Don Reynaldo (Gerardo Trejoluna) hat auch schon mal bessere Tage gesehen. Gleiches gilt für die Ranch, auf der er und seine Familie verschiedene Nutztiere halten. Richtig harmonisch ist das Zusammenleben nicht, zumal sie alle mit Problemen zu kämpfen haben. Ehefrau Sofia (Dolores Heredia) steckt mitten in den Wechseljahren, Sohn Elias (Francisco Barreiro) in einer Scheidung, Tochter Lily (Mayra Hermosillo) in einem Streit mit ihrem Vater. Zum Glück ist da aber noch Rosa (Paloma Petra), die seit Jahren schon auf der Ranch aushilft und die gern mal Angelegenheiten in die eigenen Hände nimmt. Dazu hat sie reichlich Gelegenheit, als eines Tages Männer auftauchen und Schutzgeld von Rey fordern …
Ein sich ankündigendes Unglück
Eines muss man der mexikanischen Regisseurin und Drehbuchautorin Alejandra Márquez Abella lassen: Sie macht kein Geheimnis daraus, dass das hier richtig böse enden wird. So ist einer der ersten Punkte, die einem bei Northern Skies Over Empty Space auffallen, wie sehr die Geschichte von Konflikten geprägt ist. Da wird eigentlich über alles gestritten: über Geld, eine Waffe, die Familie. Da braucht es nicht einmal die Bedrohung, welche sich im weiteren Verlauf durch die Schutzgelderpressung dazu gesellt. Schon innerhalb der Ranch hat man ein ungutes Gefühl. Zu offensichtlich sind die Konflikte, die hier mitgeschleppt werden, ohne dass über diese offen gesprochen wird. Zumindest nicht auf eine Weise, dass daraus der Eindruck entstehen würde, es wäre den Leuten an einer Lösung gelegen.
Daraus hätte man leicht ein Drama machen können. Der Film wird auch gerne in eine solche Schublade gesteckt. Im weiteren Verlauf kommen aber immer mehr Genreelemente hinzu. Thriller wäre nicht verkehrt. Das Motiv der Ranch, auf der sich die Helden vor dem übermächtigen Feind verbarrikadieren, erinnert zudem an zahlreiche Western. Tatsächlich originell ist die Geschichte daher nicht, welche Abella erzählt. Den groben Ablauf von Northern Skies Over Empty Space kann man sich recht früh denken, einschließlich der zunehmenden Eskalation. Die einzige Frage, die hier bis zum Schluss offen bleibt, ob jemand dem sich ankündigenden Desaster wird entziehen können. Schafft es der in die Jahre gekommene Rey, sich gegen die feindlichen Männer zu wehren oder hat seine letzte Stunde geschlagen?
Der ruhige und schöne Weg in die Katastrophe
Dafür braucht es gar keine größeren Actionszenen. Tatsächlich ist der mexikanische Film, der auf der Berlinale 2022 Premiere feierte, sogar recht ruhig. Über weite Strecken geschieht nicht wirklich etwas. Es kommt nicht einmal zu nennenswerten Schauplätzen: Northern Skies Over Empty Space spielt zu einem Großteil innerhalb der Grenzen der Ranch. Abella zeigt einen kleinen Mikrokosmos, der irgendwie abseits von Zeit und Ort zu existieren scheint. Daran hat der Patriarch Rey sicherlich seinen Anteil, wenn seine Gedanken sich immer wieder um die Vergangenheit kreisen. Um den Status Quo, den er aufrechterhalten möchte. Dass sich um ihn herum vieles ändert, nimmt er dabei nicht wahr, will es gar nicht wahrnehmen. Er hat da schon was von einem Vogel Strauß, nur mit mehr Macho-Allüren.
Langweilig wird einem während des Wartens aber nicht. Zum einen ist es unterhaltsam, bei der sich auch wandelnden Dynamik innerhalb der Familie und der anderen Leute auf der Ranch zuzusehen. Dabei rückt immer wieder Rosa in den Mittelpunkt, die zwar nur eine Angestellte ist, aber in Wahrheit eine zentrale Figur ist, ohne die fast gar nichts läuft. Aber selbst wenn die Menschen sich gerade mal zurückhalten oder vielleicht sogar abwesend sind, gibt es hier genug, wofür es sich lohnt, Northern Skies Over Empty Space zu sehen. Genauer sind es die umwerfenden Aufnahmen von Kamerafrau Claudia Becerril Bulos (Was geschah mit Bus 670?), die einen selbst dann fesseln, wenn mal wieder nur das Warten auf das Unvermeidliche angesagt ist. Vor allem Tiere scheinen es ihr angetan zu haben, wenn diese zu stummen – manchmal toten – Zeugen von dem Chaos werden, was sich um sie herum abspielt.
Sehenswert und etwas surreal
Streckenweise erinnert das an das nicht minder betörende Birds of Passage – Das grüne Gold der Wayuu. Beide spielen in einem trockenen, fast wüstenähnlichen Setting, in dem zwei Parteien sich gegenseitig an den Kragen gehen. Genauer ist es eine Familie, die sich mit den falschen angelegt hat und dafür die Konsequenzen tragen muss. Beide haben zudem eine surreale Stimmung, wobei Northern Skies Over Empty Space nicht ins Spirituelle geht, wie es der südamerikanische Kollege tat. Sehenswert sind aber beide Filme. Die mexikanische Variante mag nicht den extremen Body Count haben, wird nicht annähernd so brutal wie die Drogen-Verteilungskämpfe beim oben genannten Titel. Dafür ist das hier besonders tragisch, wenn die Katastrophe hier völlig unnötig ist. Es ging eigentlich um nichts. Dafür ist der Preis umso höher.
OT: „El norte sobre el vacío“
Land: Mexiko
Jahr: 2022
Regie: Alejandra Márquez Abella
Drehbuch: Gabriel Nuncio, Alejandra Márquez Abella
Musik: Tomás Barreiro
Kamera: Claudia Becerril Bulos
Besetzung: Gerardo Trejoluna, Paloma Petra, Dolores Heredia, Juan Daniel García Treviño, Mayra Hermosillo, Francisco Barreiro, Mariana Villegas, Fernando Bonilla
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