In einer von Bildern definierten Welt ist es vielleicht nur konsequent, dass gerade diese nicht nur die Berichterstattung über ein Ereignis diktieren, denn auch die Wahrnehmung der Öffentlichkeit wird durch sie mehr und mehr geleitet. Im Kontext der Pandemie war es die schier unaufhörliche Bilderflut verlassener Innenstädte während des Lockdowns oder die schrecklichen Aufnahmen der Ärzte und Pflegekräfte an Orten wie Wuhan, die unsere Vorstellung des Ausmaßes der COVID-Krise prägten. In der Flüchtlingskrise war es zum einen das Bild eines jungen Mannes, der ein Selfie mit Angela Merkel machen durfte, einerseits, doch andererseits auch die Fotografie des toten Körpers eines kleinen Jungen, der am Strand angespült worden war, was unsere Wahrnehmung dieses Ereignisses beeinflusste.
Dabei bleibt die Auseinandersetzung mit diesen Aufnahmen immer nur flüchtig und oberflächlich, werden diese doch schnell wieder etwas Neuem abgelöst und kehren erst dann wieder, wenn am Ende eines jeden Jahres die unvermeidliche Flut von Jahresrückblicken folgt, wobei sich die Form der Auseinandersetzung jedoch nicht ändert. Bei den Menschen, die eben jene Fotos gemacht haben und teils sogar durch die berühmt wurden, bleibt jedoch ein Eindruck von diesem Ereignis, der Aufnahmen wie auch des Kontextes, in dem diese stattfand, der sich nicht mehr auslöschen lässt und zum Teil einer Biografie wird.
Viele Fotografen und Künstler wurden gerade durch ihre Aufnahmen von Krisengebieten und Konflikten berühmt. Roger Fenton, Felice Beato oder Jack Turner sind nur drei Beispiele von Fotografen, die durch ihre Bilder eines Krieges oder dessen unmittelbaren Folgen berühmt wurden, und deren Aufnahmen deswegen nicht nur teils in Geschichtsbüchern zu finden sind, sondern in internationalen Museen oder Ausstellungen. Auch die Karriere des Israeli Micha Bar-Am fußt auf seinen Aufnahmen von Konflikten, beispielsweise denen des Sechs-Tage-Krieges von 1967 oder denen des Jom-Kippur-Krieges, wobei besonders die Dokumentation des Massakers von Sabra und Schatila 1982 einen nachhaltigen Eindruck bei dem Fotografen hinterließ. Von daher geht es in 1341 Bilder von Krieg und Liebe dem israelischen Dokumentarfilmer Ran Tal nicht allein um eine Rekapitulation der Biografie des Künstlers. Im Fokus steht genauso, welchen Eindruck seine Arbeit auf ihn selbst und seine Familie gemacht hat und wie er heute zu diesen Aufnahmen steht. Die von der Organisation yesDOCU unterstützte Dokumentation feiert auf der Berlinale 2022 ihre Weltpremiere.
Erinnerung und Fotos
Zunächst erscheint es wie eine Szene, wie man sie aus vielen Dokumentationen kennt, wenn Bar-Am eine Fotografie kommentiert und sich an den Kontext einer Aufnahme erinnert. Dann jedoch wird er immer wieder von seiner Frau Orna Bar-Am unterbrochen, die ihm nicht nur vehement widerspricht, sondern zugleich seine Ausführungen versucht zu korrigieren, hat sie doch die Dokumente vor sich, welche die Aussagen ihres Mannes widerlegen. Der Disput, der schließlich beigelegt wird, steht sinnbildlich für den Prozess des Wieder-Entdeckens, der im Zentrum von 1341 Bilder von Krieg und Liebe steht, und welcher nicht immer konfliktfrei verläuft, stört sich Bar-Am doch an diversen Aspekten, angefangen bei der Fragestellung seines Gegenübers bis hin zu den Fotos an sich, die er teils anders wahrnimmt oder gar gänzlich verwirft. Die Bilder geben eine falsche Erinnerung wieder, führen zu einem Konflikt mit jener dokumentierten Wahrheit, wie diese Szenen zeigen, sodass die Frage im Raum steht, ob sich nun die Erinnerung anpassen muss oder das Bild an sich. Für jemanden wie Bar-Am, dessen Bilder für ihn, wie er beschreibt, auch eine Erinnerungshilfe sein sollten, ist dies eine mehr als problematische Ausgangslage, die in den Gesprächen mit Ran Tal auch mehrmals im Raum steht.
Dabei stehen jedoch die Fotos, die des Krieges, aber auch die privaten, beispielsweise die der Familie, im Vordergrund, wobei die Gespräche eine Art Voice-Over bilden. Ran Tal erzählt zwei Geschichten, wobei die Biografie des Künstlers eine Achse bildet, während parallel die der zahlreichen Konflikte bildet, welche Bar-Am in seiner Funktion als Kriegsfotograf oder Reporter dokumentierte. Aufgrund der zeitlichen Distanz, die dieser zu den Fotos hat, entsteht ein Porträt eines Menschen, der sich genau mit seiner Arbeit auseinandersetzen muss, mit dem, was er für gelungen hält, was ihn kaltlässt oder was ihn nach wie vor beschäftigt, was bisweilen zum Abbruch des Gespräches führt. Die Konflikte und Dilemmata, welche die Aufnahmen oder Erinnerungen auslösen, schneidet Ran Tal keinesfalls heraus, denn sie sind ebenso Teil eines Projektes wie 1341 Bilder von Krieg und Liebe und ergeben das Bild eines Künstlers, der seine Arbeit kritisch hinterfragt und mit zeitlicher Distanz betrachtet.
OT: „1341 Framim Mehamatzlema Shel Micha Bar-Am“
Land: Israel, UK, USA
Jahr: 2022
Regie: Ran Tal
Drehbuch: Ran Tal
Kamera: Ran Tal
https://www.youtube.com/watch?v=Mctu-cJOM0U&t=2s
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