Wenn die Sprösslinge bedeutender Künstler und Künstlerinnen sich an eben dieser Kunst versuchen, wird es erwartungsgemäß oft schwierig. Immer wieder wird man mit den Eltern verglichen. Je größer die Fußstapfen, umso größer ist der Erfolgsdruck, umso größer auch schon mal die Häme des Publikums, wenn der Erfolg ausbleibt. Beispiele, dass ein solcher Generationenwechsel funktionieren kann, gibt es aber durchaus. Cicero – Zwei Leben, eine Bühne erzählt die Geschichte eines eben solchen Beispiels. Eugen Cicero war ein umschwärmter Jazzpianist, der mit berühmten Stars auftrat. Sein Sohn Roger Cicero wurde selbst zu einem: Zwischen 2006 und 2014 landete er mit fünf Folgealben unter den Top 5 der deutschen Albumcharts. Er sammelte eine ganze Reihe von Gold- und Platinscheiben in dieser Zeit.
Zwischen Triumph und Tragik
Die Liebe zur Musik ist aber nicht das einzige, was Vater und Sohn gemeinsam ist. Beide starben zudem recht jung, jeweils an einem Hirnschlag. Eugen starb 1997 mit gerade einmal 57 Jahren. Rogers Tod geschah 2016, er war zu dem Zeitpunkt lediglich 45 Jahre alt. In Cicero – Zwei Leben, eine Bühne wird über die beiden Todesfälle überraschend ausführlich gesprochen. Der Tod Eugens hatte seinerzeit schwerwiegende Auswirkungen auf Roger, der mit dem Verlust nicht klar kam und gegen seine Trauer ankämpfte. Sein eigener Tod, so wird zumindest impliziert, dürfte auch die Folge seines eigenen Lebenswandels gewesen sein. Er habe sich zu viel Stress zugemutet, wird von anderen in dem Film gesagt. Habe nicht die notwendige Balance gefunden zwischen seiner Arbeit als Sänger, bei dem er zum Perfektionismus neigte, und seinen eigenen Bedürfnissen.
Aussagen von Menschen, die einen von ihnen oder beide gut kannten, finden sich in Cicero – Zwei Leben, eine Bühne zuhauf. Aus verständlichen Gründen: Für einen biografischen Dokumentarfilm ist es schwierig, wenn gleich beide Protagonisten verstorben sind. Wer eine Abneigung gegen die im dokumentarischen Bereich oft exzessiv verwendeten Sprechköpfe hat, der wird hier daher kaum glücklich. Dann und wann finden sich zwar auch Aufnahmen der beiden Ciceros selbst, sei es auf der Bühne oder dahinter. Den Schwerpunkt bilden aber Interview mit Leuten, die aus der dritten Person heraus das Leben der beiden wiedergeben. Sonderlich einfallsreich ist das nicht. Aber es funktioniert, die Auswahl an Testimonials fügt sich zu einem schlüssigen und – trotz der zwangsläufigen Distanz – persönlichen Porträt zusammen.
Ein bisschen Musikgeschichte
Allzu privat wird es dabei aber nicht. Intime Einblicke, etwa zum Verhältnis von Roger zu seinem eigenen Sohn Louis, bleiben eine Ausnahme. Cicero – Zwei Leben, eine Bühne richtet sich damit weniger an ein Publikum, das einem Starkult frönen will, mit viel Glamour und Lobeshymnen. Letztere bleiben nicht aus, so viel Anstand und Bewunderung muss dann doch sein. Das ungemein große Talent der zwei wird nicht einfach vorausgesetzt, sondern von den Interviewten explizit hervorgehoben, nur für den Fall, dass es das Publikum nicht wissen sollte. Gleichzeitig wird aber auch von der schwierigen Verbindung aus Kunst und Kommerz gesprochen. Da müssen bei der Selbstverwirklichung zuweilen schon mal Kompromisse gemacht werden – ein Thema, das bei beiden Musikern eine Rolle spielte.
Spannend ist der Film deshalb nicht allein als Porträt der Vater-Sohn-Gespanns. Vielmehr werden dabei nebenher noch universellere Themen rund um Musik und Kunst im allgemeinen angeschnitten. Auch Elemente eines Zeitporträts finden sich in Cicero – Zwei Leben, eine Bühne. Da das Regieduo Kai Wessel (Nebel im August) und Tina Freitag die Lebensgeschichten größtenteils chronologisch erzählen, gibt es ein klein wenig Musikgeschichte mit dazu, Erinnerungen an gemeinsame Auftritte von damals und äußere Veränderungen inklusive. Selbst wer nicht mit der Musikrichtung der beiden Herren etwas anfangen kann, findet deshalb einige Argumente, warum sich hier ein Vorbeischauen lohnt.
OT: „Cicero – Zwei Leben, eine Bühne“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Kai Wessel, Tina Freitag
Drehbuch: Katharina Rinderle, Kai Wessel, Andrei Dinu
Kamera: Jan Kerhart
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