Paul (Jonas Holdenrieder) ist ein Einzelgänger, der sich für Schleichpfade und verlassene Gebäude interessiert. Vielleicht gerade wegen seiner Rätselhaftigkeit übt der 17-Jährige eine unwiderstehliche Faszination auf seine Mitschülerin Dala (Valerie Stoll) aus. Auch der kunstsinnige Lehrer Erich Bulwer (Devid Striesow) zeigt ein Interesse an dem jungen Mann, das über die rein pädagogische Beziehung hinauszugehen scheint. Verborgene Sehnsüchte spielen eine große Rolle in einer Geschichte, die sich mit dem Zustand der Unsicherheit beschäftigt, der nicht nur die Pubertät prägt, sondern auch andere Phasen des Umbruchs. Und dann liegt eines Tages ein Jugendlicher tot im Wald.
Kunstvoll komponierte Räume
Dem Film ergeht es wie Paul, seiner Hauptfigur. Er erscheint undurchsichtig. Wie der junge Mann agiert er zurückhaltend, beobachtend, zögerlich. Was in Paul vorgeht, weiß der junge Mann möglicherweise selbst nicht. Es könnte alles sein oder auch nichts. Deswegen eignet er sich so gut als Projektionsfigur für alle um ihn herum. Die sehen in ihm einen hochbegabten Gedichteschreiber, so sein Lehrer Erich Bulwer, einen Homosexuellen, so sein neuer Mitschüler David (Valentino Fortuzzi) oder einen heterosexuellen Liebhaber, so Dala. Womöglich ist er von allem ein bisschen, aber auch noch ein anderer: ein Introvertierter, der sich für fremde Briefe interessiert. Sicher ist: Paul besucht seinen im Rollstuhl sitzenden Lehrer zu Hause und trifft sich sowohl mit David wie mit Dala.
Es ist faszinierend, wie eine Erzählung vom undefinierbaren Zustand der Entfremdung, des vielleicht nicht nur pubertären Suchens einen derartigen Sog ausüben kann. Paul bewegt sich in kunstvoll komponierten Räumen wie ein Tagträumer, losgelöst und schwerelos, wie hinter einem Schleier und manchmal wie umstellt von Spiegeln. Der eingangs zitierte Thrill der Bilder und der Tonspur schaffen eine Atmosphäre, die die Lücken der Erzählung über weite Strecken verdeckt. Genauer gesagt: verdecken muss, damit der Film funktionieren kann. Ganz bewusst nämlich, so erzählt es Regisseur Christian Schäfer, hätten er und sein Drehbuchautor Glenn Büsing gängige Zuschauerfragen offen lassen wollen. Etwa die, ob der Tod Davids ein unglücklicher Unfall war oder Folge einer überlegten Handlung. Oder auch das Rätsel, ob Paul für Dala echte Gefühle hegt.
Ein Junge ohne Eigenschaften
Dank dem hervorragenden Nachwuchsschauspieler Jonas Holdenrieder reißt die emotionale Einfühlung in eine Art „Junge ohne Eigenschaften“ auch in schwierigen Momenten nicht ab. Und der Mut zum Experiment entführt den Zuschauer in einen Film abseits ausgetretener Pfade. Aber das Erkunden erzählerischen Neulands birgt auch Gefahren. Nämlich das Risiko, Zuschauer zurückzulassen, die sich im Wald der Rätsel verlaufen. Oder die dem Bund einer geistig-kunstsinnigen Elite, wie sie Pauls Lehrer ersehnt, gar nicht erst beitreten wollen.
OT: „Trübe Wolken“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Christian Schäfer
Drehbuch: Glenn Büsing
Musik: Philipp Schaeper, Christopher Colaço
Kamera: Sabine Sina Stephan
Darsteller: Jonas Holdenrieder, Devid Striesow, Valerie Stoll, Peter Jordan, Claudia Geisler-Bading, Aurel Klug, Valentino Fortuzzi
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