Seit der Hinrichtung ihres Mannes Babak lebt Mina (Maryam Moghaddam) alleine mit ihrer gehörlosen Tochter. Eines Tages wird ihr Leben auf den Kopf gestellt, als man ihr erklärt, dass die Unschuld ihres Mannes aufgrund einer neuen Zeugenaussage nun bewiesen sei und man sich bei ihr für den Justizirrtum entschuldige. Als Entschädigung für die fälschlich verhängt Todesstrafe will man Mina und Babaks Familie eine Entschädigung zahlen, doch während diese gewillt ist, vor Gericht zu ziehen und mehr Geld zu fordern, ist Mina außer sich vor Trauer. Vor allem das Fehlen einer Entschuldigung vom damals zuständigen Richter frustriert sie, wofür sie bei den Verwandten ihres Mannes wie auch bei den Justizbeamten, die sie immer wieder versuchen abzuwimmeln, wenig Gehör findet.
Zur gleichen Zeit taucht an Minas Tür ein Fremder namens Reza (Alireza Sanifar) auf, der meint, noch Schulden bei Babak zu haben, die er nun seiner Witwe zahlen will. Er versteht die Trauer und die Wut Minas über das, was ihr und ihrer Tochter widerfahren ist, und bietet seine Hilfe an, damit sie eine neue Wohnung haben und zu den zahlreichen Behördengängen kommen.
Eine Frage des Anstands
Im Koran gilt die Sure, welche sich mit der Geschichte der weißen Kuh befasst, als eine Parabel für Schuld, Reue und Abbitte. Für ihren Spielfilm Ballade von der weißen Kuh nahmen Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam diese als Ausgangspunkt für eine Geschichte, die in mehr als nur einer Hinsicht ein ernüchterndes Licht auf die iranische Gesellschaft und Bürokratie wirft. Neben den bereits angesprochenen Themen nimmt vor allem die problematische Verflechtung von Religion, von Gottes Wille zur Lebenswirklichkeit des Iran eine besondere Rolle ein.
In gewisser Weise erinnert der erzählerische wie auch ästhetische Realismus von Ballade von der weißen Kuh an den Sozialrealismus eines Filmemachers wie Ken Loach (Ich, Daniel Blake). Neben der Lebenswirklichkeit der Figuren spielen in erster Linie die ewig gleichen Behördengänge und Gespräche mit Beamten eine nicht unwesentliche Rolle, wenn es darum geht, das Ausmaß der Wut und Trauer zu begreifen, welche Mina fühlt. Jedoch scheint die Kaltschnäuzigkeit und Mitleidlosigkeit, die sie dort erfährt, eine Facette einer Gesellschaft zu sein, die noch viel weiter geht. Alleine die Bildsprache, in welcher das ernüchternde, trostlose Grau des Betons dominiert, verweist auf die zumindest optischen Parallelen zwischen Behörden, Sozialbau, Leichenhalle und Friedhof, was den urbanen Hintergrund bisweilen wie eine Stadt der Toten und der emotionalen Kälte wirken lässt.
Gottes Wille und Gesetz
Anders als bei Loach ist es aber nicht bloß Paragrafenreiterei, die eine gefährliches und absurdes Eigenleben entwickelt, sondern auch die Verknüpfung mit dem Glauben. Neben dem Bestehen auf festen Routinen oder Vorgaben, bildet die Floskel „Es war Gottes Wille“ ein wiederkehrendes Muster, wenn sich Mina mit den Beamten unterhält. Die Floskel, welche vor der Schuld und damit auch der eigentlichen Entschuldigung befreit, erscheint als ein Puzzleteil eines inhärenten Zynismus, in dem Fehler nicht selbstverschuldet sind und in dem keiner Verantwortung zu tragen hat. Kombiniert mit der bereits angesprochene Bildsprache komplettiert dies das Bild einer kalten Gesellschaft, in der Zusammenhalt höchstens im Privaten besteht und in welcher eine fehlgeleitete Moral und fatale Auslegung von Religion auf die Zerstörung des Menschlichen ausgerichtet sind.
Während die eigentliche Auflösung der Handlung durchzogen ist von berechenbaren Mustern, wie beispielsweise einem Gewitter als Zeichen für Konflikt, bleibt Ballade von der weißen Kuh vor allem wegen seines Ensembles sehenswert. Insbesondere Maryam Moghaddam gibt eine beachtliche Leistung ab in der Rolle einer Frau, welche durch die Teilnahmslosigkeit der Behörden immer mehr zermürbt wird.
OT: „Ghasideyeh gave sefid“
Land: Iran, Frankreich
Jahr: 2020
Regie: Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam
Drehbuch: Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam, Mehrdad Kouroshnia
Kamera: Amin Jafari
Besetzung: Maryam Moghaddam, Alireza Sanifar, Pourya Rahimisam, Avin Purraoufi, Farid Ghobadi, Lili Farhadpour
Wer mehr über den Film und die Hintergründe erfahren möchte: Wir konnten uns mit dem Regieduo Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam über das iranische Drama unterhalten.
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