Manche nennen ihn die „Mutter Teresa Afrikas“, andere den „verrückten weißen Bauern“: Aber eigentlich ist Tony Rinaudo, Träger des Alternativen Nobelpreises 2018, weder das eine noch das andere. Er hat „nur“ eine uralte Methode der Wiederaufforstung neu belebt, die auf dem schwarzen Kontinent beeindruckende Erfolge zeigt. Aus scheinbar nutzlosen, aber noch lebenden Wurzeln zog er neue Bäume, statt mühsam Setzlinge in die Erde zu bringen, die dann in 80 Prozent der Fälle wieder zugrunde gehen. Als der Regisseur Volker Schlöndorff davon erfuhr, wollte er den Waldmacher unbedingt kennenlernen. Er lud ihn ein, auf seinem Rückweg von der Preisverleihung in Stockholm einen Zwischenstopp in Berlin einzulegen. Schon bald war man sich einig, einen Film über Rinaudos Arbeit seit nunmehr 40 Jahren zu drehen. Er ist Schlöndorffs erster Kinodokumentarfilm geworden – eine ebenso einfühlsame wie hoffnungsvolle Annäherung an die Menschen in Afrika, die sich mit Bäumen ihren Lebensunterhalt und ihre Würde zurückholen.
Auf Augenhöhe
Ein kleiner Ort in Niger. Die Menschen versammeln sich, einer der Dorfältesten hält eine Rede. Er stellt den jüngeren Gemeindemitgliedern den Australier Tony vor, der mit seiner Frau und den vier Kindern 1981 in den Niger kam, um etwas gegen die Hungersnöte zu tun, die das Land plagten. Wie der damals aufgezogene Wald heute die Sandstürme abmildert, schildert der Dorfälteste mit großer Anschaulichkeit. Aber dann meldet sich eine jüngere Frau mit einer kritischen Frage. Das sei ja alles schön und gut, aber inzwischen sei die Bevölkerung gewachsen, selbst das begrünte Land könne nicht mehr alle ernähren. Tony möge ihr doch bitte erklären, wie man die Erträge der unter Bäumen betriebenen Landwirtschaft weiter steigern könne. Der Angesprochene reagiert mit Humor. „Du schlägst mich k.o. mit dieser Frage“. Alle lachen, die Stimmung ist gelöst. Der inzwischen 64-Jährige gibt zu, dass die Antwort nicht leicht ist. Aber er hat einen Tipp, den man sich vom Nachbardorf abschauen kann: Durch Veredeln der Obstbäume lassen sich größere, auf dem Markt zu verkaufende Früchte ernten.
Schöner als mit dieser Szene lässt sich Tonys Erfolgsgeheimnis kaum in Bilder fassen. Die von ihm wiederentdeckte Methode funktioniert nur im gleichberechtigten Austausch mit den Bauern vor Ort. Man muss ihre Sprache sprechen, ihren Humor teilen, ihren Aberglauben ernst nehmen. Wer ihnen ein abstrakt klingendes Entwicklungsprogramm vor die Nase setzt, wird scheitern. Das hat Tony selbst erlebt. Zwei Jahre lang pflanzte er neue Bäume im klassischen Setzlingverfahren, nichts wuchs dauerhaft an.
Als der studierte Agrarökonom schon aufgeben und nach Australien zurückreisen wollte, entdeckte er mitten in der Wüste einen einsamen Strauch. Er schaute sich dessen Blätter näher an und erkannte: Das ist gar kein Strauch, sondern ein Baum, dessen Wurzeln noch aktiv sind. Hier stand einmal ein Wald, der keineswegs komplett tot ist, selbst wenn er von der Oberfläche verschwand. Im Boden steckt ein riesiges, weit verzweigtes, immer noch lebendiges Wurzelgeflecht. Das lässt sich anzapfen, wenn man verhindert, dass Ziegen die nach Regenfällen sprießenden Triebe gleich wieder abfressen. Und wenn man die „Sträucher“ regelmäßig beschneidet, sodass alle Kraft in ein oder zwei Triebe fließt. Dann regeneriert sich der Wald von ganz allein, gepflegt von den Bauern, die alle zwei Monate mit der Astschere anrücken und die Arbeit quasi nebenbei erledigen, wenn sie denn von ihrem enormen Nutzen überzeugt sind. Im Süden Nigers konnten die Landwirte mit der sogenannten Agroforstwirtschaft ihre Erträge verdoppeln. Heute stehen dort 280 Millionen Bäume, 40mal mehr als vor 30 Jahren.
Kooperation mit Filmkollegen
Wie Tony Rinaudos bescheidenes Auftreten, so auch Volker Schlöndorffs Film. Der Oscar-Preisträger (für Die Blechtrommel 1980) tritt nicht an, der Welt großspurig ein unschlagbares Erfolgsrezept anzupreisen. Er sucht die Kooperation mit afrikanischen Filmemachern, die ihm fünf in den Film integrierte Beiträge zur Verfügung stellen über Themen, in die sie tiefer einsteigen können als ein Ausländer. Auch in den „eigenen“ Passagen nähert sich Schlöndorff dem afrikanischen Kontinent mit Demut und Neugierde. Einen „Film-Essay“ nennt der Altmeister des neuen deutschen Films das Konzept, das sich zu subjektiven Blickwinkeln bekennt und den Regisseur auch vor der Kamera zeigt. Sie schaut zu, wie er Menschen kennenlernt und ihre Meinung respektiert, selbst wenn sie nicht ins Konzept passt.
„Wer will Lehrer werden“, fragt Schlöndorff einmal eine Schulklasse. Alle Arme schnellen in die Höhe. Wer will Bauer werden? Keiner. Die Idee, durch Agroforstwirtschaft 350 Millionen Subsistenzlandwirten in der Sahelzone das Überleben zu sichern und damit etwas gegen den Klimawandel zu tun, klingt gut auf dem Papier. Aber dazu muss auch die Jugend überzeugt werden, die lieber einen Bürojob in den eh schon überfüllten Millionenstädten ergattern möchte, als ein bescheidenes Leben auf dem Lande zu führen. Trotz aller Widerstände ist Tony Rinaudo optimistisch. Auch Bäume wachsen nicht auf einen Schlag in den Himmel. Im geduldigen Beharren liegt ihre Kraft.
OT: „Der Waldmacher“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Volker Schlöndorff
Drehbuch: Volker Schlöndorff
Musik: Bruno Coulais, Ablaye Cissoko
Kamera: Paapa Kwaku Duro, Jean Diouff, Michael Kern, Mahamoud Abdoulay, Jonas Aly Sagnon, Axel Schneppat
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)