Bislang war seine Bar immer der Lebensmittelpunkt von Heikki (Pertti Sveholm). Doch das ist erst einmal vorbei, aufgrund des Corona-Lockdowns muss auch sie geschlossen sein. Während er darauf wartet, dass seine Tochter vorbeikommt, taucht auf einmal Risto (Kari Heiskanen) bei ihm auf. Eigentlich dürfte er ihn nicht bewirten, der Bestimmungen wegen. Da beide aber nicht sonderlich gut drauf sind, beschließen sie, zumindest noch einmal mit einem Glas Wein anzustoßen. Kurze Zeit später steht auch ein Fremder namens Juhani (Timo Torikka) vor der Tür. Seine Bitte, kurz hereinkommen zu dürfen und sein Handy aufzuladen, lehnt Heikki zunächst ab, bis er sich doch erweichen lässt. Und das ist nur der Anfang eines Abends, bei dem einiges nicht so läuft wie ursprünglich geplant …
Ein Film der Corona-Zeit
Die Corona-Pandemie war eine in vielfacher Hinsicht komplexe und auch widersprüchliche Zeit. So hat sie beispielsweise Gräben zwischen den Menschen aufgerissen, bestehende Unterschiede sind auf ein Vielfaches angewachsen, in der Not stand Egoismus oft an oberster Stelle. Gleichzeitig entstand oft auch ein Gemeinschaftsgefühl, wenn die Leute ähnliche Erfahrungen machten und sich daraus spontane Verbindungen ergaben. Von diesem Phänomen erzählt auch der finnische Regisseur Mika Kaurismäki (Master Cheng in Pohjanjoki, Scheidung auf Finnisch) in seinem neuesten Film. Eine Nacht in Helsinki wurde nicht nur während der Pandemie gedreht, sondern ist auch eindeutig von dieser Zeit geprägt.
Das betrifft zum einen das Szenario als solches. Wenn Heikki seine Bar schließen muss, die er seit vielen Jahren führte und die auch eine familiäre Vorgeschichte hat, dann ist er einer von vielen, die durch die Corona-Maßnahmen an den Abgrund getrieben wurden. Es fehlt das Geld, das er hiermit immer verdiente. Es fehlt an einem Lebensinhalt, der ihm vom einen zum anderen Tag weggebrochen ist. Und auch die Bilder der leergefegten Straßen sind ein Zeitdokument des zuvor undenkbaren Ausnahmezustands. Während das die offensichtlichen Faktoren sind, die Eine Nacht in Helsinki in seinem historischen Kontext verorten, sind es vor allem die unausgesprochenen, welche den Film auszeichnen und dem Publikum emotionale Anknüpfpunkte bieten.
Sehnsucht nach Nähe
Vor allem die Sehnsucht nach Nähe, welche den drei Männern anzumerken ist, dürfte den meisten bekannter vorkommen, als einem lieb ist. Das wird so nicht verbalisiert in Eine Nacht in Helsinki, da Kommunikation offensichtlich nicht das größte Talent der drei Herren ist. Aber das ist nichts, was man nicht lernen könnte. Vor allem wenn man in einer leeren Bar mit viel ungenutztem Wein sitzt. Zwischenzeitlich sieht es zwar mal kurz danach aus, als könnte der Film eine Genrerichtung einschlagen. Aber nach einem kurzen Schlenker findet er wieder in seine Spur. Kaurismäki hat ein betont unspektakuläres Drama gedreht, das fast ausschließlich darin besteht, dass drei Männer am Tisch sitzen und reden. Wer von einem Film eine Form der Handlung benötigt, der ist hier daher falsch.
Aber auch allzu geschliffene Dialoge sollte man sich von dem finnischen Film nicht erhoffen. Das ließ schon das Konzept nicht zu. Kaurismäki arbeitete mit keinem fertig geschriebenen Drehbuch, sondern gab den Schauspielern jeweils nur die eigene Geschichte zur Hand. Wie in einem echten Gespräch wusste dadurch zwar jeder, was er zu sagen hat, nicht aber, was von den anderen kommt. Das Ensemble musste daher in den jeweiligen Situationen spontan auf das Gesagte der anderen reagieren und im Zweifelsfall improvisieren. Solche Arbeitsmethoden gibt es in Filmen natürlich immer mal wieder. In den USA vertraute die Mumblecore-Bewegung darauf, auch hierzulande gab es eine Zeit lang viel Zulauf dafür. Inzwischen ist davon zwar nicht mehr viel geblieben, Eine Nacht in Helsinki zeigt aber auf, dass zumindest innerhalb eines bestimmten Kontextes so etwas gut funktionieren kann.
Heilsames Gefühl der Verbundenheit
Natürlich muss man sich darauf jedoch einlassen können. Wem es nicht gelingt, emotional an die Gespräche anzudocken, der dürfte dem Ganzen hier recht gleichgültig gegenüber stehen und sich wohl auch schnell anfangen zu langweilen. Daran werden selbst die kleineren Wendungen und Geständnisse nicht viel ändern. Eine Nacht in Helsinki ist kein Film, der groß Eindruck schinden will oder den Anspruch hat Geschichte zu schreiben. Es ist nicht einmal so, dass man so wahnsinnig viel fürs Leben lernen würden. Wenn überhaupt lernt man etwas über das Leben, wenn Kaurismäki und sein Ensemble von einer Freundschaft und Verbundenheit erzählt. Davon, wie heilsam es sein kann, einfach nur mit anderen Menschen zusammenzusitzen und ihnen zu sagen, wie es einem geht. Das hat nicht nur für die Figuren etwas Therapeutisches. Auch als Zuschauer und Zuschauerin darf man hier im Anschluss das Gefühl haben, weniger allein zu sein.
OT: „Yö armahtaa“
IT: „Gracious Night“
Land: Finnland
Jahr: 2020
Regie: Mika Kaurismäki
Drehbuch: Mika Kaurismäki, Sami Keski-Vähälä
Kamera: Jari Mutikainen
Besetzung: Kari Heiskanen, Anu Sinisalo, Pertti Sveholm, Timo Torikka
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