Als die junge Frau (Salber Lee Williams) aus dem Taxi steigt, erwartet sie eine traumhafte Landschaft, die abgelegene Insel scheint unendlich viel zu bieten zu haben. Nur keine Menschen. Sobald der Taxifahrer (Pit Bukowski) davongerauscht ist, ist die Urlauberin daher auf sich allein gestellt. Das bedeutet für sie, dass sie erst einmal den Ort erkunden kann und muss. Dabei trifft sie noch andere Leute. Eine ältere Dame (Carmen Molinar) nimmt sich ihrer an, auch ein weiterer Mann (Timo Fakhravar) begegnet ihr freundlich. Und doch festigt sich in der jungen Frau der Eindruck, dass da etwas nicht stimmt. Dass da irgendetwas mit der Insel ist, was ihr niemand verraten will …
Ein bedrohliches Paradies
Inseln sind einerseits ein beliebter Ort, um etwas auszuspannen und einmal den Alltag so richtig hinter sich zu lassen. In Filmen und Serien wird dies jedoch auch gern genutzt, um ein Gefühl der Bedrohung zu erzeugen, verbunden mit einem großen Geheimnis. Legendär sind beispielsweise Agatha Christies Zehn kleine Negerlein – Das letzte Wochenende, bei dem ein Mörder auf einer Insel sein Unwesen treibt und niemand mehr entkommen kann, oder auch die Serie Lost. Die Kombination aus Mysterien und einer Situation, in der man ausgeliefert ist, ist wie dafür gemacht, Spannung zu erzeugen. Mit Ghost Island kommt nun auch ein deutscher Beitrag, der ein solches Setting verwendet. Man sollte jedoch keine vergleichbare Geschichte zu den oben genannten erwarten.
Ein großer Unterschied wird gleich zu Beginn deutlich: Bei den meisten Inselabenteuern geht es darum, wie eine Gruppe überlebt. Hier nicht. Hier gibt es keine Gruppe. Tatsächlich ist Ghost Island ja davon geprägt, dass die Insel wie ausgestorben ist. Und selbst die wenigen Leute, die sich dort herumtreiben, bleiben sehr fern. Keine der Figuren erhält einen Namen, man erfährt auch sonst kaum etwas über sie. Die spärlichen Informationen hängen dabei auch damit zusammen, dass es verschwindend wenige Dialoge gibt. Die Begegnungen der einzelnen Charaktere sind kurz, es findet kaum ein Austausch statt. Obwohl man meinen sollte, dass es bei einer derart überschaubaren Zahl an Menschen eine stärkere Verbindung zwischen den einzelnen gibt, scheinen sie selbst am selben Ort in verschiedenen Welten zu sein.
Das ist für ein Publikum naturgemäß frustrierend, das Wert auf Antworten legt. Regisseur und Drehbuchautor Roman Toulany bleibt bei seinem Spielfilmdebüt bewusst vage. Stattdessen arbeiten er und sein Team bevorzugt an der Stimmung. Die ist dafür auch ganz besonders gut gelungen. Wenn unsere namenlose Protagonistin die die weitgehend menschenleere abläuft, dann erinnert das nicht nur des Titels Ghost Island wegen an Geisterstädte. Wo diese aber üblicherweise alt und verfallen sind, da sieht das hier so aus, als wäre bis vor einigen Minuten noch alles voll gewesen – bis die Menschen plötzlich verschwanden. Daraus entsteht ein sehr reizvoller Kontrast aus Naturalistischem und Surrealen, wenn die schönen Landschaftsaufnahmen auf die Echos der Zivilisation stoßen.
Hinweise darauf, was es mit dem Ganzen auf sich hat, streut Toulany durchaus. Da finden sich doch einige Motive aus dem Mythologischen und Religiösen wieder, wenn die einzelnen Figuren zu Gefangenen einer zeitlosen Zwischenwelt werden. Er gibt jedoch nicht vor, was das Publikum daraus machen muss. Das Mystery-Drama, welches auf dem Max Ophüls Preis Filmfest 2022 Premiere feierte, bleibt durch seinen betonten Minimalismus eine Herausforderung. Aber eben auch ein Fall für Genießer und Genießerinnen: Die betörenden Aufnahmen, die uns Toulany und Kameramann Constantin Campean bescheren, würden – in einem anderen Kontext – auch als Werbefilm für die Insel durchgehen. Das weckt gleichzeitig Sehnsüchte und ist doch unheimlich. Ghost Island schafft es, völlig widersprüchlich zu sein, und braucht dafür nicht einmal Worte.
OT: „Ghost Island“
Land: Deutschland, Spanien
Jahr: 2022
Regie: Roman Toulany
Drehbuch: Roman Toulany
Musik: Lukas Mayfloor, Jonas Lechenmayr
Kamera: Constantin Campean
Besetzung: Salber Lee Williams, Pit Bukowski, Timo Fakhravar, Carmen Molinar
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