Wanda mein Wunder
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Wanda, mein Wunder

Inhalt / Kritik

Wanda mein Wunder
„Wanda, mein Wunder“ // Deutschland-Start: 6. Januar 2022 (Kino) // 25. März 2022 (DVD)

Seit seinem Schlaganfall ist Josef (André Jung) körperlich stark beeinträchtigt. So kann er sich kaum noch bewegen, braucht Hilfe beim Essen und auch bei der Pflege. Doch zum Glück gibt es ja noch Wanda (Agnieszka Grochowska). Immer wieder kommt die Polin für mehrere Monate zur Familie Wegmeister-Gloor, die in einem großen Haus am Zürichsee lebt. Dort kümmert sie sich um den alten Mann und unterstützt auch dessen Frau Elsa (Marthe Keller) beim Haushalt. Die Reaktionen der Familie sind dabei unterschiedlich. Während Josef schnell abhängig wird von der jungen hübschen Frau und Sohn Gregor (Jacob Matschenz) ebenfalls Gefallen an ihr findet, hat Tochter Sophie (Birgit Minichmayr) nur wenig für die Fremde übrig. Diese Antipathie verstärkt sich später noch, als herauskommt, dass Wanda mehr ist als eine reine Pflegekraft …

Meine billige Arbeitskraft von nebenan

Ein bisschen hat das natürlich schon von einer gespaltenen Persönlichkeit. Immer wieder wird in westlichen Ländern über die ganzen Ausländer geschimpft, die nur von dem eigenen Wohlstand schmarotzen wollen und die Arbeit wegnehmen. Fallen diese Ausländer aber mal aus welchen Gründen auch immer weg – beispielsweise durch Brexit oder Corona-Einreisebestimmungen – fällt den Einheimischen auf: Wer soll denn jetzt die Drecksarbeit erledigen? Wanda, mein Wunder scheint zunächst ein Kommentar auf diese ausbeuterische Ausnutzung von Arbeitskräften aus dem Ausland zu sein, die nicht nur wenig Geld erhalten, sondern auch wenig Anerkennung. „Das bisschen Haushalt“ nennt es Elsa, als sie zu Beginn mit Wanda darum feilscht, dass sie doch bitte auch mehr als die Pflege übernehmen soll. Es darf nur nichts kosten, obwohl Geld bei der vermögenden Familie offensichtlich keine Rolle spielt.

Aber auch die anderen Familienmitglieder nutzen Wanda zu gerne aus. Josef überredet sie regelmäßig zu sexuellen Handlungen, gegen ein kleines Taschengeld. Sophie wiederum weist sie verbal in ihre Schranken, lässt zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel daran, dass sie in der Polin nur eine minderwertige Nutznießerin sieht. Allein Gregor ist ihr offen zugetan. Aber der wirkt sowieso völlig fehl am Platz in dem Haus, da er als einziger keinen Gefallen an der kapitalistischen Ellbogengesellschaft hat. Er beobachtet lieber Vögel. Und das ist nicht der einzige Anlass für Konflikte, wenn der Sohnemann zum neuen Firmenchef aufgebaut werden soll, während die deutlich besser geeignete Tochter leer ausgeht. Wanda, mein Wunder taucht ein in eine Familie, die so kaputt ist, dass es überhaupt keinen Impuls von außen mehr braucht, um sie krachend zusammenbrechen zu lassen.

Die Tragik hinter der Fassade

Das ist anfangs oft lustig, geht teilweise in eine satirische Richtung, die ein wenig an die Klassenkampf-Sensation Parasite erinnert. Doch mit der Zeit wandelt sich das. Regisseurin und Co-Autorin Bettina Oberli (With the Wind) beginnt, stärker hinter die Fassade der Familienmitglieder zu schauen und die Verletzlichkeit aufzuzeigen. Denn eigentlich sind sie alle unglücklich mit ihrem Leben, sind auf ihre Weise Gefangene geworden, die sich nach einem Ausbruch sehnen. Das würden sie natürlich nicht zugeben, allein schon weil es bei Familie Wegmeister-Gloor üblich ist, dass niemand wirklich miteinander redet. Wobei es Wanda, mein Wunder zum Teil offen lässt, inwiefern sich die Figuren eigentlich selbst bewusst sind, was da vor sich geht. Sie leben nicht nur geografisch abgelegen ohne viel zwischenmenschlichen Kontakt. Auch im Kopf leben sie in einer eigenen Welt.

Wanda, mein Wunder macht sich dabei einerseits über die Figuren lustig und zeigt sie von ihrer hässlichen bis lächerlichen Seite. Gleichzeitig begegnet der Film ihnen mit Sympathie, zeigt sie als Leute, die tief unglücklich sind und nicht wissen, wie sie diesem Zustand noch entkommen sollen. Anders als die wundervolle Mary Poppins, die eine dysfunktionale Familie wieder zusammenführte, macht Wanda ihnen erst bewusst, wie kaputt das alles ist. An ihr ist auch nichts Magisches: Sie hat Ecken und Kanten, lässt sich auf die Demütigungen ein, um ihre eigenen Kinder versorgen zu können, die sie in Polen zurücklassen musste. Oberli widersteht der Versuchung, sie zu einem heiligen Opfer hochzustilisieren, an dem sich der Rest der Welt ein Vorbild nehmen muss. Sie ist letztendlich auch nur jemand, der irgendwie versucht, sich durchzukämpfen – mit mal mehr, mal weniger Erfolg.

Gut gespielte Ambivalenz

Bis zum Schluss behält der Film seine ambivalente Note bei, verzichtet auf zu eindeutige Schwarz-Weiß-Zeichnungen, wenn sich mit der Zeit immer mehr Grautöne in das Familienporträt mischen. Dass dies mit der Ambivalenz so gut klappt, liegt letztendlich auch am Ensemble, das Oberli um sich versammelt. Dieses überzeugt sowohl in den komischen wie auch den traurigen Momenten, die im weiteren Verlauf immer stärker werden. Auch wenn man die wenigsten Personen hier sympathisch nennen würde, es gelingt den Schauspielern und Schauspielerinnen das Menschliche hinter der Maske zu entdecken und sichtbar zu machen. Am Ende mag Wanda, mein Wunder selbst kein Wunder in dem Sinne sein, der Film ist so sehr mit den Figuren und der Dynamik zwischen ihnen beschäftigt, dass der gesellschaftliche Aspekt verlorengeht. Dennoch ist es schön, dass die Schweizer Tragikomödie nach unendlichen Verschiebungen doch noch ihren Weg zu uns findet.

Credits

OT: „Wanda, mein Wunder“
Land: Schweiz
Jahr: 2020
Regie: Bettina Oberli
Drehbuch: Bettina Oberli, Cooky Ziesche
Musik: Grandbrothers
Kamera: Judith Kaufmann
Besetzung: Agnieszka Grochowska, Marthe Keller, André Jung, Birgit Minichmayr, Jacob Matschenz, Anatole Taubman

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„Wanda, mein Wunder“ erzählt von einer vermögenden Familie in der Schweiz, die sich von einer polnischen Pflegekraft aushelfen lässt. Das beginnt satirisch und gesellschaftskritisch, wird später jedoch zunehmend zu einem Drama rund rum eine dysfunktionale Familie, bei der niemand mit niemandem kann und alle schrecklich unglücklich sind. Das ist sehenswert ambivalent, auch wegen des tollen Ensembles.
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