Für Salma Zidane (Hiam Abbass) ist es ganz selbstverständlich, dass sie sich um den Zitronenhain kümmert, der im Westjordanland an der Grenze zu Israel liegt. Schließlich handelt es sich dabei um das Vermächtnis ihres verstorbenen Vaters und damit ein Symbol ihrer Familie. Israel Navon (Doron Tavory) sieht darin hingegen eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Schließlich wohnt der israelische Verteidigungsminister seit Kurzem in dieser Gegend und die dicht gewachsenen Bäume könnten Terroristen als Versteck dienen. Und so wird Salma nicht nur der Zugang zu dem Garten verwehrt: Die Zitronenbäume sollen sogar ganz entfernt werden. Doch damit will sich die Witwe nicht abfinden und zieht gemeinsam mit ihrem Anwalt Ziad Daud (Ali Suliman) vor Gericht …
Der Schrecken von nebenan
Dass Nachbarn die absolute Hölle sein können, ist eine Erfahrung, die viele von uns irgendwann einmal machen. Da kann alles irgendwann einmal zu einem Grund für Streitigkeiten werden, sei es die Lautstärke, die Verteilung des Mülls oder Fälle von Verschmutzungen. Ganz oben auf der Liste stehen auch Bäume, wenn die entweder real oder eingebildet zu weit auf das Grundstück der anderen hinüberragen. Wenn bei Lemon Tree die Zitronenbäume zu einem Streitfaktor werden, dann kommt einem das daher schon irgendwie bekannt vor. Gleichzeitig ist der Fall natürlich absolut absurd, wenn er am Ende sogar vor dem höchsten Gericht verhandelt wird. Was eine Belanglosigkeit sein sollte, eskaliert hier zu einer Geschichte, die es bis in die Nachrichten schafft.
Natürlich geht es in Lemon Tree aber auch nicht um einen ganz normalen Nachbarschaftsstreit. Stattdessen nutzt der israelische Regisseur und Co-Autor Eran Riklis (Aus nächster Distanz, Spider in the Web) die Gelegenheit, um etwas über das Verhältnis zwischen seiner Heimat und den Palästinensern zu sagen. Das war in den letzten Jahren aufgrund der vielen anderen Krisen, welche die Menschheit beschäftigt, etwas aus dem Blickwinkel verschwunden. Spätestens seit dem vernichtenden Urteil von Amnesty International, es handele sich bei Israel um einen Apartheid-Staat, ist die Diskussion aber wieder entflammt. Vor allem die von vielen kritisierte territoriale Ausdehnung Israels rückt dabei in den Mittelpunkt – wie es eben auch in dem Film hier thematisiert wird.
Zwischen Humor und Ernst
Im Hinblick aufs Genre wären da viele Versionen möglich gewesen. Der Affront, bei dem es ebenfalls um einen juristischen Streit mit gesellschaftlichem Hintergrund geht, machte daraus ein Drama. Riklis ist sich der Schwere seines Themas natürlich bewusst, wählte aber dennoch einen leichteren Zugang. Zumindest in der ersten Hälfte überwiegt das Komödiantische, wenn er die Absurdität der Situation auskostet. Das macht dann auch Spaß. Gleichzeitig darf man als Zuschauer und Zuschauerin neugierig sein, worauf das alles hinausläuft. Einer Witwe die Familienbäume wegzunehmen, nur weil man sich entschlossen hat, jetzt hier wohnen zu wollen? Nein, da dürfte es praktisch niemanden im Publikum geben, der das für gerecht hält. Aber wie das so ist mit der Gerechtigkeit: Sie kann mit geltendem Recht übereinstimmen, muss es aber nicht.
Dieser eher simpel gehaltene Kampf zwischen David und Goliath verändert sich in der zweiten Hälfte jedoch. Zwar wird auch weiterhin darum gestritten, was mit den Bäumen geschieht. Riklis bringt aber mit der Figur Mira (Rona Lipaz-Michael) noch eine Nebenhandlung hinein, die zunehmend wichtiger wird. Die Frau des Verteidigungsministers hat im Gegensatz zu ihrem Mann tatsächliche Vorbehalte bei dieser Aktion, sieht in ihrer Nachbarin keinen Quälgeist, sondern einen Mensch aus Fleisch und Blut. Die Annäherung an diese bedeutet für sie gleichzeitig eine Entfremdung von ihrem Mann. Wobei auch hier die Zitronenbäume nur ein Symbol sind für die allgemeine Entwicklung, die – so wird zumindest angedeutet – schon viel länger eingesetzt hat.
Gefällige Widersprüche
Lemon Tree ist daher ein Film über Streit wie auch über Aussöhnung, über Traditionen wie Neuanfänge. Das ist gefällig, ohne dabei gleich alles mit Zuckerguss zukleistern zu wollen, wie es viele andere wohl an der Stelle getan hätten. Wohltuend und zugleich traurig, wenn es um Einsamkeit geht. Riklis will ein wenig anstoßen, übt sich dabei gleichzeitig in Zurückhaltung. Das wird nie so satirisch, wie es sein könnte. Die Schrecken des Terrors werden ohnehin nicht angesprochen, die Gefahr bleibt hier eine rein theoretische, was es dem Publikum natürlich ungemein einfach macht. Stattdessen bewegt sich die Tragikomödie auf einem sehr sicheren Terrain, sowohl für sich wie auch seine Figuren. Ein großer Film ist das hier deswegen nicht. Aber es ist ein schöner Film, der an ein wichtiges Thema erinnert, selbst wenn niemand mehr diesem Aufmerksamkeit schenkt.
OT: „Lemon Tree“
Land: Israel, Deutschland, Frankreich
Jahr: 2008
Regie: Eran Riklis
Drehbuch: Eran Riklis, Suha Arraf
Musik: Habib Shehadeh Hanna
Kamera: Rainer Klausmann
Besetzung: Hiam Abbass, Ali Suliman, Rona Lipaz-Michael, Tarik Kopty, Loai Nofi, Makram Khoury, Doron Tavory
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