Lange haben Catherine (Jacqueline Bisset) und Georges (Jean-Pierre Cassel) nach einer Haushaltshilfe gesucht, ohne Erfolg. Umso größer ist die Freude, als sie Sophie (Sandrine Bonnaire) finden, die ebenso bescheiden wie fleißig ist und sich schnell in den Haushalt der Lelievres einfügt. Auch die beiden Kinder Melinda (Virginie Ledoyen) und Gilles (Valentin Merlet) finden Gefallen an der stillen jungen Frau, die ohne großes Aufsehen ihre Arbeit macht. Da sehen sie auch darüber hinweg, dass sich Sophie immer mal wieder etwas seltsam verhält. Tatsächlich schwierig wird es erst, als diese die Bekanntschaft der Postangestellten Jeanne (Isabelle Huppert) macht, mit der sie sich anfreundet und die sie zunehmend gegen die vermögende Familie aufstachelt …
Zerstörung einer bürgerlichen Familie
Claude Chabrol war neben seiner Vorliebe für düstere Stoffe im Krimi- und Thrillergewand vor allem für seine ätzende Kritik an der Bourgeoisie bekannt. Das ist bei Biester nicht anders, einem der bekanntesten und besten späteren Filme des französischen Regisseurs. Und doch ist dieser nicht ganz zu vergleichen mit anderen Werken seiner umfangreichen Filmografie. Oft setzte Chabrol auf eine Form der Selbstdemontage, wenn die bloße Existenz dieser meist heuchlerischen Bürgerlichkeit zum eigenen Untergang führt. Hier kommt der Anstoß von außen, durch die beiden Frauen, die in der deutschen Fassung des Titels eine nicht gerade schmeichelhafte Bezeichnung erfahren.
Dabei ist das mit der Heuchelei in Biester kein alleiniges Vorrecht der vermögenden Familie. Vielmehr sind bei der Adaption des Romans A Judgement in Stone von Ruth Rendell (Eine neue Freundin) Geheimnisse an allen Ecken und Enden vorhanden. Eines von Sophie wird früh angedeutet. Ihre vehementen Versuche, dieses zu bewahren führt zu regelmäßigen Irritationen. Manchmal ist der Film in Folge fast schon komisch, wenn diese Versuche groteske Ausmaße nehmen. Ein anderes wird in den gemeinsamen Szenen mit Jeanne klar, wenn beide sich über ihre Vergangenheit unterhalten, die sie jeweils verfolgen. Umgekehrt ist Jeanne sehr an den Geheimnissen der Familie interessiert, schnüffelt ungeniert in deren Leben herum, stachelt ihre neue Freundin an, dort mehr zu sammeln.
Ein eskalierender Klassenkampf
Sie stachelt sie aber auch dazu an, sich gegen die Familie aufzulehnen, die sie – so Jeanne – gnadenlos ausnutzt. Biester wird auf diese Weise auch zu einer Geschichte des Klassenkampfes, wenn sich die Unterschicht auflehnt. Vergleichbar zu Parasite werden dabei die Grenzen verwischt, wer hier Aggressor und wer Opfer ist. Zumal in beiden Fällen die wohlhabenden Familie so blauäugig in ihrer eigenen Welt leben, dass sie gar nicht wirklich merken, was da innerhalb ihres eigenen Haushaltes geschieht. Während der südkoreanische Überflieger aber sehr viel mit Humor und Wendungen spielt, ist die deutsch-französische Produktion stärker von Tragik geprägt und setzt auf eine geradlinige Eskalation. Die anfängliche Idylle bekommt Risse, am Ende steht kein Stein mehr auf dem anderen.
Ob diese Eskalation in der Form glaubwürdig ist, darüber kann man sich natürlich streiten. Es ist zumindest keine alltägliche Geschichte, die Chabrol da erzählt. Hinzu kommt, dass durch die Geheimniskrämerei der Figuren vieles auf Distanz bleibt. Man weiß hier nur zum Teil, was in ihnen vorgeht und was sie antreibt. Biester ist ein Film voller bewusster Rätsel. Das Lösen dieser Rätsel bringt vielleicht nicht die größten Erkenntnisse. Aber es ist doch faszinierend dabei zuzusehen, wie hier alles mit der Zeit aus den Fugen gerät. Zumal der Thriller natürlich von einer erstklassigen Besetzung profitiert. Isabelle Huppert erhielt hierfür nach zuvor sieben erfolglosen Anläufen den überfälligen César für ihre Schauspielkunst. Gleichermaßen sehenswert ist aber auch die Leistung von Sandrine Bonnaire, die zwar drehbuchbedingt erst einmal nicht die Dynamik ihrer Kollegin mitbringt, deren Figur aber eine unheimliche Wandlung durchmacht, bis ihre Eiseskälte einen auch aus sicherem Abstand heraus für ein ausgiebiges Frösteln sorgt.
OT: „La Cérémonie“
Land: Frankreich, Deutschland
Jahr: 1995
Regie: Claude Chabrol
Drehbuch: Claude Chabrol, Caroline Eliacheff
Vorlage: Ruth Rendell
Musik: Matthieu Chabrol
Kamera: Bernard Zitzermann
Besetzung: Isabelle Huppert, Sandrine Bonnaire, Jacqueline Bisset, Jean-Pierre Cassel, Virginie Ledoyen, Valentin Merlet
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
César | 1996 | Bester Film | Nominierung | |
Beste Regie | Claude Chabrol | Nominierung | ||
Bestes Drehbuch | Claude Chabrol, Caroline Eliacheff | Nominierung | ||
Beste Hauptdarstellerin | Isabelle Huppert | Sieg | ||
Beste Hauptdarstellerin | Sandrine Bonnaire | Nominierung | ||
Bester Nebendarsteller | Jean-Pierre Cassel | Nominierung | ||
Beste Nebendarstellerin | Jacqueline Bisset | Nominierung | ||
Venedig | 1995 | Goldener Löwe | Nominierung | |
Beste Darstellerin | Isabelle Huppert | Sieg |
Venedig 1995
Toronto International Film Festival 1995
Berlinale 2022
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