Die 19-jährige Linnéa (Sofia Kappel) hat einen Traum: Sie möchte ein Porno-Star werden! Da dies in ihrer Heimat, einer schwedischen Kleinstadt, jedoch nicht so einfach ist, packt sie ihre Koffer und zieht in die USA. In Los Angeles, nahe der Traumfabrik, will sie unter ihrem neuen Namen Bella Cherry richtig groß rauskommen. Dort empfängt man sie mit offenen Armen. Für eine hübsche junge Blondine ist schließlich immer Platz. Außerdem scheut sie nicht davor zurück, auch einmal so richtig aus sich herauszugehen. Krasse Sachen? Machen ihr keine Angst. Ganz so einfach, wie sie sich das vorgestellt hat, ist das freizügige Glitzerleben dann aber doch nicht. Die Konkurrenz ist groß, die Anforderungen hoch. Vor allem die heiß begehrten Videos, in denen Frauen vor laufender Kamera gedemütigt werden, setzen ihr mehr zu, als sie im Vorfeld gedacht hätte …
Hinter den Kulissen der Porno-Industrie
Die Welt der Pornos ist eine, die den meisten Menschen gleichzeitig sehr fremd und doch auch bekannt ist. Früher ausschließlich in speziellen Läden gehandelt, die sich hinter großen Buchstaben und Bildern mit nackten Frauen versteckten, sind die Sexvideos inzwischen eigentlich überall zu finden. Das Internet macht es möglich. Und auch wenn nicht allzu viele das öffentlich zugeben würden, sie werden in Massen konsumiert. Über die Auswirkungen dieser Videos wird immer wieder kontrovers diskutiert. Selbst wer nicht zu den konservativ eingestellten Leuten gehört, die Pornos schon aus Prinzip ablehnen, darf sich zuweilen fragen: Ist das gut so? Werden auf diese Weise Bedürfnisse befriedigt oder erzeugt? Gerade bei jungen Menschen kann das Anschauen dieser Filme ungesunde Erwartungshaltungen erzeugen und fragwürdige Rollenbilder festigen – so zumindest der Vorwurf.
Pleasure kümmert sich aber weniger um die Frage, welche gesellschaftlichen und individuellen Auswirkungen Pornos haben können. Stattdessen interessiert sich Regisseurin und Co-Autorin Ninja Thyberg für den Akt der Produktion als solchen. Um das Publikum diese Welt vorzustellen, greift sie auf eine in Filmen immer wieder beliebte Methode zurück: Wir erkunden sie zusammen mit jemandem, der sie ebenfalls nicht kennt. Zumindest nicht als Teilnehmende. Ob und wie viel Pornos Bella zuvor selbst geschaut hat, wird dabei nicht verraten. Es wird ja nicht einmal ganz deutlich gesagt, was genau sie überhaupt dazu veranlasst, den weiten Weg in die USA zurückzulegen. Darauf angesprochen wird sie zwar schon, aber die Antworten bleiben eher diffus. Das Drama wird kein Psychogramm, das alle Details fein säuberlich herausarbeitet. Nur selten sticht der Mensch hinter dem aufstrebenden Starlet hervor.
Vielschichtige Kritik
Das könnte bei manchen als Manko empfunden werden. Aber es passt doch sehr gut zu einem Film, der sich sehr mit Fassaden befasst – und den Lügen, die damit einhergehen. Bei den Videos, die gedreht werden, ist so ziemlich alles falsch. Mit Lust hat das eher selten etwas zu tun, auch wenn der Titel Pleasure dies erwarten lässt. Es ist vor allem Arbeit und ein ständiges so tun als ob. Eine der absurdesten Stellen ist, wenn Bella sich vor der Kamera erniedrigen und beschimpfen lassen muss. Doch als sie mit der Erfahrung überfordert ist, zeigen die Männer am Set Verständnis, lassen ihr erst einmal Freiraum, sind auf eine Weise freundlich, wie sie die kurz zuvor gefilmte Szene niemals vermuten lassen würde. Die Freundlichkeit ist kaum mit den Bildern in Einklang zu bringen, die wir vorher sehen mussten. Es steht Bella auch völlig frei, einfach zu gehen und das alles hinter sich zu lassen.
Die Protagonistin wird nicht einfach in eine Opferrolle gedrängt. Bella ist nicht irgendwie da hinein gerutscht, sondern hat sich bewusst dafür entschieden. Auch bei anderen Kolleginnen, die in Pleasure auftauchen, hat man auf den ersten Blick das Gefühl, dass das alles gar nicht so schlimm ist. Also alles reinste Idylle? Ganz so ist es dann auch nicht. Das Drama, welches eigentlich bei den Filmfestspielen von Cannes 2020 Premiere hätte haben sollen, dann aber erst beim Sundance Film Festival 2021 gezeigt wurde, ist durchaus eine Kritik am Pornogeschäft. Thyberg ruht sich aber nicht auf plumpen Klischees aus, sondern zeigt eine Welt voller Widersprüche. Ja, es gibt sie, die übergriffigen Männer, die Frauen wie Dreck behandeln. Aber nicht nur. Die Ausbeutung der jungen Frauen funktioniert auch ohne Gewalt und abseits von heruntergekommenen Hinterzimmern.
Frauen im Blick der Männer
Pleasure führt uns eine Welt vor Augen, die durch den männlichen Blick bestimmt wird und allein für diesen existiert. Eine Traumwelt, in der Frauen eine existenzielle Rolle spielen – und gleichzeitig Fremdkörper sind. Das geht teilweise ganz schön an die Nieren. Doch der Film lebt nicht allein von Schockmomenten. Es ist vielmehr die rein beobachtende, dokumentarische Weise, welche Eindruck hinterlässt. Zu diesem Zweck arbeitete Thyberg einerseits mit einer Hauptdarstellerin, die keine schauspielerische Erfahrung hat. Die anderen Leute, die in Pleasure auftreten, arbeiten hingegen tatsächlich in der Pornoindustrie und konnten dadurch eigene Erfahrungen einbringen. Das Ergebnis ist ein Film, der sicherlich nicht gefällig ist, weder für Pornokonsumenten noch Kritiker und Kritikerinnen dieser Industrie. Dafür ist er zu vielschichtig. Doch genau das macht ihn so wichtig, erlaubt er doch einen Blick hinter die Fassade und lädt dazu ein, sich selbst mit dem Thema auseinanderzusetzen und eigene Gedanken zu formulieren.
OT: „Pleasure“
Land: Schweden, Frankreich, Niederlande
Jahr: 2021
Regie: Ninja Thyberg
Drehbuch: Ninja Thyberg, Peter Modestij
Musik: Karl Frid, Pär Frid, Ludvig Klint
Kamera: Sophie Winqvist Loggins
Besetzung: Sofia Kappel, Evelyn Claire, Dana DeArmond, Revika Anne Reustle, Chris Cock
Wer mehr über den Film erfahren möchte. Wir durften uns mit Hauptdarstellerin Sofia Kappel und Regisseurin Ninja Thyberg anlässlich des Kinostarts von Pleasure unterhalten und haben ihnen zahlreiche Fragen zum Porno-Drama gestellt.
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Europäischer Filmpreis | 2021 | Bestes Erstlingswerk | Nominierung | |
Film Independent Spirit Awards | 2022 | Beste Regie | Ninja Thyberg | Nominierung |
Beste Nebendarstellerin | Revika Anne Reustle | Nominierung |
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