Die späten 1960er und 1970er Jahre waren eine historisch wie auch gesellschaftlich sehr bewegte Zeit überall auf der Welt. In den USA wuchs der Widerstand gegen den Vietnamkrieg, doch zugleich feierte das Establishment unter Präsident Richard Nixon eine Rückkehr zu konservativen Werten, wie es noch nicht einmal Lyndon B. Johnson und dessen Administration geschafft hatte. Kulturell zeigte sich diese Zeit der Kontraste langsam aber sicher in der Literatur, der Musik wie auch in den Filmen, und auf einmal genossen Regisseure, Autoren und Musiker eine Aufmerksamkeit, die sie noch vor zehn Jahren niemals erhalten hätten, was keinesfalls mit einem Mangel an Talent zu tun hatte. Dank einiger Kinobesitzer und Produzenten, die an Werke wie Eraserhead, El Topo und Die Nacht der lebenden Toten glaubten, gelang es beispielsweise Filmemachern wie David Lynch, George A. Romero und Alejandro Jodorowsky sich ein größeres Publikum zu erschließen, ohne dabei größere Zugeständnisse machen zu müssen, was die Machart ihrer weiteren Werke anging. Unter ihnen gelang es auch John Waters zu so etwas wie einem Kultfilmemacher zu etablieren, dank solcher Filme wie Multiple Maniacs, Female Trouble und Pink Flamingos, die in gewisser Weise die logische Konsequenz seiner vorherigen Arbeit waren, welche nicht nur Independent-Produktionen bestand, sondern ebenso aus Auftritten, die er zusammen mit seinen Darstellern bestritt und die seine Verbeugung vorm Vaudeville-Theater waren, einer Kunstform, die Waters bis heute sehr bewundert.
Mitte der 2000er Jahre entschloss sich Waters, mit This Filthy World eine weitere Show auf die Bühne zu bringen, mit der er bis in die frühen 2010er Jahre einige Auftritte hatte. Wer den Regisseur und Schauspieler durch seine Interviews oder Kommentare zu den Werken anderer Filmemacher oder Schauspieler kennt, darf von dem Programm jene kunterbunte, anekdotenreiche Unterhaltung erwarten, die man von ihm gewohnt ist. In This Filthy World geht es um eine ganze Bandbreite an Themen, die sich zwar an Waters’ Werk chronologisch orientieren, an den Dreharbeiten und den zahlreichen Skandalen, die er damit bisweilen provozierte, doch zugleich zeigt er sich als genauer Beobachter menschlicher Schwächen, von Heuchelei und Doppelmoral, was er mit zahlreichen Beispielen oder Alltagsbeobachtungen belegt, die immer wieder sehr erhellend aber vor allem zum Brüllen komisch sind.
Grenzen austesten
Filmkritiker wie auch Zuschauer haben Waters den Spitznamen „Pope of Trash“ gegeben, wegen seiner Filme und Auftritte, die sich gegen das bürgerliche Establishment richten und dessen Werte. Anstatt diesen Ruf abzulehnen, umarmt Waters ihn jedoch geradezu, was man bereits nach wenigen Minuten von This Filthy World sehen kann, wenn er seine Liebe für schlechten Geschmack beteuert. Die circa 90 Minuten des Live-Auftritts sind daher als eine Art Einführung oder auch Begleitung des Regisseurs zu verstehen, der intelligent und mit viel Witz über die Entrüstung berichtet, die ihm bisweilen entgegenkam, ob von Zuschauerseite oder der Filmwelt an sich. Immer deutlicher wird dabei, dass jenes Prinzip des Hässlichen Teil jenes Kunstbegriffes ist, den Waters nach wie vor verfolgt, und welcher sich leider von jener Kunst- und Kulturvorstellung von heute weitestgehend verabschiedet hat, was diese nicht nur ausgesprochen langweilig, sondern darüber hinaus berechenbar macht.
Die Laufzeit des Programms vergeht wie im Fluge und man könnte Waters noch viel länger zuhören, denn seine Pointen finden genauso ihr Ziel wie jene entlarvenden Geschichten über den alltäglichen Wahnsinn unseres Lebens. Letztlich verbirgt sich hinter den Aussagen ein Appell zu mehr Bildung, zu mehr Neugier und etwas mehr Mut im Leben, sich durch Kunst bewegen zu lassen, was bedauerlicherweise immer weniger Menschen zulassen.
OT: „This Filthy World“
Land: USA
Jahr: 2006
Regie: Jeff Garlin
Drehbuch: John Waters
Musik: Lukas Kaiser, Jared Gutstadt
Kamera: Daniel Shulman
Toronto International Film Festival 2006
Berlinale 2007
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