1941: Nachdem die deutsche Wehrmacht vier russische Armeen um Wjasma geschlagen und viele Gefangene gemacht hatte, versuchten die verbliebenen Soldaten eine Flucht durch die gegnerischen Linien, um zu den dahinter liegenden russischen Positionen zu gelangen. Im tiefsten Winter macht sich eine siebenköpfige Truppe aus Überlebenden auf ihren Weg durch knietiefen Schnee und eisige Kälte. Die deutsche Wehrmacht, die das eroberte Gebiet absichert und nach Partisanen und Desertierten durchkämmt, hat mit einem Problem in der Region um die Kleinstadt Medyn zu kämpfen: Ein abtrünniger, einsamer russischer Soldat, der „Red Ghost“ genannt wird, lauert den Nazis immer wieder auf und tötete über die letzten Monate ganze Mannschaften im Alleingang. Diese lebende Legende, gefürchtet von den einen, gibt den anderen Hoffnung und Kraft den mühsamen, von tödlichen Gefahren umlauerten Weg durch feindliche Reihen zu überstehen…
Red Robin Hood
Ein roter, kommunistischer Geist, der ganz allein viele dutzend deutsche Soldaten ausschaltet und wie ein Robin Hood Gold und Reichtum in Form von Hoffnung an die armen Flüchtigen verteilt. Ein konzeptioneller Rächer, der interessanterweise gar nicht die Rolle des Protagonisten einnimmt. In Red Ghost – Nazi Hunter ist er eine Legende, eine stille Post, die in den Reihen der deutschen und russischen Truppen seine Runden zieht und omnipräsent seinen Schatten auf das weite, karge Land wirft. Die Geschichten könnten überzogen dargestellt sein, gar ausgedacht, doch als Zuschauende erlebt man die tödliche Präzision sofort mit der ersten Szene, als deutsche Soldaten zwei Entertainer, Ehemann und -frau, inmitten der eisigen Kälte hinrichten wollen. Der unsichtbare Scharfschütze rettet die beiden, eliminiert die Soldaten aus der Ferne, den letzten gar durch den Reifen eines Fahrzeugs hindurch. Er spricht nicht, gibt den beiden etwas Essen mit auf ihre Flucht und macht sich nach der Plünderung der Leichen selbst wieder auf die Reise.
Triste Farbwelten im weißen Schnee
So beginnt dieser nur eineinhalbstündige Film mit einem starken Auftakt. In der nun folgenden Sequenz sehen wir die Truppe aus Protagonisten auf ihrer fordernden Reise durch die unsittliche und doch wunderbar weiße Welt des Schnees. Durch offene Felder, dünne Wälder und verschneite Hügel kämpfen sie sich Schritt für Schritt vorwärts. Zwischengeschnitten sind in markant roter Schrift auf schwarzem Hintergrund die Opening Credits. Es ertönt laut schallende Orchester-Musik, die krachende Becken ohrenbetäubend wie die vertonte klirrende Kälte. Zwar wirbelt der überraschend kräftig einsetzende Soundtrack zu Anfang gemischte Gefühle auf, doch fängt er die Aufmerksamkeit der Zuschauenden ein und bietet einen Einblick in das Grauen, vor dem die Figuren flüchten müssen, wenn sie diese harten Gegebenheiten durchschreiten.
Die Überraschung nimmt hier auch kein Ende: Red Ghost – Nazi Hunter zeichnet sich durch eine hervorragend triste Farbwelt aus, das blendende und einschneidende Weiß des Schnees und die hochragenden Birken kreieren eine angespannte und realistisch wirkende Atmosphäre. Fern von CGI und künstlichen Schneeumständen fiebert man auch vor dem Bildschirm intensiv mit den Protagonisten mit. Die Figuren wirken abgekämpft, sind keine unwirklich gepflegten, attraktiven und nur mit ein bisschen Kohle und Schmutz bepuderten Hollywoodgesichter, sondern leidende, zermürbte Menschen auf der vielleicht letzten Reise ihres Lebens.
Endzeit-Stimmung auch ohne Untote
Die Truppe verliert zu Anfang ihren schwerverletzten Kameraden, den sie auf einer Trage durch die Schneemassen transportieren, gewinnen aber einen weiteren hinzu, einen jungen Deserteur kurz vor dem Erfrieren. Mit gebrochener, heiserer Stimme vermittelt er einen tragisch-wirklichen Eindruck eines zerstörten Körpers kurz vor dem Ende. Auch eine Frau ist mit von der Partie, die Feldärztin, die im achten Monat ihrer Schwangerschaft noch härter um ihr doppeltes Überleben kämpft als die Männer.
Die lang andauernde Einsamkeit, die endlich mal ganz ohne Zombies eine spannende Endzeit-Stimmung vermittelt, wird nur durch Szenen einer deutschen Truppe unterbrochen, die auf ihrer Patrouille nicht weit von unseren Helden und der Heldin entfernt ist. Die dadurch entstehende Dringlichkeit wirft das, durch die omnipräsente Winternatur entstehende, Gefühl einer sich entfaltenden Bottle-Episode über den Haufen – doch das ist eine gute Sache. Diese Konflikt fügt sich wunderbar in die ängstliche und zugleich verherrlichende Situation der Protagonisten ein.
Tragische Superhelden-Legende?
Es ist scheint klar, dass dieser russische Film einen gewissen Nationalstolz vermitteln soll und daher auch als Teil einer Propaganda des starken Russlands und seiner hartgesottenen Einwohner gesehen werden kann. Aber die über der Situation schwebende Figur des Red Ghost gibt dem Ganzen ein sehr internationales und beinahe alltägliches Rahmenkonzept mit Hoffnungsschimmern und Superheld, wie er für die Amerikaner beispielsweise Captain America wäre – nur eben außerhalb eines spaßigen Kino-Universums, sondern integriert in eine unvorstellbare, vergangene Welt, deren Eindrücke und Geschehnisse aber nie in Vergessenheit geraten werden. Eine Prise Humor gibt es dennoch hier und da und – interessanterweise – gerade dann, wenn absichtlich mit russischen Stereotypen wie Alkoholismus herumgespielt wird. Eine erfrischende Darstellung, die man sicher nicht als selbstverständlich von einer russischen Produktion erwartet hätte.
OT: „Krasnyy prizrak“
Land: Russland
Jahr: 2020
Regie: Andrei Bogatyrev
Drehbuch: Andrei Bogatyrev, Vyacheslav Shikhaleev, Pavel Abramenkov
Musik: Sergei Solovyev
Kamera: Nikita Rozhdestvensky
Besetzung: Alexei Shevchenkov, Vladimir Gostyukhin, Yuri Borsov, Polina Chernyshova, Wolfgang Cerny, Mikhail Gorevoi
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