Als Edward (Steve Waddington) nach dem Tod seines Vaters die Thronfolge antritt, ist eine seiner ersten Amtshandlungen, seinen einst nach Frankreich verbannten Freund und Liebhaber Pier Gaveston (Andrew Tiernan) zurück an den englischen Hof zu bringen. Um Gaveston vor weiteren Attacken zu schützen, überschüttet Edward ihn mit Titeln und Ländereien, was seinen gesellschaftlichen Status deutlich hebt, aber auch den ohnehin schon großen Unmut über dessen Beziehung zum König noch steigert. Viel mehr noch als durch diese Taten fühlt sich Königin Isabella (Tilda Swinton) von der Weigerung ihres Gemahls gekränkt, das Bett weiterhin mit ihr zu teilen. Als Gaveston seine neue Macht und seinen Einfluss bei Hofe dazu nutzt, an eben jenen Männern Rache zu üben, die einst für seine Verbannung verantwortlich waren, ist nach Meinung Lord Mortimers (Nigel Terry), dem Verantwortlichen für die Militärstreitkräfte des Königs, das Maß endgültig voll. Doch er unterschätzt dabei, wie stark die Gefühle des Königs für seinen Liebhaber tatsächlich sind, will dieser doch eher sein Reich in Stücken sehen, als dass man Gaveston nur ein Haar krümme.
Ein Kampf, der immer noch andauert
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts brachte der britische Dramatiker Christopher Marlowe sein Drama Edward II zur Aufführung, eine Auseinandersetzung mit der am damaligen Hofe als skandalös empfundenen Beziehung zwischen König Edward II und dem Adligen Piers Gaveston. Da die Homosexualität des Königs von Historikern immer wieder bestritten oder heruntergespielt wurde, wollte Regisseur Derek Jarman gerade diesen Aspekt in der Verfilmung des Dramas in den Fokus setzten. Hierbei griff er auf jenen Ansatz zurück, der bereits Werken wie Caravaggio zu eigen ist, nämlich jener Vermischung von historischer Realität und modernen Themen wie auch ästhetischen Konzepten.
Wie in den Dramen seines Zeitgenossen William Shakespeares verdichtet Marlowe die Machtpolitik und Hierachie am Hofe mittels der Leidenschaften der einzelnen Figuren. Durch den für ihn typischen minimalistischen Ansatz in der Inszenierung, welcher beispielsweise historische Sets ausspart, konzentriert sich Jarman auf jene Emotionen der Charaktere, welche sie antrieben und in einem teils ungesunden, fatalen Maße in ihnen vorhanden sind. Die Bedingungslosigkeit der Beziehung, die König und Adeliger eingehen, und die sich über die weltlichen Belange des Hofes stellen, muss, nicht nur wegen ihrer Gleichgeschlechtlichkeit, auf Widerstand stoßen, ist diese doch ohne jede Grenze und übergeht beispielsweise Standesschranken oder Hierarchien. Den Kampf um diese Liebe inszeniert Jarman als eine Fehde, die bis heute andauert, wenn er zum Beispiel Mitglieder der britischen Bewegung Outrage, die sich für LGBTQ-Rechte einsetzt, im letzten Drittel des Filmes zeigt.
Transgressiver Ansatz
Zugleich zeigt sich bei den oben genannten Aspekten eine weitere Facette des Ansatzes, den Jarman verfolgt und der viel eher im Theater an sich verwurzelt ist. Die Vermischung der historisch-fiktionalen Ebene des Dramas trifft hierbei immer wieder auf sehr moderne Belange, repräsentiert durch eine Ästhetik, die viel eher einem Musikvideo, von denen Jarman zum Zeitpunkt des Dreh schon eine gemacht hatte, sowie winzige Details, wie dem Walkman, den man am Schluss des Films sieht. Dieser transgressive Ansatz verstärkt nicht nur den Eindruck, es handle sich um aktuelle Belange, welche der Film diskutiert, sondern betont Aspekte wie den Machtkampf am Hofe oder die Leidenschaft der Beziehung zwischen König und Gaveston. So mag die Verabschiedung der beiden in Verbindung mit Annie Lennox’ Darbietung des Cole Porter Songs Ev’ry Time We Say Goodbye auf der einen Seite irritieren, zeigt aber den Höhepunkt des Ansatzes Jarmans, der die Ebene des Dramas mit jener überhöhten des Musikvideos verbindet
Neben dem Aspekten der Inszenierung ist Edward II, wie auch die vorherigen Werke Jarmans, großes Schauspielkino, wobei neben Steven Wddington und Andrew Tiernan in den beiden Hauptrollen Tilda Swinton, in ihrer insgesamt siebten Zusammenarbeit mit Jarman, eine wahrhaft große Darstellung abgibt. Sie verkörpert eine Frau, die sich in einer Umwelt, die von Status und Intrigen definiert ist, ihren eigenen Platz sucht und diesen verteidigt.
OT: „Edward II“
Land: UK
Jahr: 1991
Regie: Derek Jarman
Drehbuch: Ken Butler, Derek Jarman, Stepehn McBride
Vorlage: Christopher Marlowe
Musik: Simon Fisher Turner
Kamera: Ian Wilson
Besetzung: Steven Waddington, Andrew Tiernan, Tilda Swinton, Kevin Collins, Nigel Terry, Jerome Flynn, John Lynch, Dudley Sutton
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