Europe
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Europe

Europe
„Europe“ // Deutschland-Start: 10. März 2022 (Kino) // 20. September 2022 (DVD)

Inhalt / Kritik

Eigentlich war es eine ziemlich gute Nachricht für Zohra Hamadi (Rhim Ibrir). Die Rückenprobleme, mit denen sie sich seit Ewigkeiten herumplagt, sollen der Vergangenheit angehören. Die Behandlung ist erfolgreich. Was sie dabei aber nicht bedacht hat: Die Algerierin, die für die medizinische Betreuung nach Frankreich gezogen ist, soll im Anschluss das Land wieder verlassen und in ihre Heimat zurückkehren. Dabei kommt das für Zohra nicht in Frage, sie will alles dafür tun, um bleiben zu dürfen. Während sie die Behörden abklappert, auf der Suche nach Hilfe, muss sie mitansehen, wie ihr das gewohnte Leben zunehmend entgleitet …

Experimentelles Drama

Eine ganze Zeit lang gab es praktisch kein Entkommen von Filmen, welche die Flüchtlingskrise und ihre Folgen zum Thema machten. Vor allem im Dokumentarbereich, aber auch die eine oder andere fiktionale Produktion beschrieben, wie Menschen in der Fremde eine Heimat suchen. Oft ging es dann um die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, seien sie gesellschaftlicher oder bürokratischer Natur. Europe passt da auf den ersten Blick gut rein. Ähnlich zu Toubab wird hier erzählt, wie jemand erfährt, dass er das Land verlassen muss. Diese Person fällt verständlicherweise aus allen Wolken und wehrt sich gegen das Schicksal, hat dabei aber schlechte Karten. Im Gegensatz zum erwähnten Kollegen, der aus dem Stoff eine Komödie macht, ist das hier eindeutig im Drama-Bereich eingeordnet. Wobei das so ziemlich das einzige an dem Film ist, das man wirklich „eindeutig“ nennen würde.

Tatsächlich ist Europe deutlich experimenteller, als es die bloße Inhaltsangabe vermuten ließe. Nicht umsonst feierte der Film 2022 in der Forum-Sektion der Berlinale Premiere, die dafür bekannt ist, mit Grenzen zu spielen oder sie gleich ganz zu ignorieren. Schon früh hat man hier das Gefühl, dass da etwas nicht ganz stimmt, wenn das Fiktionale und das Dokumentarische ineinander übergehen. Regisseur und Drehbuchautor Philip Scheffner, der eigentlich vom Dokumentarfilm kommt, sieht das bei seinem ersten Spielfilm alles nicht so eng. Man weiß hier über längere Zeit nicht so genau, ob er hier nun eine wahre Geschichte erzählt oder nur so tut. Das Laien-Ensemble trägt ebenfalls dazu bei, dass das alles ein wenig fließender ist. Auf Musik wird ohnehin verzichtet, das könnte die Illusion zerstören, hier mitten durch die Realität zu spazieren.

Ein langsames Verschwinden

Aber selbst ohne diese gewohnten gestalterischen Mittel darf man nach einiger Zeit ins Grübeln kommen. So gewinnt Europe mit der Zeit eine immer surrealere Note. Wenn die kleine französische Stadt, in der der Film spielt, im Sommer ausgestorben ist, entsteht da schon eine gewisse Endzeitstimmung. Nur dass nichts zerstört oder verfallen ist. Ähnlich zu Nachsaison ist das irgendwie gespenstisch, wenn Zohra durch menschenleere Wohnungen geht, weil sie als einzige nicht weggefahren ist. Ausgerechnet sie ist noch da, die nicht da sein darf. Verstärkt wird der Eindruck, wenn sie im weiteren Verlauf mit Leuten spricht, die gar nicht zu sehen sind. Leute, bei denen man sich irgendwann nicht einmal sicher ist, ob sie denn existieren oder ob sich die Protagonistin in eine eigene Welt zurückgezogen hat.

Aber auch sie selbst verschwindet mit der Zeit. Scheffner hat einige clevere Mittel angewendet, um die Entfremdung der Hauptfigur von der Welt, in der sie nicht mehr erwünscht ist, zu verbildlichen. Diesen Film Europe zu betiteln, ist in dem Zusammenhang besonders gemein. Die Idee einer Gemeinschaftlichkeit ist hier nirgends zu sehen. Tatsächlich bezieht sich der Titel gar nicht auf den Kontinenten, sondern eine bloße Bushaltestelle. Das ist mindestens ebenso ernüchternd wie das, was die Menschen erwartet, die mit großen Erwartungen ihren Weg in die alte Welt angetreten haben und dort nichts vorfinden. Dem Publikum geht es ganz ähnlich. Die reizvolle Atmosphäre und die ungewöhnlichen Bilder treffen auf eine eigenartige Sprachlosigkeit und Worte, die in der Leere verloren gehen. Das ist für Zuschauer und Zuschauerinnen weniger interessant, die eine klare Aussage einfordern, aber doch eine der spannenderen Annäherungen an ein allgegenwärtiges Thema.

Credits

OT: „Europe“
Land: Deutschland, Frankreich
Jahr: 2022
Regie: Philip Scheffner
Drehbuch: Merle Kröger, Philip Scheffner
Musik: Annette Focks
Kamera: Volker Sattel
Besetzung: Rhim Ibrir, Thierry Cantin, Didier Cuillierier, Khadra Bekkouche, Nouria Lakhrissi

Bilder

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Fazit
„Europe“ folgt einer Algerierin, die aus Frankreich wieder fortgeschickt werden soll. Das bietet sich als Sozialdrama an, wird hier aber zu einem deutlich experimentelleren Werk. Anstatt über Systeme oder persönliche Hoffnungen zu sprechen, sehen wir, wie jemand mehr und mehr aus dem alltäglichen Leben verschwindet.
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