Nach dem großen Erfolg seines vorangegangenen Filmes bei der Berlinale hat sich der israelische Regisseur (Avshalom Pollak) bereits einem neuen Projekt verschrieben, bei dem es um eine junge Palästinenserin ging, die einen israelischen Soldaten ohrfeigte und dafür ins Gefängnis musste. Doch bevor es damit richtig los geht, folgt er der Einladung, ein abgelegenes Dorf in seinem Heimatland zu besuchen und dort einen seiner Filme vorzustellen. Dabei macht er auch die Bekanntschaft von Yahalom (Nur Fibak), die sich seiner annehmen soll. Das Verhältnis ist gut, beide flirten sogar ein wenig miteinander. Doch dann bittet sie ihn, ein Formular auszufüllen, in dem er vorher festhält, worüber er reden wird. Für den Filmemacher ein völlig inakzeptabler Eingriff in sein Schaffen …
Autobiografisch und wenig massentauglich
Nadav Lapid hatte schon einige Filme gedreht, als ihm 2018 mit Synonymes sein bislang größter Triumph gelang: der Goldene Bär bei der Berlinale. Der hat zwar nicht das Prestige der Goldenen Palme von Cannes oder des Goldenen Löwen in Venedig, ist aber eine durchaus begehrte Trophäe, die für Aufmerksamkeit sorgt. Insofern durfte man gespannt sein, wie der israelische Regisseur mit diesem Ruhm wohl umgehen und was er im Anschluss wohl als nächstes drehen würde. Die Antwort lautet Aheds Knie und setzt zumindest teilweise das fort, was er zuvor in seiner gefeierten Tragikomödie schon angesprochen hatte. Er macht es nur noch etwas radikaler. Dafür gab es 2021 dann den Preis der Jury in Cannes. Die breite Masse dürfte mit dem Werk jedoch so ihre Probleme haben.
Dabei spricht er Themen an, die durchaus relevant sind. Und gleichzeitig sehr persönlich. Die Hauptfigur ist in Aheds Knie sehr autobiografisch gefärbt. Ein israelischer Regisseur, der gerade bei der Berlinale war? Das kommt einem natürlich bekannt vor. Aber auch die kranke Mutter ist aus dem Leben Lapids gegriffen. Vor allem aber ging es ihm darum, sein schwieriges Verhältnis zu seinem eigenen Land zu thematisieren. Das war schon in Synonymes offensichtlich, in dem es sich ein junger Israeli in den Kopf gesetzt hatte, unbedingt Franzose werden wollte. Das bedeutete dann auch, die eigene Identität abzulegen und sich von dem loszusagen, woher man kommt. Das Land hinter sich zu lassen, so als gäbe es das überhaupt nicht.
Zum Angriff!
In Aheds Knie wiederum gibt es keine Flucht. Vielmehr geht Lapid und damit auch sein mehr oder weniger namenloses Alter Ego zum Angriff über. Von Anfang an ist dieser auf Konfrontation aus, sei es filmisch mit dem geplanten Werk über die junge Palästinenserin. Aber auch in der direkten Begegnung ist da immer das Gefühl von Aggression. Aber auch das Gefühl von Rastlosigkeit. Wenn er relativ bald nach seiner Ankunft seinen Plan, sich erst einmal schlafen zu legen, aufgibt und lieber etwas sehen will, dann ist das nur der Auftakt für eine Reise, bei der das Äußere und das Innere eng zusammenliegen. Und so sehen wir ihn durch die Gegend streifen, bewundern mit ihm die einmalige Kulisse. Doch von Ausgeglichenheit und Harmonie keine Spur. Denn es rumort in ihm. Da können noch so viele blaue Himmel aufgereiht werden oder Be My Baby von Vanessa Paradis aus den Lautsprechern trällern, das reicht nur für einen kurzen Waffenstillstand.
Erst zum Ende hin kommt es zu dem Showdown, der sich so lange angekündigt hat, wenn die Worte aus ihm heraussprudeln, eines hässlicher als das andere, bei dem Versuch, die Hässlichkeit seines Landes zu beschreiben. Dabei beschränkt er sich nicht auf die bekannten Verbrechen der israelischen Regierung, sondern kritisiert ausdrücklich die Kunst. Diese soll die Menschen befreien, den Horizont erweitern, die Schönheit der Vielfalt aufzeigen. Stattdessen wird sie zum Komplizen, poliert die Gitterstäbe, schmückt sie noch ein wenig, immer in dem Versuch, das eigene Gefängnis zu verstecken, in dem seine Landsleute stecken. Freunde macht er sich damit natürlich nicht. Aber sonderlich liebenswürdig kam er einem schon zuvor in Aheds Knie nicht vor.
Faszinierende (Selbst-)Demontage
Tatsächlich ist der Protagonist wie der gesamte Film recht anstrengend, inhaltlich wie inszenatorisch. Die ständigen Sprünge der Kamera etwa gegen Ende hin, so als wäre sie Zuschauerin eines Tennisspiels, können schon leichten Schwindel verursachen. Die eigenartigen Dialoge, die nur hin und wieder mal der menschlichen Kommunikation dienen, erinnern einen ständig daran, dass das hier ein Film ist. Außerdem mag es etwas Kathartisches für Lapid haben, einmal alles niederzureißen – produktiv ist es weniger. Aber das zuweilen leicht surreale Drama ist eine Erfahrung, die etwas zurücklässt. Sollen andere sich in Gefälligkeit üben, Aheds Knie zeigt auf, dass der Regisseur nicht vor hat, mit steigendem Ruhm leiser und netter zu werden. Da darf man schon fast ein wenig Angst haben, wie die nächste Eskalationsstufe aussehen wird.
OT: „Ha’berech“
IT: „Ahed’s Knee“
Land: Israel, Deutschland, Frankreich
Jahr: 2021
Regie: Nadav Lapid
Drehbuch: Nadav Lapid
Kamera: Shaï Goldman
Besetzung: Avshalom Pollak, Nur Fibak
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