This House Cette Maison
© Embuscade Films

This House

This House Cette Maison
„This House“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Tessa (Schelby Jean-Baptiste) wird 2008 im Alter von 13 Jahren in Connecticut getötet. Ihre aus Haiti stammende Familie trauert, doch Tessas Geschichte ist noch nicht vorbei. Denn auch nach einem Umzug der Familie nach Kanada führt Tessa noch immer Gespräche mit ihrer Mutter (Florence Blain Mbaye), philosophiert über die Inneneinrichtung des Hauses der Familie und erzählt über sich selbst. Was war, was ist und was hätte sein können.

Surrealistischer Dreiklang

This House ist ein unorthodoxer Film. Frei von Chronologie oder räumlichen Begrenzungen erzählt Regisseurin und Autorin Miryam Charles in träumerischen 16 mm-Bildern eine Geschichte, die kryptisch, vage und unwirklich ist. Der Film springt zwischen Orten und Zeiten hin und her, durchbricht die Vierte Wand, spielt teilweise auf einer Theaterbühne, vor einer Leinwand und verwendet Interview-Sequenzen. Das Ganze ist immer wieder mit Bildern aus Haiti unterbrochen. Und stets ist Tessa da. Als Erzählerin, als Regisseurin ihrer Familie auf der Bühne, als stille Beobachterin oder kommunizierend mit ihrer Mutter. Die Unmöglichkeit dieser Dinge wird dabei immer wieder betont. Ob das Gezeigte Einbildung, Hypothese oder komplett transzendental ist, variiert zwar in seiner Tendenz, bleibt aber offen.

Der Film und vor allem Tessa spricht und deutet viele politische und in Teilen höchst existenzielle Themen an. Die Andeutungen oftmals nur sehr sprunghaft, sehr flüchtig. Wie etwas Hypothetisches, das nie wirklich da war. Ständig steht die Frage im Raum, was ist, was war und was niemals sein wird. Dem Film einen gewissen Rahmen gebend ist bei dieser ganzen Ambiguität eine Art Dreiklang, die sich räumlich und zeitlich feststellen lässt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie Haiti, USA und Kanada sind als Anker der Handlung auszumachen und spielen dabei mit zahlreichen Symbolen und Allegorien.

Heimat, Verlust und Heimatverlust

Besonders die bereits angesprochenen Aufnahmen von Haiti sind, obwohl sich nie eine Figur des Filmes dort aufhält, zentral. Denn mit der Frage nach dem Tod kommt auch immer die Frage nach Zugehörigkeit und Heimat. Der Ort Haiti wird immer wieder als Heimat klassifiziert und deutet auf eine vergangene Zeit hin, in der vermeintlich alles besser war. Natürlich ist das eine klare Romantisierung des Ortes und nichts als eine Vorstellung. Etwas, das es so nie gab. Vielmehr ist Haiti der Traum einer heilen Welt als ein Porträt dieser und zeigt, dass Heimat kein Ort, sondern ein von vielen sozialen Faktoren abhängiges Konstrukt ist. Auch die klare Semantisierung der Orte USA und Kanada weist darauf hin. Die Vereinigten Staaten sind der Ort, an dem Tessa stirbt. Der Ort, an dem der Fall nie aufgeklärt und schlicht vergessen wird, weil ja bloß das haitianische Mädchen gestorben ist. Die neue Heimat wird kalt und feindselig. Die Familie verliert mit dem Tod ihrer Tochter ihre Heimat.

Neben diesem existenziellen Aspekt zeigt sich aber auch, eine Kritik an struktureller Benachteiligung von Migrant*innen, die sogar bis zur Gründung der Vereinigten Staaten in Kausalität gestellt wird. Den USA gegenüber steht Kanada als Ort des Neuanfangs. Ein Ort, an dem alle am Fernseher darüber freuen können, dass der konservative Kandidat für das Gouverneursamt geschlagen wurde. Alle bis auf Tessas Mutter, die ihre Tochter einfach nicht gehen lassen kann. Stattdessen schwelgt sie weiter in Erinnerungen an und Träumen von ihrer Tochter, Haiti, schlicht einer unmöglichen Welt. Nicht ihre Tochter, sondern vielmehr sie befindet sich in einer Art Limbo, verloren, unabhängig von Zeit und Raum, heimatlos.

Letztlich zeichnet sich This House vor allem dadurch aus. In all seiner Uneindeutigkeit ist es dieses Gefühl der Verlorenheit und die Debatte darüber, wie es zustande kommt und ob es möglich ist, dieses Gefühl zu überwinden, das heraussticht. Dabei liegt der Fokus gar nicht unbedingt auf einer Mutter-Tochter-Beziehung, sondern auf grundsätzlichen menschlichen Verhaltensmustern und gesellschaftlichen Strukturen, die der Film im übertragenen Sinne einzureißen versucht.

Credits

OT: „Cette Maison“
Land: Kanada
Jahr: 2022
Regie: Miryam Charles
Drehbuch: Miryam Charles
Musik: Romain Camiolo
Kamera: Isabelle Stachtchenko
Besetzung: Schelby Jean-Baptiste, Florence Blain Mbaye, Eve Duranceau, Mireille Metéllus, Matthew Rankin

Bilder

Filmfeste

Berlinale 2022

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.

https://widget.justwatch.com/justwatch_widget.js



(Anzeige)

This House
Fazit
"This House" ist unfassbar schwer zu greifen und fühlt sich aufgrund seiner Leerstellen wesentlich länger als seine 75 Minuten Laufzeit an. Trotzdem belohnt der Film es, wann man es mit ihm aufnimmt und liefert ein sehr besonderes und als Debütfilm wirklich beeindruckendes Erlebnis.
Leserwertung0 Bewertungen
0
7
von 10