Billie Meeussen und Lucas Roefmans führen ein gewöhnliches Leben. Beide sind 18 Jahre jung, schon drei Jahre ein Paar und fertig mit der Schule. Die Welt steht ihnen nun offen, doch was tun? Dokumentarisch festgehalten, verfolgen die belgischen Regisseure Olivia Rochette und Gerard-Jan Claes das Leben der beiden, die sich trotz eines privilegierten Lebensstils mit unterschiedlichen Problemen der Gegenwart konfrontiert sehen. Als sich Billie darüber hinaus eines Tages nach einem „Tapetenwechsel“ in der Beziehung sehnt, wird alles noch komplizierter. Das Paar entzweit sich dadurch, wodurch sich die Ängste noch weiter intensivieren. Kind Hearts, der auf der Berlinale 2022 seine Weltpremiere feierte, fokussiert sich dabei aber nicht primär auf das Leiden, sondern mehr auf die Grundprobleme der Gegenwart und wie die Jugend damit umgeht.
Die Sehnsucht nach Wandel
Unsicherheit macht sich breit. Die Frage, was man mit dem eigenen Leben anstellt, plagt tagtäglich Millionen von Menschen, darunter auch Billie und Lucas. Ein sicheres Leben in Brüssels, Zugang zur Universität und mit einem MacBook als alltäglichen Begleiter ausgestattet, hilft alles aber nur bedingt weiter, auch wenn das den Eindruck von Luxus erweckt – zumindest im globalen Sinne. Stattdessen sehen wir ratlose Augen in Hinblick auf die Planung der Zukunft, selbst bei der Frage nach dem Zusammenziehen in eine gemeinsame Wohnung. Schnell wird klar, wo das eigentliche Problem liegt, das wohl viele junge Menschen beschäftigt: der zwanghafte Drang aus Routinen auszubrechen. Egal ob es sich dabei um Beziehungsfragen oder karrieretechnische Entscheidungen handelt, Billie und Lucas sind augenscheinlich nur zwei unter Millionen, die sich bei den großen Fragen des Lebens überfordert fühlen.
Zum Glück gibt es dann aber doch Momente, in denen wir „funkelnde“ Augen sehen können, beispielsweise bei einem Open-Air Kinoabend. Erst durch fiktive Welten werden die Jugendlichen still. Die Schönheit der Welt wird hier richtig wahrgenommen, während sie im Alltag weniger greifbar ist. Nachdenkliche Gesichter, die am Tag darauf direkt wieder die Überhand gewinnen, werden dabei besonders toll eingefangen. Das Besondere dabei: Obwohl genug Platz für Voice-Over vorhanden wäre, verzichtet Kind Hearts in der kompletten Laufzeit auf jegliche Gedanken aus dem Off. Das wäre in dem Fall aber auch unnötig, denn irgendwie sieht man es den traurigen Augen an, was in den Köpfen der Jugendlichen vorgeht.
Die Zeit nach der Schule
Während Generation für Generation die Meinung vertraten, dass man in der Schule gut auf das Leben vorbereitet wird, so würden dem heutzutage wohl immer weniger Menschen zustimmen. Stattdessen werden die Stimmen bezüglich Bildungsreformen immer lauter, um das Bildungssystem an die neuen Gegebenheiten der Neuzeit anzupassen. Dabei wäre dies wohl schleunigste Eisenbahn, wenn man dem Leben von Lucas und Billie folgt. Die Qual der Wahl ist dabei ausschlaggebend. Auslandssemester sowie tausende Studienfächer, die dann aber doch nur nach Schema F ablaufen, überfordern die beiden und sorgen für ständige Zweifel, ob eine getroffene Entscheidung wirklich die beste war. Dass die Schule die jungen Menschen auf das Leben vorbereiten, widerlegt Kind Hearts damit relativ schnell.
Authentisch
Durch all diese unterschiedlichen Themen stellt sich die belgische Dokumentation als substanzvolles Portrait heraus. Während Lucas ein Romantiker ist, so erinnert Billie an Frauen, die mehr vom Leben wollen, wie beispielsweise Cristin Milioti in It Had to Be You. Dass am Ende die große Bandbreite an individuellen Sorgen untergeht, beziehungsweise auf die Beziehungsebene reduziert wird, macht jedoch leicht nachdenklich. Während in der ersten Hälfte der Fokus auf den „Vorteilen“ oder guten Zeiten einer Beziehung liegt, so wandelt sich dies am Ende. Die Trennung, die schlussendlich folgt, knüpft dabei an die Ablehnung von alltäglichen Routinen an. Im gegenwärtigen Trott von Stress, Unsicherheit, Angst vor der Zukunft und Corona, das das Leben noch mehr erschwert, kommt die Dokumentation so zu einem zumindest diskussionswürdigen Resümee: Beziehungen sind Ballast. Ob das zur vorausgegangen Ausganssituation, das heißt den drei schönen Jahren des Paares, passt, ist fraglich. In Zeiten, in denen es immer schwerer für das einzelne Individuum wird, stellt sich Kind Hearts somit als leicht reduktionistisch, zumindest aber als stark entromantisierend heraus.
OT: „Kind Hearts“
Land: Belgien
Jahr: 2022
Regie: Olivia Rochette, Gerard-Jan Claes
Drehbuch: Olivia Rochette, Gerard-Jan Claes
Kamera: Olivia Rochette
Mitwirkende: Victoria De Man, Rana Hamzaoui, Billie Meeussen, Charlotte Meyntjens, Gaspard Renier, Lucas Roefmans
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