Jens Meurer kennt das Filmgeschäft aus unterschiedlichen Perspektiven. Ende der 1980er Jahre begann er, Dokumentarfilme zu drehen und gründete recht bald eine eigene Produktionsfirma. Ab den Nullerjahren verlegte er sich ganz auf das Produzieren und erweckte dabei nicht nur lokale Filme, sondern auch teure internationale Werke zum Leben, darunter Rush – Alles für den Sieg (2013), ein Spielfilm von Ron Howard. Hier geht es um das Konkurrenzverhältnis zwischen den Formel-1-Rennfahrern Niki Lauda und James Hunt. Mit An Impossible Project legt Meurer nach fast 20-jähriger Pause wieder einen eigenen Film vor. Die Dokumentation beschäftigt sich mit der Tyrannei des Digitalen und begleitet den Österreicher Florian „Doc“ Kaps bei seinem Bemühen, das Überleben der analogen Polaroid-Sofortbild-Fotografie zu sichern. Der Film hinterfragt unser Verhältnis zum Digitalen und plädiert für eine gesunde Balance zwischen Bequemlichkeit und analogen „Biotopen“ wie Bücher, Zeitungen, echten Fotos, Vinylschallplatten oder Schreibmaschinen. Anlässlich des Kinostarts am 20. Januar 2020 sprachen wir mit Jens Meurer über das Drehen auf 35-Millimeter-Film, die Freude an echten Dingen und die politische Dimension einer digitalen Entgiftung.
Wie und wo haben Sie Florian Kaps, genannt „Doc“, kennengelernt?
Das hat mit dem Film Rush zu tun. Da war ich als deutscher Produzent beteiligt. Ende 2012 stellte mir jemand den „Doc“ vor und ich dachte, den ersten charismatischen, ein bisschen wahnsinnigen, charmanten Österreicher habe ich schon kennengelernt, nämlich Niki Lauda. Und da kommt mit dem „Doc“ der nächste, der bestimmt auch eine Filmgeschichte hergibt. Mich hat der Don-Quichotte-Kampf sehr beeindruckt, den Florian Kaps damals führte, um Polaroid zu retten. Ich fand spannend, dass da jemand war, der die Menschen inspirierte, auch mal in eine andere Richtung zu denken. Also nicht nur in die gängige Richtung zu laufen, dass das Digitale unbedingt fantastisch ist. Es war die Zeit, als die Leute vor den Apple-Stores übernachtet haben, um sich als Erste ein I-Phone zu kaufen. Das muss man sich ‚mal vorstellen! Aber „Doc“ ging konsequent – und damals ziemlich allein – in die Gegenrichtung. Die meisten hielten ihn für verrückt. Das führte dazu, dass die Firma Polaroid wieder auferstanden ist.
Zuvor hatten Sie lange als Produzent gearbeitet. Trug die Begegnung mit dem „Doc“ dazu bei, jetzt auch wieder eigene Filme zu machen?
Ich hatte eigentlich nicht vor, wieder einen eigenen Film zu drehen. Es waren diese Begegnung und das Gefühl, diese Geschichte des sinnlichen Widerstands muss erzählt werden, die mich dazu motivierten.
Der Film ist vor der Pandemie entstanden. Seitdem hat die Digitalisierung nochmal einen Schub bekommen. Was wäre anders an Ihrem Film, wenn Sie ihn heute drehen müssten? Würden Sie bestimmte Akzente verstärken oder anders setzen?
Wir hatten Weltpremiere beim Filmfestival Rotterdam Ende Januar 2020, etwa drei Wochen, bevor die Pandemie losging. So sehr die Pandemie die Digitalisierung beschleunigt hat, so sehr hat sie auch die Erkenntnis gebracht, dass wir analoge Wesen sind. Dass wir Kontakt brauchen und dass wir alle unsere Sinne einsetzen müssen, auch das Schmecken und das Riechen und das Tasten. Insofern hat die Pandemie das Nachdenken über uns selbst und unsere wahren Bedürfnisse gefördert. Zugleich hat sich die Spaltung in unserer Gesellschaft vertieft und manche Menschen haben sich politisch radikalisiert. Für mich hat das viel damit zu tun, dass wir es verlernt haben, unseren gesunden Menschenverstand zu nutzen und unsere sieben Sinne zusammen zu halten. Insofern passt der Film noch besser in die Zeit.
Manche digitalen Instrumente waren aber auch hilfreich, um überhaupt durch diese Zeit zu kommen.
Wer will denn im Ernst noch eine Zoom-Konferenz haben? Es stimmt, dass viele digitale Dinge sehr praktisch sind. Aber wir merken doch mehr denn je, dass es uns nicht glücklich machen würde, wenn alles digital würde. Es braucht weiterhin analoge Biotope, die auch Freude und Spaß bringen. Es ist kein Opfer, mal wieder ein Buch zu lesen oder eine echte Zeitung. Das tut richtig gut. Auch politisch ist das wichtig.
Sie leisten selber einen Beitrag zu den analogen Biotopen, indem Sie den Film auf 35 Millimeter gedreht haben. Was bedeutet das in Hinblick auf die Kosten und die Menge des Materials, das man einsetzen kann? Oft hat man ja bei einer Doku 80 Stunden Material, das dann entsprechend gekürzt und in eine Form gebracht werden muss.
Es entsteht eine schöne Befreiung schon dadurch, dass man eben nicht vor einem Materialberg sitzt. Der Gedanke, dass das Digitale so viel einfacher und billiger sei, ist ein richtig ungesunder Irrtum. Mit dem I-Phone kann man 24 Stunden am Tag irgendwas filmen. Aber was hat man dann? Einen unüberlegten Wust von unsortiertem Material, den man zeit- und damit kostenintensiv wieder entwirren muss. Beim Dreh auf 35 Millimeter überlegt man sich vorher, ob man auf den Auslöser drückt oder nicht. Somit hat man die Entscheidung, die man theoretisch auch an den digitalen Schnitt verlagern kann, schon während der Dreharbeiten getroffen. Das erleichtert die Sache enorm. Der amerikanische Wissenschaftler Tim Wu hat in der New York Times von der „Tyrannei der Bequemlichkeit“ gesprochen. Darum geht es. Das Bequeme ist nicht automatisch das Sinnvolle.
Wie sah das konkret aus?
Wir hatten am Tag in der Regel acht Filmrollen, ungefähr acht mal vier Minuten. Wenn die acht durch waren, hatte man Feierabend. Dann konnte man mit der Crew ins Restaurant oder die Kneipe gehen. Das tat total gut. Jeder von uns kann eine vergleichbare Erfahrung machen. Man kann mal wieder einen Brief schreiben oder ein Buch lesen oder eine Vinyl-Schallplatte auflegen oder ein Polaroid-Bild schießen. Das alles kostet mehr. Aber man wird dabei spüren, dass es eine tiefere Wirkung hat und mehr bedeutet.
Kann man 35-Millimeter-Film auch heute noch, also einige Jahre später als bei Ihrem Dreh, entwickeln lassen?
Das war eine interessante Erfahrung. Als wir uns für das Format entschieden, gab es nur noch drei Kopierwerke. Und als wir fertig waren, hatte ein weiteres Kopierwerk zugemacht. Aber mittlerweile werden wieder Kopierwerke neu aufgemacht und es wird wieder viel mehr auf Film gedreht als 2014 und 2015, als bei uns die heiße Phase begann. Genauso wie Vinyl und andere analoge Technologien wird echtes Filmmaterial nicht mehr nur von ein paar Nostalgikern wie mir genutzt. Sondern es wird von jungen Filmemachern quasi als neue Zukunftstechnologie entdeckt. Eine analoge Filmkamera zu mieten, war 2014 gar kein Problem. Heute sind die ausgebucht fürs nächste halbe Jahr.
Ihr Film ist schon auf Festivals gelaufen. Wie wurde er da aufgenommen?
Mich hat ein wenig erstaunt, dass eher das Humorvolle registriert wurde und nicht die politische Dimension. Wenn jemand wie der „Doc“ oder auch die jungen Leute sich für eine alte Technologie engagieren, dann hat das für mich mit einem Engagement für eine besser funktionierende Gesellschaft zu tun. In der Demokratie braucht man ein Wertefundament. Das bedeutet, dass man sich für wertvolle Dinge ein bisschen mehr anstrengen muss. Natürlich ist der Film manchmal witzig, weil der „Doc“ manchmal verrückte Sachen macht. Aber ein politischer Dokumentarfilm muss nicht automatisch ein „Feel Bad“-Movie bedeuten. Demokratie und Engagement dürfen auch mal „feel good“ sein.
In ihrem Film Zauberberg, der 2019 im Fernsehen und 2021 auf DVD herauskam, haben Sie ein ähnliches Thema aufgegriffen. Auf diesem Berghotel in den Dolomiten gibt es immer noch keine Telefone, Fernseher oder Minibars. Wurde dieser Film auch auf 35 Millimeter gedreht?
Nein, sondern digital in verschiedenen Formaten. Ich muss dazu zwei Dinge sagen. Erstens bin ich kein Prediger „Zauberberg ist ein kleiner Film, der improvisiert und mit wenig Geld hergestellt wurde. Er speist sich aus meiner persönlichen Geschichte zu diesem Ort, an dem ich aber ganz ähnliche Werte wie bei Impossible antreffe. Zweitens habe ich den ersten erfolgreichen digitalen Kinofilm produziert, nämlich Russian Ark von Alexander Sokurov im Jahr 2002. Der ist in einer einzigen Einstellung gedreht, ohne einen einzigen Schnitt. Dieser erste digitale Film im Wettbewerb von Cannes hat ein bisschen die Todesglocken für den analogen Film eingeläutet. Aber es war total aufregend, diesen „One Shot“ zu erfinden. Auf echtem Film geht das gar nicht, weil die Rolle zu kurz ist.
Sie sagen im Presseheft, dass Sie nicht zu denen gehören, für die früher alles besser war.
Mir ist es aber wichtig, vorzuführen, dass das Analoge weiterhin eine mögliche Alternative bleibt. Als ich mit An impossible Project anfing, gab es durchaus Kamera-Kollegen aus der Branche, die argumentierten, ich solle das lassen, weil echter Film tot sei. Das hat mich total fuchsig gemacht. Die Haltung, etwas sei unmöglich, nur weil es langsamer ist, ist nicht gut für unsere Gesellschaft, da bin ich ganz auf der Linie vom „Doc“.
Hat sich Ihr persönliches Verhältnis zu digitalen Hilfsmitteln durch die Bekanntschaft mit dem Doc verändert? Worauf können Sie als Filmemacher und Produzent verzichten?
Bei mir fiel während der Dreharbeiten ein Groschen. Das war, als er junge Oskar Smolokowski, der später die Geschäftsführung von Polaroid übernimmt, zu mir sagte, die Welt werde nie wieder zu hundert Prozent analog. Es gehe vielmehr darum, das Beste von beiden Welten zu nutzen. So halten wir es doch alle in unserem Leben. Wenn ich unterwegs E-Mails beantworten will, schreibe ich natürlich keine Briefe mit der Schreibmaschine. Aber in der Firma habe ich mittlerweile drei Schreibmaschinen. Einen Dankesbrief oder eine Weihnachtskarte zu schreiben, macht auf dem analogen Gerät viel mehr Spaß.
Und privat, worauf können Sie da verzichten?
Meine 19-jährige Tochter ist sogar weiter als ich. Schon seit zwei Jahren wollen wir ihr ein I-Phone zum Geburtstag schenken, aber sie verzichtet darauf und behält lieber ihr altes Nokia. Ich selber habe wieder echte Tagezeitungen abonniert. Das ist eine viel bessere Lese-Erfahrung: 20 Minuten zu finden, um da durchzublättern und über eine interessante Geschichte zu stolpern, nach der man auf dem Smartphone nie gesucht hätte. Ein anderes Thema sind echte Fotos auf Papier. Auch meine Kinder haben begonnen, mit echtem Film zu fotografieren. Manchmal fällt einem nach 20 Jahren ein Polaroid aus einer Schublade entgegen, das man vergessen hatte. Ein solches Erlebnis wird man nie mehr haben, wenn man komplett auf WhatsApp umsteigt.
Auf welchem Material drehen Sie ihren nächsten Film?
Den gibt es schon. Er befindet sich in der Corona-Warteschleife und heißt Seaside Special. Er wurde ebenfalls analog gedreht, dieses Mal auf 16 Millimeter. Die Dokumentation ist eine Liebeserklärung an England trotz oder gerade zu Zeiten des Brexit – ein Land, das mir sehr nahe steht. Kurioserweise habe ich in England mit Boris Johnson und Michael Gove zusammen studiert und war mit ihnen eng befreundet. Meine Reaktion auf den Brexit war, das auszudrücken, was ich als Deutscher an den Briten liebe, nämlich den Humor. Ich verbrachte ein Jahr in dem kleinen Küstenort Cromer. Dort wird das letzte professionelle Seaside Special Varieté-Theater betrieben, direkt am Nordsee-Pier. Es ist ein Film mit sehr viel Musik und Tanz. Zugleich schlagen nicht nur die Wellen der Nordsee an den Pier, sondern auch die Wellen des Brexit. Der Film hatte dieses Jahr beim Festival in Hof Premiere.
(Anzeige)