sich seinerzeit in dem Stop-Motion-Werk dem Erbe der berüchtigten Colonia Dignidad, indem sie eine junge Frau bei ihrer Flucht aus derselben begleiteten. Das Ergebnis war ein gleichermaßen verstörender wie faszinierender Film, experimentell und furchteinflößend. Das gilt, mit gewissen Abstrichen, auch für ihren neuen Kurzfilm The Bones, der bei den Filmfestspielen von Venedig 2021 Premiere feierte. Auch dieses Mal sind die beiden schwer mit der Vergangenheit beschäftigt. Oder sie tun zumindest so als ob.
Zwischen Nostalgie und Grauen
So wird im Vorspann erklärt, es handele sich um die Restauration des ersten Stop-Motion-Films überhaupt. Tatsächlich könnte man das auch rein von den Bildern her glauben. So ist The Bones nicht nur in Schwarzweiß gedreht und auf Filmmaterial, das wie von anno dazumal wirkt. Er greift zudem auf Animationstricks von den Anfängen des Mediums zurück, darunter auch den, den Film einfach rückwärts abzuspielen – wodurch sich beispielsweise ein Schriftzug in Luft auflöst. Der Kurzfilm erweckt dadurch den Eindruck, selbst irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein. Er ist gleichzeitig nostalgisch, unterstützt von einer passenden Musik, die uns auf eine Zeitreise mitnimmt, und befremdlich, schräg, falsch. Das wird zwar nicht ganz so grauenerregend wie beim besagten Langfilm des Duos. Doch die sich schon im Titel ankündigende morbide Ausrichtung bestätigt sich in unheimlichen Bildern.
Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen – bei einer Laufzeit von 14 Minuten ist die MUBI-Veröffentlichung schneller angesehen als erklärt – geht es hier darum, die Vergangenheit wieder auszugraben und ihrer Herr zu werden. Oder auch Frau, wenn im Mittelpunkt des Zaubers ein Mädchen steckt, das zur großen Manipulatorin wird. Das ist nicht immer ganz leicht zu verstehen, auch weil die zwei auf erklärende Worte verzichten – oder Worte im allgemeinen. Zudem ist The Bones stark in der eigenen Geschichte der Chilenen verankert, der man von außen kaum nahekommt. Aber die Art und Weise, wie in dem surrealen Minialptraum Vergangenes rekonstruiert und dekonstruiert wird, ist für ein Publikum Pflicht, das düstere Rätsel zu schätzen weiß.
OT: „Los Huesos“
Land: Chile
Jahr: 2021
Regie: Cristóbal León, Joaquín Cociña
Drehbuch: Cristóbal León, Joaquín Cociña
Musik: Tim Fain
Kamera: Cristóbal León, Joaquín Cociña
Venedig 2021
Sitges 2021
DOK Leipzig 2021
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