Ballade von der weißen Kuh Ghasideyeh gave sefid
Szenenbild aus "Ballade von der weißen Kuh" (© AminJafari)

Behtash Sanaeeha / Maryam Moghaddam [Interview]

Maryam Moghaaddam ist eine iranische Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin. In ihrer Heimat hat sie bereits mit vielen namhaften Filmemachern wie beispielsweise Jafar Panahi (Pardé, 2013) oder Ebrahim Mokhtari (Leaf of Life, 2017) zusammengearbeitet. Neben ihrer Tätigkeit vor der Kamera hat sich Moghaddam zudem einen Namen als Regisseurin gemacht und gewann für ihren Dokumentarfilm The Invincible Diplomacy of Mr. Naderi den Preis für die Beste Dokumentation auf dem Iranischen Dokumentarfilm Festival 2017 sowie auf dem Prager Film Festival im selben Jahr.

Behtash Sanaeeha ist ein iranischer Filmregisseur, Produzent und Drehbuchautor. Mit Maryam Moghaddam verbindet ihn eine langjährige Zusammenarbeit, angefangen bei dem TV-Film Chalsio aus dem Jahre 2013. Zusammen mit Moghaddam führte er Regie bei The Invincible Diplomacy of Mr. Naderi sowie bei Ballade von der weißen Kuh, einem Spielfilm, der in unter anderem auf der Berlinale 2021 lief. In dem Drama, bei dem Moghaddam einer der Hauptrollen spielt, geht es um das Thema Korruption und Ungerechtigkeit in ihrer Heimat, wobei sie sich von mehreren realen Fällen von Fehlurteilen inspirieren ließen.

Zum Kinostart am 2. Februar 2022 reden wir im Interview mit Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaaddam über die Themen des Films, das Bild von Iran, welches Ballade von der weißen Kuh zeigt sowie über die zentrale Metapher des Films.

Bereits früh im Film wird von einer Figur die Frage nach dem Anstand in der Welt gestellt und ob diesen überhaupt noch gebe. Welche Bedeutung hat Anstand in der heutigen Welt?

Maryam Moghaaddam: Ich sehe ein Fehlen von Anstand sowohl in der Gesellschaft meiner Heimat wie auch auf der ganzen Welt. Dieser Mangel zeigt sich, wie Ballade von der weißen Kuh zeigt, in der Rechtsprechung im Iran, der Anzahl der Fehlurteile und wie mit diesen umgegangen wird. Gesetze wie diese, auf die sich die Beamten im Film wie auch im echten Leben im Iran berufen, bilden das Fundament oder sind der Katalysator für die Gewalt in der Gesellschaft. Diese Gesetze haben nichts mit Menschlichkeit zu tun und führen zu noch mehr Problemen, welche sehr viele Menschen betreffen können, was wir im Film versuchen zu zeigen.

Als Zuschauer bekommt man schnell das Gefühl, dass sich so ein Fall schon einmal, wenn nicht sogar mehrmals im Iran oder anderen Zusammenhängen abgespielt haben könnte. Können Sie uns was zu den Inspirationen zu Ballade von der weißen Kuh sagen?

Behtash Sanaeeha: Wir beziehen uns in dem Film auf den Iran, aber auch auf andere Kulturen, in denen ähnliche Gesetze vorhanden sind. Dennoch war die Hauptinspiration die Geschichte von Maryams Mutter, welche dem Fall im Film ähnelt. Während der Recherche zum Film haben wir mit vielen Verurteilten, Angehörigen und Anwälten gesprochen, die uns Auskunft gaben über die Rechtslage und wie die Familie mit einem Fehlurteil umgeht. Über neun Jahre haben wir an der Geschichte geschrieben und sehr viele Fassungen des Drehbuchs gehabt. Danach hat es noch einmal vier Jahre gedauert bis wir eine Dreherlaubnis von den Behörden bekamen. Im Iran gibt es, um dies am Rande zu erwähnen, zwei Erlaubnisse, eine zum Drehen des Filmes an sich und eine um diesen im Kino zu zeigen. Letztere haben wir derzeit noch nicht.

Maryam Moghaaddam: Die Dreherlaubnis zu erhalten ist eigentlich noch einfach, aber den fertigen Film dann einem Publikum zu zeigen, liegt in der Hand eines amtlichen Gremiums, welches sich diesen ansieht und dann eben die Erlaubnis ausspricht, oder eben nicht. Doch um zu der Frage zurückzukommen, die Figur Mina, die ich im Film spiele, basiert auf diesen vielen Frauenfiguren, die wir kennengelernt haben während der Recherche, doch in erster Linie auf meiner Mutter.

Das Bild der weißen Kuh, welches im Film zweimal vorkommt, sticht deutlich hervor innerhalb der ansonsten sehr realistisch inszenierten Geschichte. Was genau ist die Bedeutung dieses Bildes?

Behtash Sanaeeha: In der iranischen Kultur, der Literatur, dem Film und der Kunst, gibt es eine spezielle Technik, die man mit „doppelte Bedeutung“ übersetzen kann. Die weiße Kuh steht auf der einen Seite für ein Opfer, wie in vielen Religionen, nicht nur dem Islam, in denen dieses Tier als eine Opfergabe verwendet wurde. In Ballade von der weißen Kuh ist dieses Opfer Babak, Minas Mann, der, wie sich herausstellt, zu Unrecht zum Tode verurteilt wurde. Darüber hinaus bezieht sich das Bild auf die zweite Sure im Koran, welche auch „Die Kuh“ genannt wird. Aus diesem leiten sich viele für den Islam wichtige Gesetze und Gebote ab.

Maryam Moghaaddam: Wenn es darum geht, einen Sünder, beispielsweise für einen Mord, zur Rechenschaft zu ziehen, bezieht man sich auf eben diese Sure im Koran.

Ich kann mir vorstellen, dass es eine große Belastung ist nicht nur Regisseurin zu sein, sondern auch die Hauptrolle zu spielen. Wie haben Sie das empfunden, Frau Moghaddam?

Maryam Moghaaddam: Diese Erlaubnisse zu erhalten, von denen eben die Rede war, ist eigentlich die größte Hürde. Alle anderen, welche mit dem Schauspiel oder der Regie zu tun haben, sind normal, denn die mögen wir. Doch diese ganze Bürokratie oder den Film noch einmal umzuschneiden, weil er so keine Genehmigung erhält, ist einfach lästig, ermüdend und schlichtweg unnötig. Jeder Regisseur im Iran steht vor diesem Problem.

Haben Sie eigentlich eine Lieblingsszene in Ballade von der weißen Kuh?

Behtash Sanaeeha: Die Version des Films, welche auf der Berlinale zu sehen ist, ist unsere favorisierte Fassung. Daher ist es schwierig für mich zu entscheiden, welche Szene ich am liebsten mag. Vielleicht ist es die Szene, in der Mina und Reza aus dem Krankenhaus kommen. Während sie schweigend das Haus betreten und Mina ihm hilft, sich hinzulegen, hören wir draußen den Regen und den Donner, was der Szene eine gewisse Spannung gibt. Emotional finde ich die Szene, in der Mina das erste Mal von dem Fehlurteil gegen ihren Mann hört, besonders stark. Wenn wir dann schneiden zu dem Moment, wenn sie auf dem Bahnsteig sitzt, mag ich das sehr.

Maryam Moghaaddam: Ich habe keine Favoriten, weil mir auch die Distanz fehlt. Ich stand ja immer vor der Kamera. (lacht)

Die Version des Iran, die man im Film sieht, ist geprägt vom Grau des Betons, von kargen, öden Orten, beispielsweise den zahlreichen Gängen auf den Ämtern und Gerichten. Dann wechseln Sie oft zu Orten wie dem Leichenschauhaus oder dem Friedhof, welche von der Optik oder der Farbwahl her eine frappierende Ähnlichkeit haben zu den vorherigen. War das Absicht?

Maryam Moghaaddam: Das war es. Wir haben lange nach diesen Orten für den Film gesucht. Diese Orte zeigen einen Ausschnitt aus dem Leben im Iran durch ihr Grau und ihre Tristesse.

Arbeiten Sie gerade an neuen Projekten?

Behtash Sanaeeha: Wir arbeiten an sehr vielen Projekten und Geschichten, teilweise auch solche, die außerhalb des Iran spielen. Im Moment ist das Problem, einen Investor zu finden, weil man nie sicher sein kann, ob man Geld mit dem Film verdient, besonders aufgrund der Bürokratie im Iran. Wir suchen also noch nach Investoren für ein neues Projekt, doch wir sind enthusiastisch, dass wir jemanden finden und schon bald wieder drehen können.

Vielen Dank für das tolle Gespräch.



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