Mitte der 1960er Jahre merkt man sogar in Newark, New Jersey, dass sich die Zeiten ändern, die Jugend immer unzufriedener mit dem politischen Establishment ist und die Afroamerikaner ihre Bürgerrechte einfordern, wobei in der Mafia nach wie vor die alten Regeln herrschen. In dieser Zeit erwartet Dickie Molitsanti (Alessandro Nivola) die Rückkehr seines Vaters „Hollywood Dick“ Moltisanti (Ray Liotta), der in Italien seine neue Braut Giuseppina (Michela De Rossi) kennengelernt hat. Das Ereignis wird gebührend gefeiert von anderen Mitgliedern des DiMeo-Syndikats, zu dem auch Johnny Soprano (Jon Bernthal) sowie dessen Bruder Junior (Corey Stroll) gehören. Neben seinem Vater Johnny ist Dickie eine Vertrauensperson und ein Vorbild für den jungen Tony Soprano (William Ludwig, als Jugendlicher gespielt von Michael Gandolfini), da er sich von ihm verstanden fühlt, während die Ehe seines Vaters und seiner Mutter Livia (Vera Farmiga) alles andere als harmonisch verläuft.
Innerhalb der Organisation hat sich Dickie im Laufe der Jahre nicht zuletzt einen Namen gemacht durch seine afroamerikanischen Kontakte wie Harold MyBrayer (Leslie Odom Jr.), der für ihn Schutzgeld eintreibt und von den Protesten um ihn herum schließlich davon überzeugt wird, ebenfalls Teil von ihnen zu werden. Während die Proteste nach der Verhaftung eines afroamerikanischen Taxifahrers eine neue Dimension annehmen, sich über die Stadtgrenzen hinaus erweitern und letztlich auch die Geschäfte der Familie empfindlich treffen, sehen die Soldaten der DiMeo-Familie sich mit einer neuen Herausforderung konfrontiert.
Eine Zeit des Umbruchs
Als gegen Ende der 1990er das erste Mal das mittlerweile berühmte Intro der Serie The Sopranos bei HBO erschien, war dies der Anfang einer neuen Ära des Formats Serie, was bis heute gilt und viele Nachahmer nach sich zog. David Chase begleitete die Serie über ihre sechs Staffeln als Produzent und Drehbuchautor, war aber, wie er selbst beschreibt, sehr lange gegen einen Film, der die Vorgeschichte von Figuren wie Tony Soprano zeigen sollte. Letztlich wurde er umgestimmt durch eine Vermischung des Projekts mit den turbulenten 1960er Jahren in New Jersey, die er am eigenen Leibe erlebte und als Fundament für die Vorgeschichte dienen sollten, in der Michael Gandolfini, der Sohn von Tony Soprano-Darsteller James Gandolfini, schlüpft, aber keinesfalls die Hauptfigur von The Many Saints of Newark darstellt.
Auch wenn Alan Taylors Film letztlich auf HBO Max ein Streamingerfolg wurde, konnte The Many Saints of Newark an den Kinokassen nur einen Bruchteil seiner Kosten wieder einspielten, was möglicherweise daran liegen mag, dass man die Nähe zur Serie als ein Nachteil gesehen wurde, da deren Geschichte als Voraussetzung für den Sehgenuss gilt. Dies ist aber mitnichten der Fall, auch wenn man das Wissen um die Serie natürlich ein Pluspunkt für jeden Zuschauer ist. So werden an vielen Stellen Andeutungen oder gar Vorausdeutungen gemacht, beispielsweise auf Tony Sopranos Angstzustände oder seine Fehde mit seinem Onkel Junior, im Film gespielt von Cory Stroll. Nötig ist das Vorwissen jedoch nicht, denn im Kern ist The Many Saints of Newark eine Geschichte über eine Zeit des Umbruchs, einer Auseinandersetzung mit dem Gründungsmythos der USA, also des Amerikanischen Traumes, welcher sich in den beiden Familien, den Sopranos wie auch den Moltisantis, und dem Syndikat an sich widerspiegelt.
Die Qualitäten eines Anführers
In vielerlei Hinsicht emanzipiert sich The Many Saints of Newark ästhetisch von der Serie, behält aber deren narrative Strukturen bei. Abermals ist es die Verstrickung zwischen dem teils sehr blutigen Geschäft von Männern wie Johnny Soprano und Dickie Moltisanti sowie den Familienfehden, wobei es nicht zuletzt um Aspekte wie Vormachtstellung, Einfluss und Hierarchien geht. Darsteller wie Alessandro Nivola, Jon Bernthal oder Ray Liotta spielen Charaktere, die nicht nur als Echos auf die Geschichte der Serie zu verstehen sind, sondern deren Passionen, ihre Wut, ihre Niedertracht, aber auch ihre Liebe, für einen Menschen wie Tony Soprano bedeutsam sind. Letztlich ist The Many Saints of Newark eine beachtliche Ensembleleistung, bei der jeder Darsteller im Gedächtnis bleibt und sich viele Momente dem Zuschauer einprägen werden, was schließlich auch eine Leistung des von David Chase und Lawrence Konner geschriebenen Drehbuchs ist.
Innerhalb der Riege der vielen Darsteller darf man auch den jungen Michael Gandolfini nicht vergessen, der in die „Qualitäten eines Anführers“ noch hineinwachsen muss und beeindruckend die Entwicklung eines jungen Mannes spielt, der lernen muss, wie man sich innerhalb einer Hierarchie beweist, aber auch von eben jenen Ängsten und Geistern umgeben wird, die ihn zu dem Mann machen, der er später noch sein wird.
OT: „The Many Saints of Newark“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Alan Taylor
Drehbuch: David Chase, Lawrence Konner
Musik: Peter Nashel
Kamera: Kramer Morgenthau
Besetzung: Alessandro Nivola, Jon Bernthal, Leslie Odom Jr., Corey Stroll, Michael Gandolfini, Billy Magnussen, Ray Liotta, Vera Farmiga, Michela De Rossi, John Magaro, Michael Ludwig
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