Eigentlich wollte Hercule Poirot (Kenneth Branagh) nur einmal richtig schön Urlaub machen, die Kultur und die Landschaft Ägyptens genießen. Doch daraus wird nichts. So wird er zur Hochzeit von der schwerreichen Linnet Ridgeway-Doyle (Gal Gadot) und Simon Doyle (Armie Hammer) eingeladen, die zufällig dort gefeiert wird. Und eben diese Feier steht unter keinem guten Stern, als auch Jacqueline de Bellefort (Emma Mackey) auftaucht. Die war selbst mit Simon verlobt, bis ihre bis zu dem Zeitpunkt beste Freundin Linnet ihn ihr ausspannte. Seither reist sie dem Paar hinterher, will diesem keine ruhige Minute gönnen, in der festen Überzeugung, ihre große Liebe zurückgewinnen zu können. Um der ebenso hartnäckigen wie lästigen Verfolgerin endgültig zu entkommen, wird die Hochzeitsgesellschaft einfach auf einen Schiffsdampfer verlegt. Doch damit fangen die Probleme erst richtig an …
Eine Reise mit Hindernissen
Wenn es mal wieder länger dauert. Schon 2015 träumte man davon, eine ganze Reihe von Kinofilmen zu drehen, basierend auf Agatha Christies berühmten Kriminalromanen. Vorausgesetzt: Der erste Film Mord im Orient-Express ist erfolgreich genug. Das war er, mit einem Einspielergebnis von rund 350 Millionen US-Dollar – knapp das Siebenfache des Budgets – bewies Regisseur und Hauptdarsteller Kenneth Branagh 2017, dass die bekannten Geschichten noch immer ein großes Publikum erreichen sollten. Schon in dem Film wurde angeteasert, dass es beim nächsten Mal zum Nil gehen würde. Im Herbst 2020 sollte Tod auf dem Nil dann endlich die Reise in die Kinos antreten dürfen. Doch die Corona-Pandemie blockierte die Ausfahrt. Die Missbrauchsvorwürfe an Armie Hammer waren in den letzten Monaten ebenfalls nicht sonderlich hilfreich.
Ob nach den zahlreichen Verschiebungen und in der aktuellen Lage ein weiterer Erfolg möglich ist, bleibt abzuwarten. Ein weiteres Problem des Films ist dabei hausgemacht: Er ist einfach nicht so gut wie der Vorgänger. Der 1937 veröffentlichte Roman von Christie ist dabei eigentlich einer der bekanntesten rund um den belgischen Detektiv Hercule Poirot, der gleichermaßen für seine kleinen grauen Zellen, seine Exzentrik und seinen Schnurrbart bekannt ist. Für Letzteren liefert Tod auf dem Nil nun eine Erklärung und kehrt dafür in die jungen Jahre Poirots zurück. Die Mördersuche wird auf diese Weise zu einer Art Origin Story, sowohl im Hinblick auf die Figur wie auch den Schnauzer. Dazu gibt es noch eine hinzugedichtete Romanze, die offensichtlich dazu dienen soll, den brillanten Ermittler menschlicher zu machen. Denn nichts macht jemanden nahbarer als eine tragische Liebe.
Unglückliche Änderungen
Sonderlich glücklich ist die Entscheidung nicht. Auf der einen Seite stimmt es natürlich schon, dass Christie nicht so wahnsinnig viel Wert auf Figurenzeichnung legte, was heute manchmal etwas dünn wirkt. Einen ihrer berühmtesten Charaktere aber so sehr zu verändern, dass er kaum noch wiederzuerkennen ist, kann auch nicht die Antwort sein. Auch sonst zeigt Drehbuchautor Michael Green, der die Adaption des Romans zu verantworten hat, mit den eigenen Einfällen kein besonders gutes Händchen. Ob es die hinzugefügte Actionszene ist, Verschiebungen bei den Figuren, neu geschaffene Motive oder ein weiterer Auftrag, den Poirot zu erfüllen hat – da passt vieles nicht so wirklich. Enttäuschend ist zudem, dass in Tod auf dem Nil ausgerechnet die zentralen Szenen vermurkst werden. Beispielsweise wird die Tragik der ursprünglichen Geschichte hier gar nicht deutlich.
Stärken hat der Film natürlich schon, darunter ein erneut sehr prominentes Ensemble. Aber auch hier bleibt das unter den Möglichkeiten. So haben einige Schauspieler und Schauspielerinnen nicht die Gelegenheit, ihr Talent auszuspielen. Sehr schade ist beispielsweise, dass das britische Komikerinnen-Duo Dawn French und Jennifer Saunders so wenig zu tun bekommt. Sowohl Mord im Orient-Express wie auch Tod aus dem Nil 1978 hatten in der Hinsicht mehr zu bieten. Da waren einfach deutlich einprägsamere Auftritte und Charaktere drin, als unter anderem Bette Davis, Maggie Smith und Angela Lansbury zu den Verdächtigen zählten. Selbst bei der Optik hatte der Oldie mehr zu bieten. Branagh kann zwar auf ein deutlich erhöhtes Budget zurückgreifen. Dieses floss aber zu oft in offensichtliche Computereffekte: Während man bei der ersten Adaption noch wirklich den Reiz der Ferne spüren konnte, sieht der erneute Ausflug nach Ägypten oft einfach zu künstlich aus. Der Bombast geht zu Lasten der Stimmung.
Unglaubwürdig, aber spannend
Doch trotz der zahlreichen Mängel und Verschlimmbesserungen, die den Film zu einer Enttäuschung werden lassen: Wer klassische Whodunnit-Krimis mag, der bekommt hier schon einiges zu tun und zu sehen. Die Geschichte ist zwar nach wie vor ziemlich konstruiert, das war schon bei Christie so. Aber es ist doch ein interessantes Puzzle, welches geschickt damit spielt, dass vermeintliche Fakten sich als falsch herausstellen. Wie so oft in diesem Genre heißt es: Hier ist nichts so, wie es zunächst scheint. Insofern wäre es Tod auf dem Nil schon zu wünschen, dass der Film trotz allem ein Erfolg wird. Das Potenzial für spannende Adaptionen der Queen of Crime ist da, unzählige weitere Bücher warten darauf, ihre zeitlosen Rätsel zu teilen. Es wäre dann nur zu wünschen, dass beim nächsten Mal mit einem besseren Gefühl an die Arbeit gegangen wird, was funktioniert und was nicht bzw. was die Stärken der Romane sind, die beibehalten werden sollten.
OT: „Death on the Nile“
Land: USA
Jahr: 2022
Regie: Kenneth Branagh
Drehbuch: Michael Green
Vorlage: Agatha Christie
Musik: Patrick Doyle
Kamera: Haris Zambarloukos
Besetzung: Kenneth Branagh, Tom Bateman, Annette Bening, Russell Brand, Ali Fazal, Dawn French, Gal Gadot, Armie Hammer, Rose Leslie, Emma Mackey, Sophie Okonedo, Jennifer Saunders, Letitia Wright
Wer nach der Serie weiteren Stoff der Queen of Crime braucht: In unserem Special zu Agatha Christie erzählen wir euch von den Adaptionen ihrer Bücher, Dutzende von Kritiken inklusive.
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