Nachdem Katharina Marie Schubert als Schauspielerin in zahlreichen Filmen und Theateraufführungen mitgewirkt hat, gibt sie mit Das Mädchen mit den goldenen Händen (Kinostart: 17. Februar 2022) ihr Langfilmdebüt als Regisseurin. Das Drama erzählt die Geschichte einer Frau, die in der DDR in einem Kinderheim aufgewachsen ist. Als dieses geschlossen werden soll, startet sie einen Feldzug dagegen und versucht unter allen Umständen, den Ort ihrer Kindheit zu bewahren. Wir sprachen bei der Premiere beim Filmfest München mit der Filmemacherin über die Arbeit an dem Drama, die Fesseln der Vergangenheit und das Gefühl, keine Heimat mehr zu haben.
Du kommst ursprünglich aus dem schauspielerischen Fach. Wie kam es dazu, dass du jetzt Regie führst?
Das hat sich bei irgendwann langsam in die Gedanken reingeschlichen. Ich bin Schauspielerin geworden, weil ich etwas erzählen wollte. Wichtig war es für mich, einen Inhalt weiterzugeben und mich damit auseinanderzusetzen. Deswegen spiele ich auch sehr gerneTheater, weil du dort intensiv und lange probst und über etwas nachdenkst. Das Spielen ist das Ende, das Ergebnis des Nachdenkprozesses. Dabei kam es, mir dann nach und nach in den Sinn, dass ich Sachen anders entscheiden würde als die Regisseure und Regisseurinnen, mit denen ich gearbeitet habe. Also habe dann irgendwann einfach angefangen zu schreiben und zu schauen, ob ich das überhaupt logistisch und organisatorisch könnte. Den ersten Kurzfilm habe ichgeschrieben, selber produziert gespielt und geschnitten. Der war in einer Fantasiesprache mit deutschen Untertiteln und wurde in Hof gezeigt. Das hat mich bestärkt, da weiter dran zu bleiben.
In Das Mädchen mit den goldenen Händen spielst du, anders als bei deinem Kurzfilm, nicht selbst mit. War das je eine Option für dich? Du hättest ja zum Beispiel die Tochter spielen können.
Ganz am Anfang habe ich darüber nachgedacht. Aber ich habe den Film ja nicht gemacht, damit ich endlich mal wieder eine Rolle bekomme, die ich noch nie gespielt habe (lacht). Manche wechseln ja zur Regie mit dem Ziel, sich selbst tolle Rollen zu geben und etwas Neues zu spielen. Mir ging es einfach darum, eine Geschichte zu erzählen. Und für die Rollen war ich entweder zu jung oder zu alt. Ich liebe es natürlich nach wie vor zu spielen.
Du hast gemeint, dass dein Film recht lange gedauert hat. Was war für dich die Schwierigkeit dabei?
Es war eine Mischung aus sehr vielem. Zunächst habe ich ja einen Beruf in dem ich auch viel arbeite. Dann wurde meine Tochter geboren und mein Produzent Ingo Fliess war mit anderen Projekten beschäftigt. Irgendwann wollte ich nicht länger warten und das Ganze nur so halbherzig nebenher machen. Im Januar 2019 waren wir so weit, den Film richtig anzugehen, als guter Vorsatz fürs neue Jahr. Danach hat es ungefähr ein Jahr gebraucht mit den Vorbereitungen und der Entwicklung, Ende Januar 2020 haben wir gedreht. Ein paar Tage vor Corona sind wir fertig geworden.
Wie bist du überhaupt auf das Thema gekommen?
Ich bin ein großer Fan des osteuropäischen Kinos. Andrei Swjaginzew ist mit Leviathan und Loveless so etwas wie ein Gott für mich. Da ist alles, wirklich alles filmisch so toll. In Osteuropa wird viel über den Fall des Eisernen Vorhangs und die Folgen erzählt. Die Filme sind sehr politisch. Das hat mich dazu gebracht, über mein eigenes nachzudenken. Was bestimm das Land, in dem ich lebe? Was ist die Geschichte meines Landes? Was sind die Folgen aus der Geschichte und wie beeinflusst das unsere Gesellschaft. Ich lebe in Berlin und hatte auch Verwandte in der DDR, habe also schon einen Bezug zu dem Thema. Mich hat dann interessiert: Wie ist das, wenn mir mit Mitte vierzig oder fünfzig gesagt wird, dass alles, was mir wichtig war, plötzlich unwichtig genannt wird? Oder minderwertig? Die Menschen mussten alle noch einmal von vorne anfangen. Ich erzähle in Das Mädchen mit den goldenen Händen von jemandem, der das nicht hinnehmen will, sich immer von anderen beleidigen lassen zu müssen. Der die eigene Lebensleistung weiterhin als Wertvoll betrachten möchte. Wichtig ist auch, dass Gudrun 1940 geboren wurde. Sie hat also den Krieg als ganz kleines Kind noch mitbekommen und wurde in der Nazizeit von der Strenge und Härte geprägt. Das siehst du auch in Westdeutschland. Diese gemeinsame Erfahrung verbindet uns, ebenso wie uns das Kleinstädtische verbindet. Deswegen ist das für mich auch kein rein ostdeutscher Film, sondern ein Film über den Verlust von Wichtigkeit und den Verlust von Heimat.
Dieses Gefühl von der Entfremdung ist heute eines, das du an vielen Stellen in Deutschland hast. Da ist klar das Erbe der DDR, als den Menschen einfach eine neue Identität drüber gestülpt wurde. Du hast aber auch die Leute, die von der Globalisierung überrannt werden und für die es keinen Platz mehr gibt. Wie geht man damit um, wenn du in deiner eigenen Heimat keine Heimat mehr hast, sowohl ans Betroffene wie auch als Gesellschaft?
Zunächst einmal wird den Menschen die Heimat nicht wirklich weggenommen. Es ist mehr ein Gefühl, dass die Heimat weg ist. Dabei ist sie noch da. Sie verändert sich nur. Und sie verändert sich immer, auf eine Weise, dass die Menschen aufgefordert sind, sich zu bewegen. Je älter man wird, umso mehr hätte man gern einfach nur seine Ruhe. Das geht mir ja auch schon so. Ich muss mich selbst immer wieder dazu auffordern neugierig zu bleiben, zuzuhören und mich zu bewegen. Wir neigen als Menschen glaube ich dazu, irgendwann einfach so gefestigt zu sein, dass du nichts mehr ändern willst. Aber dann kommt eine Zeit, bei der klar ist: Das geht nicht. Du musst dich jetzt verändern. Du musst lernen, dich mit Veränderungen auseinanderzusetzen, ob es jetzt das Gendern ist oder die Umweltkatastrophe. Das ist unbequem und anstrengend und manchmal auch nervig. Aber es ist notwendig. Bei der DDR war der Umgang mit den Betroffenen viel von Arroganz geprägt, was dann verständlicherweise auch geführt hat, dass sie besonders bockig geworden sind. Wer will schon gemaßregelt werden? Da kommt eine natürliche Gegenwehr. Umso wichtiger wäre es gewesen, einfach miteinander zu reden, offen zu sein und manches zu erklären.
Das Symbol für diese verschwindende Heimat ist bei Gudrun das ehemalige Kinderheim, in dem sie aufgewachsen ist und das jetzt abgerissen werden soll. Ist das Heim etwas, das ihr Halt gibt oder ist es ein Gefängnis?
Ich denke, dass es beides ist. Denn das, was uns Halt gibt, ist oft auch unser Gefängnis. Sonst würden wir unsere schlechten Gewohnheiten vielleicht leichter ablegen können. Beim Alkoholiker ist das Trinken sein größtes Problem und seine größte Hilfe. Die Kinderheime in der DDR waren nicht alle Umerziehungslager. Für Gudrun waren dieses Heim und der Staat Vater und Mutter. Der Staat hat ihr viel angetan und ist gleichzeitig ihr Leben. Das kann sie nicht wegschmeißen, weil sie sonst auseinanderbrechen würde. Sie will nicht mit 60 noch einmal neu anfangen müssen. Ihre Vergangenheit ist dadurch Strafe und Trost in einem.
Gibt es bei dir etwas, das deine eigene Vergangenheit symbolisiert? Etwas, von dem du sagen kannst: Das ist meine Vergangenheit, das bin ich.
Die Bücher, die ich gelesen habe. Die Filme, die ich gesehen habe. Das fängt an mit Pippi Langstrumpf und Ronja Räubertochter. Dann bin ich davon geprägt, in Deutschland geboren worden zu sein und umgeben zu sein von dem, was hier ist. Die Verwurzelung im Hier und Jetzt.
Ein weiteres großes Thema in deinem Film betrifft das Zwischenmenschliche und wie die Leute miteinander umgehen. Es heißt immer, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Wie viel davon ist wirklich angeboren und intuitiv, wie viel das Ergebnis der Prägungen?
Ich denke, dass sehr viel, eigentlich sogar fast alles von unserem sozialen Verhalten, das Ergebnis dieser Prägungen ist. So sagt das auch die Freundin von Gudrun am Schluss. Wenn du ohne Liebe aufwächst, dann fehlt dir die Sprache, dann hast du nicht die Vokabeln, um dich mit anderen Menschen zu verbinden. Das ist wie eine Fremdsprache für dich. Was du als Kind erfährst, ist das, was du aushältst, und das, was du geben kannst. Gudrun wächst mit der Härte der Nazis auf und lernt danach dieselbe Härte mit einer anderen Ideologie kennen. Wenn sie sagt „Ich habe ihr doch Pralinen geschenkt“, dann ist das, was Gudrun kann. Sie kann ihrer Tochter nicht die Liebe geben, die sie ja selber nicht gelernt hat. Sie hat ein Bewusstsein dafür, dass sie es falsch macht. Aber sie weiß nicht, was sie anders machen kann.
Und woher kommt dann die soziale Kompetenz von ihrer Tochter Lara? Von Gudrun kann sie die dann ja nicht gelernt haben.
Sie kommt von Werner. Er hat sich immer um sie gekümmert und ihr die Liebe gegeben, die sie brauchte. Außerdem ist sie nicht in einem Kinderheim aufgewachsen, das macht einen großen Unterschied. Lara hat dadurch mehr mitbekommen. Man kann soziale Kompetenz natürlich auch außerhalb der Familie lernen. Ich kenne Leute, die hatten einen besonders netten Lehrer. Du kannst ja selbstverständlich auch aus dysfunktionalen Familien kommen und trotzdem ein toller Mensch werden. Wichtig ist, dass in den frühen Jahren jemand da ist, der sich um dich kümmert, der für dich da ist, dich vielleicht auch einfach mal in den Arm nimmt. Bei Lara war das Werner. Wobei sie natürlich auch niemand ist, der durch die Gegend läuft und alle umarmt. Sie hat etwas Distanziertes. Aber sie lernt damit umzugehen und auch mit ihrer Mutter umzugehen. Wenn sie am Ende zu ihr geht, sagt sie auch, dass sie das nicht tut, weil sie, wie sonst immer etwas erwartet. Sie tut es am Ende, weil sie selber gerne die Mutter sehen möchte. Und das ist etwas sehr Schönes.
Vielen Dank für das Gespräch!
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