Für Jacques (Vincent Deniard) bricht eine Welt zusammen, als sein Vater plötzlich stirbt. Schließlich war er es, der sich um ihn kümmerte und ihm ein Zuhause gab. Zwar hat er noch seine drei Geschwister Louise (Maud Wyler), Fabien (Pascal Rénéric) und Estelle (Claude Perron). Aber die wissen nicht so recht, wie sie mit ihm umgehen sollen. Vor allem die Schizophrenie, unter der er leidet, macht das Zusammenleben mit ihm schwierig. Hinzu kommt, dass er viel trinkt und raucht, auch sein Tablettenverbrauch ist beachtlich. Zunächst denken sie noch darüber nach, ihn in eine spezielle Einrichtung zu geben, wo man sich seiner annehmen würde. Louise will es aber erst einmal selbst versuchen und bietet ihm an, bei ihr zu wohnen – was schnell zu ersten Konflikten führt …
Das Leben mit einem psychisch kranken Familienmitglied
Die Situation ist nie einfach: Wie geht man mit einem Familienmitglied um, das psychisch krank ist? Dabei kann die Krankheit die unterschiedlichsten Formen annehmen. Depressionen sind immer wieder eine große Herausforderung, auch für das Umfeld, wenn man hilflos mitansehen muss, wie es einem geliebten Menschen schlecht geht. Aber auch eine Schizophrenie kann zu einer echten Zerreißprobe werden. Das deutsche Drama Hirngespinster zeigte vor einigen Jahren, wie die Familie gegen den immer stärker werdenden Verfolgungswahn des Vaters ankämpfte, der grundsätzlich in allem und jedem eine Bedrohung sah. Wohin mit Jacques? erzählt nun ebenfalls von einer Familie, bei der ein unter Schizophrenie leidendes Mitglied alle an ihre Grenzen führt.
Ganz so heftig wie bei dem deutschen Kollegen geht es hier nicht zu. Jacques ist kein Fall für den Aluhut. Ihm ist sogar durchaus bewusst, dass etwas mit ihm nicht in Ordnung ist. Das macht es einerseits einfacher, weil er zumindest in Ansätzen empfänglich ist für das Zureden der anderen. Er will ja auch, dass das Verhältnis zwischen ihm und den anderen gut ist, weshalb da bei allen immer die Hoffnung ist, dass es wieder besser kommen könnte. Das macht Wohin mit Jacques? gleichzeitig aber auch so tragisch, da die Titelfigur auf diese Weise ein Gefangener der eigenen Gedanken und Gefühle wird. Er kann sie nicht kontrollieren, so sehr er es auch versucht. Es gelingt ihm einfach nicht, aus dem Ganzen wieder freizukommen.
Zwischen Loyalität und Selbstschutz
Regisseurin und Co-Autorin Marie Garel-Weiss (Alone) beschreibt in ihrem Film, wie die Beteiligten versuchen, eine Lösung für die Situation zu finden. Gleichzeitig wird das Publikum implizit aufgefordert, selbst irgendwie Stellung zu beziehen. Denn eine einfache Antwort gibt es hier nicht. Den Bruder einfach so aufzugeben, das bringt man dann doch nicht übers Herz. Wenn das Leben mit ihm so schwierig ist, stellt sich aber natürlich schon für jeden irgendwann die Frage: Wie weit bin ich bereit zu gehen? Welche Einschränkungen nehme ich in Kauf, um für jemand anderen da zu sein? Wohin mit Jacques? erzählt von Loyalität und Selbstschutz. So hat Louise eine doppelte Verantwortung ihrer Familie gegenüber: ihrem Bruder gegenüber, aber auch der von ihr selbst gegründeten Familie. Da heißt es die richtige Balance zu finden – und manchmal schwierige Entscheidungen zu treffen.
Es ist Garel-Weiss hier auch anzurechnen, dass sie eben nicht die einfache Antwort vorgibt. Wo andere aus dem Stoff ein tränenreiches Wohlfühldrama gemacht hätten, das den Zusammenhang zelebriert und belohnt, da ist die französische Filmemacherin deutlich zurückhaltender. Wohin mit Jacques? erzählt eine bewegende Geschichte, ohne die Zuschauer und Zuschauerinnen manipulieren zu wollen. Tatsächlich ist das Drama überraschend spröde. So kommt es zwischendurch zwar immer mal wieder zu Zuspitzungen, wenn die Krankheit von Jacques hässliche Szenen nach sich zieht. Aber diese Szenen stehen nicht im Mittelpunkt. Der Rest des Films ist ruhiger, nachdenklicher, wenn sich hier die Figuren mit einem Thema auseinandersetzen müssen, mit denen die meisten nichts zu tun haben wollen. Jacques ist weder das arme Opfer, das man aus ihm hätte machen können, noch der bedrohliche Verrückte, vor dem man unbedingt Angst haben muss. Stattdessen lernen wir einen Menschen kennen, der durch den Verlust des Vaters das eine Element verloren hat, das ihn mit der Welt verband, und der nun auch emotional durch die Gegen irrt und nicht weiß, wohin er noch soll.
OT: „Qu’est-ce qu’on va faire de Jacques ?“
Land: Frankreich
Jahr: 2021
Regie: Marie Garel-Weiss
Drehbuch: Pierre Chosson, Hedi Sassi, Marie Garel-Weiss
Musik: Pierre Allio, Ferdinand Berville
Kamera: Samuel Lahu
Besetzung: Vincent Deniard, Maud Wyler, Claude Perron, Pascal Rénéric, Samir Guesmi, Christian Bouillette
(Anzeige)