In einem demokratisch organisierten Staat sind Rechte wie Versammlungsfreiheit und das der freien Meinungsäußerung hohe Güter, die als selbstverständlich angesehen werden sollten. Auch wenn gerade Letzteres bisweilen als Schild genutzt wird, um bisweilen zweifelhafte Verschwörungstheorien zu legitimieren oder deren Existenz zu schützen, muss gerade eine Demokratie, wie auch deren Mitglieder einen Konflikt mit diesen Ideen aushalten. Letztlich sollte ein Diskurs und weniger die direkte, physische Konfrontation das Ziel sein, welches verfolgt wird. Dennoch ist oft das Gegenteil der Fall, wie aktuell wieder viele Beispiele zeigen, angefangen bei der Erstürmung des Kapitols als Protest von republikanischen Wählern gegen die Abwahl Donald Trumps als US-Präsident bis hin zu der gewaltsamen Niederschlagung der Demonstrationen gegen des G20-Gipfel 2017 in Hamburg. Von beiden Seiten ist eine Form der Eskalation nicht mehr länger nur eine Konsequenz aus den Aktionen, sondern vielmehr das Ziel, um Aufmerksamkeit für die eigenen Ziele zu erhalten wie auch Gegenstimmen, wenn nötig mit drastischen Mitteln, zu ersticken. Beide Extreme sind auf die Dauer nicht nur problematisch, sie schädigen unser Zusammenleben
Den Status der Eskalation kann man aktuell an vielen Beispielen verfolgen, wie den Protesten weltweit gegen die Coronamaßnahmen. Für viele ist diese Form der Normalität schlichtweg nicht mehr hinnehmbar, gerade bei den Bildern, welche über diverse Medien zu uns nach Hause kommen und teils noch über Twitter, Facebook und Konsorten live kommentiert werden. Als sich Regisseur David Dufresne mit der Gelbwestenbewegung in Frankreich auseinandersetzte, überkam ihn ein ähnliches Gefühl, eine Mischung aus Abstumpfen gegenüber den Bildern und einer Distanz, die er nicht mehr länger zulassen wollte. In Interviews beschreibt er, wie alleine der Prozess des Scrollens für ihn zu einer Art Einschnitt wurde, bei dem das vorhin Wahrgenommene bereits aus dem Gedächtnis des Betrachters gelöscht wurde. Daraus entstand die Idee, diesen Bildern und Videos einen höhergestellten Platz zu geben und sie in Zentrum eines Projekts zu stellen, bei dem nicht nur über das Gezeigte diskutiert wird, sondern zugleich über die Wirkung für die Demokratie nachzudenken. Am Ende stand die Dokumentation The Monopoly of Violence, für die Dufresne mit dem prestigeträchtigen Lumière Preis in der Kategorie Beste Dokumentation ausgezeichnet wurde, welche durch einen dialektischen Ansatz alle Seite versucht zu berücksichtigen.
Gewalt und System
Im Falle von The Monopoly of Violence muss man zwischen zwei Ebenen unterscheiden, zwischen denen Dufresne wechselt, welche er verbindet und schließlich den Zuschauer selbst Teil des Diskurses werden lassen. Die erste Ebene besteht aus jenen Bildern und Aufnahmen, welche die Proteste zeigen, teils kontrastiert von Aufnahmen der Straße und Plätze, wie diese an einem normalen Tag aussehen. Zu sehen ist auf der einen Seite Polizeigewalt, doch genauso Aktionen der Protestler, die sich mit Steinwürfen und anderen Mitteln gegen die Beamten zu Wehr setzen. Die Qualität ist dabei amateurhaft, stammen die Aufnahmen doch von Handys von Augenzeugen, Passanten oder Demonstranten, zeigen das Ausmaß an Zerstörung wie auch die Verletzungen am Körper. Mehr als einmal sieht man, wie Menschen zusammenbrechen und von Umstehenden versorgt werden müssen. Das Ausmaß der Eskalation ist beunruhigend und macht sprachlos, doch dagegen hält Dufresne die zweite Ebene seines Filmes.
Die zweite Ebene zeigt diverse Persönlichkeiten, Professoren der Anthropologie wie auch der Politikwissenschaften bis hin zu einfachen Bürgern oder Beamten, die noch einmal an ihre Verletzungen oder an jenen Tag erinnert werden, als ihnen diese widerfahren sind. Neben den Bildern ist immer auch Fokus die Legitimität von Gewalt innerhalb eines Systems, basierend auf einem Zitat des bekannten Soziologen Max Weber. Dabei geht es Dufresne und seinem Team mitnichten um eine Intellektualisierung der Gewalt und des Gesehenen, da über die Ebene vor jenem Moment des Schweigens bewahrt wird, zu dem uns die Brutalität der Bilder verdammt. Vielmehr geht die Dokumentation in eine Ebene über, die uns miteinander in einen Diskurs bringt, die Wirkungen und Konsequenzen des Gesehenen erfahren lässt, aus politischer und sozialer Perspektive.
OT: „Un pays qui se tient sage“
Land: Frankreich
Jahr: 2020
Regie: David Dufresne
Drehbuch: David Dufresne
Kamera: Edmond Carrère
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
César | 2021 | Bester Dokumentarfilm | Nominierung | |
Prix Lumières | 2021 | Bester Dokumentarfilm | Sieg |
Cannes 2020
Toronto International Film Festival 2020
Zurich Film Festival 2020
MyFrenchFilmFestival 2022
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