Als Ende 2021 die deutsche Regierung durch eine neue abgelöst wurde, handelte es sich an und für sich um einen ganz normalen Vorgang, wie er in Demokratien selbstverständlich ist. Und doch markierte dies einen Einschnitt in der nationalen wie internationalen Geschichte. 16 Jahre war Angela Merkel an der Macht. Die erste Bundeskanzlerin hat das Land sowie Europa geprägt wie kaum jemand anderes seit der Jahrtausendwende. So sehr, dass man sich ein Deutschland ohne sie kaum noch vorstellen konnte. Tatsächlich erzählt in Angela Merkel – Im Lauf der Zeit eine Jugendliche, dass die Politikerin seit ihrer Geburt an der Spitze des Staates stand. Sie selbst kannte das gar nicht anders. Ob man das nun beeindruckend, lustig oder erschreckend findet, das steht auf einem anderen Blatt. Tatsächlich wird an einer Stelle in dem Dokumentarfilm auch gefragt, ob das so gut ist, wenn jemand so lange das Sagen hat.
Die Suche nach dem Mensch hinter dem Amt
Solche allgemeinen Überlegungen sind hier aber in der Minderheit. Vielmehr interessiert Regisseur Torsten Körner (Die Unbeugsamen): Wer ist diese Frau eigentlich, die stellvertretend für uns die Richtung des Landes bestimmte? Die Antwort darauf ist gar nicht so einfach. Dann und wann gibt es in Angela Merkel – Im Lauf der Zeit auch private Einblicke in ihr Leben. Diese erfolgen aber nur über Umwege und per zweiter Hand. Sie sei ganz anders abseits der Politik, wird uns verraten. Viel spontaner und witziger. Tatsächliche Beispiele liefert der Film jedoch nicht. Auch wenn in der Bewerbung der auf arte und in der ARD ausgestrahlten Dokumentation die Rede davon ist, dass noch niemand Merkel so nah gekommen wäre wie Körner: Das ist dann doch eher PR als akkurate Beschreibung. Einen wirklichen Einblick hätte die in der Öffentlichkeit meist eher distanzierte Politikveteranin gar nicht ermöglicht.
Überhaupt ist der Blick hier tendenziell dann doch einer von außen. Die meisten Szenen, in denen sie selbst zu Wort kommt, sind Archivaufnahmen. Stattdessen gibt es zahlreiche Interviews mit anderen Menschen, die mit ihr in Kontakt gekommen sind. Das können Leute aus dem Bereich der Politik sein. Christine Lagarde, die aktuelle Präsidentin der Europäischen Zentralbank, hat zum Beispiel einiges zu sagen. Auch Merkels lange Begleiterin Ursula von der Leyen gehört zu den Interviewten. Natürlich haben die alle nur Nettes zu sagen. Die Widersacher der in den späteren Jahren oft kritisierten Kanzlerin wurden im Film nicht befragt. Ob sie nicht wollten oder man sie nicht wollte, das darf spekuliert werden. So oder so gleicht Angela Merkel – Im Lauf der Zeit, wie so viele Dokumentarfilme über bedeutende Persönlichkeiten, einem Loblied.
Diverse Anekdoten, wenig Erkenntnisse
Das soll aber nicht heißen, dass der Film nichts zu erzählen hätte. Der Kontrast mit den mächtigen Männern der Politik, hierzulande wie auch in anderen Teilen der Welt, ist noch immer erstaunlich. Vor allem bei der Konstellation mit Trump prallten Welten aufeinander. Dass es Merkel überhaupt geschafft, sich in einem solchen Umfeld bis an die Spitze zu kämpfen, ist so oder so immer eine Erzählung wert. Das Langzeitporträt klappert die unterschiedlichsten Stationen ab, wodurch Merkels Geschichte zu einer Geschichte Deutschlands wird. Dazu gibt es nicht wenige Anekdoten, welche Angela Merkel – Im Lauf der Zeit aufwerten.
Dennoch: Für einen Dokumentarfilm, der gleich auf zwei Sendern zur Prime Time gesendet wird und mit viel Tamtam angekündigt wurde, ist das Ergebnis recht oberflächlich. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Streitthemen findet hier nicht statt. Einschneidende Ereignisse wie Fukushima, die Finanzkrise oder die Corona-Pandemie werden auf ein paar Stichpunkte reduziert. Das Ergebnis erinnert an die jährliche Rückschau-Sendungen, wie man sie regelmäßig im Fernsehen sieht. Wem das reicht, der schaut rein. Wer sich jedoch erhofft hat, wirklich profunde Erkenntnisse mitzunehmen, der wird von dieser Best-of-Sammlung enttäuscht.
OT: „Angela Merkel – Im Lauf der Zeit“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Torsten Körner
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