So sehr sich die Polizei auch bemüht: Sie schafft es einfach nicht, den Verbrecher Pépé le Moko (Jean Gabin) einzubuchten. Denn der hat sich seit seiner Flucht aus Marseille in der Kasbah von Algier versteckt, einem labyrinthartigen Viertel, dessen Bevölkerung eng zusammenhält. Doch dann lernt der gewiefte Gangsterboss die schöne Gaby (Mireille Balin) kennen und verliebt sich Hals über Kopf in sie. Dass sie vergeben ist, stört ihn ebenso wenig wie die Eifersucht seiner ehemaligen Geliebten Inès (Line Noro). Fest entschlossen, mit der verführerischen Fremden zusammenzukommen, wird Pépé zunehmend unberechenbar. Gleichzeitig setzt auch Inspektor Slimane (Lucas Gridoux) alles daran, den gesuchten Kriminellen endlich zu schnappen …
Der Kriminelle als tragische Figur
In Filmen sind Kriminelle in den meisten Fällen die Antagonisten, die von unserem Helden geschnappt werden müssen. Aber es gibt natürlich Ausnahmen. Manchmal rücken auch Kriminelle in die Heldenrolle, was oft bedeutet, dass sie sich gegen schlimmere Kriminelle erheben. Gerade der Bereich des Heist Movies lebt davon, dass wir den „guten“ Verbrechern die Daumen drücken, während sie die „bösen“ Verbrecher ausrauben. So oder so, üblicherweise weiß man als Zuschauer, auf wessen Seite man zu stehen hat. Aber nicht immer funktioniert eine solche Einteilung. Ein Paradebeispiel, wie gut und böse zu leeren Hülsen werden können, beweist Pépé le Moko – Im Dunkel von Algier aus dem Jahr 1937. Wo der spätere Film noir oft von Polizisten oder Detektiven erzählte, die sich durch Laster, Abgründe oder Entfremdung zu Antihelden wandelten, da wird hier der Verbrecher zur ambivalenten Figur.
Die Verbrechen an sich spielen dabei überhaupt keine Rolle. Dass die Titelfigur Pépé le Moko welche begangen hat, das wissen wir zwar. Das wird gleich zu Beginn verraten, auch später wird der wenig vorbildliche Lebenslauf des getürmten Franzosen mehrfach thematisiert. Für die Geschichte sind diese Altlasten jedoch unwichtig. Stattdessen erzählt die Adaption des gleichnamigen Romans von Henri La Barthe, wie dem Gangster seine Gefühle zum Verhängnis werden. Er ist eben nicht nur der abgebrühte Schurke, der sich skrupellos über andere hinwegsetzt. Stattdessen ist er ein Mann voller Sehnsüchte, der mehrfach von seinem Umfeld gewarnt wird, der aber nicht gegen seine eigene Natur ankommt. Anders als etwa der Protagonist in Carlito’s Way, dessen Ausstieg aus dem Verbrechen an einem Umfeld scheitert, das ihn nicht davonkommen lässt, da ist hier der Traum an sich bereits die Quelle des Leids.
Gefangen in einem Traum von Freiheit
Der französische Regisseur Julien Duvivier (Maigret: Um eines Mannes Kopf, Karottenkopf) beschreibt in seiner Mischung aus Drama und Krimi, wie die Kasbah einerseits eine Burg ist, in der sich alle vor der Polizei zurückzieht, die an dem Dickicht aus Gassen, Dächern und Keller wieder und wieder scheitert. Sie ist aber auch ein Gefängnis, aus dem es kein Entkommen gibt. Die Freiheit, welche hier auf alle zu warten scheint – der Ort wird als Schmelztiegel beschrieben, in denen alle unterkommen können, für die es sonst keinen Platz gibt –, stellt sich als Illusion heraus. Das gibt dem Film eine sehr fatalistische Note, wenn der Protagonist sich gegen die äußeren Bedingungen auflehnt, gleichzeitig gegen diese aber keine Chance hat.
Das macht Pépé le Moko nicht zum Helden oder Sympathieträger. Immer wieder wird er hässliche Seiten zeigen, wenn er sich über andere hinwegsetzt, Widerworte und Warnungen arrogant beiseiteschiebt. Aber er ist vor allem eben eine tragische Figur, die sich selbst in eine Sackgasse manövriert hat, ohne das überhaupt wahrzunehmen – im Gegensatz zum Publikum, das hilflos mitansieht, wie das Verderben immer näher rückt. Das ist packend vom großen französischen Charakterdarsteller Jean Gabin (Wiesenstraße Nr. 10, Der Fall des Dr. Laurent) verkörpert, der Wehmut und Überheblichkeit zu einer widersprüchlichen Figur zusammenführt. Der Rest des Ensembles ergänzt und verstärkt den guten Eindruck, wenn das anfangs so fest erscheinende Gefüge des algerischen Burglabyrinth mehr und mehr Risse bekommt.
Ein wundersamer Ort zum Verweilen
Dieses ist dabei ein weiterer wichtiger Grund, weshalb der Film mehr als achtzig Jahre später noch immer sehenswert ist. Pépé le Moko – Im Dunkel von Algier macht das geheimnisvoll-verführerische Viertel zu dem nicht ganz so heimlichen Star der Geschichte. Der Irrgarten der Unterwelt ist ein Zufluchtsort voller Gefahren, magisch und doch schäbig. Wer hier gelandet ist, der hat keine wirkliche Perspektive mehr. Wenn wir im späteren Verlauf einen Fuß in den Rest der algerischen Stadt setzen, dann wird deutlich, in welch starkem Kontrast dieser steht: Wir tauchen ein in ein Wunderland, in dem wir uns zunehmend verlieren und bei dessen Verlassen doch nur Tod und Elend warten. Dabei ist es gerade das Wechselspiel aus Licht und Schatten, aus strahlender Fassade und verstecktem Abgrund, welches in Erinnerung bleibt und bis heute fasziniert als auch mitnimmt.
OT: „Pépé le Moko“
Land: Frankreich
Jahr: 1937
Regie: Julien Duvivier
Drehbuch: Julien Duvivier, Henri La Barthe
Vorlage: Henri La Barthe
Kamera: Jules Kruger, Marc Fossard
Musik: Vincent Scotto, Mohamed Yguerbouchen
Besetzung: Jean Gabin, Mireille Balin, Line Noro, Lucas Gridoux, Gabriel Gabrio, Fernand Charpin, Saturnin Fabre, Gilbert Gil, Roger Legris
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)