Nachdem ihre Großmutter (Vera Valdez) eine Hirnblutung erlitten hat, muss Susana (Almudena Amor), die als Model in Paris arbeitet, zurück nach Madrid, um sich um diese zu kümmern. Zunächst soll Susanas Oma ihre Wohnung noch nicht verlassen müssen und Susana beschließt, sie zu Hause zu pflegen, bevor sie vielleicht doch einen Platz im Pflegeheim sucht. Bald jedoch muss die junge Frau feststellen, dass ihre Oma, bei der sie aufgewachsen ist, nicht mehr die ist, die sie einmal war. Nicht nur von der plötzlichen Krankheit gezeichnet, benimmt sich diese zusehends merkwürdig und in der Wohnung geschehen seltsame Dinge. Susana, die nicht mal mehr ihren eigenen Erinnerungen vertrauen kann, plagen schließlich schrecklich reale Albträume und allmählich bekommt sie es mit der Angst zu tun. Denn eine Flucht aus der alten Wohnung ist plötzlich unmöglich.
Der Horror des Alterns
Perfektionismus und Makellosigkeit. Die Glorifizierung der Jugend, die Obsession mit jugendlicher Schönheit und die Eitelkeit, die Beautyfilter zur neuen Realität werden lässt. Sie sind allgegenwärtig und der Prozess des Alterns schlichtweg Randnotiz. Der Verfall und die Vergänglichkeit: abgeschoben in die Unsichtbarkeit, am liebsten vergessen. Die Angst, ein stetiger Begleiter, an sich selbst und anderen die äußerliche Veränderung zu sehen, wenn die Seele hingegen dieselbe bleibt. Nach seinem Film Verónica – Spiel mit dem Teufel, in dem der spanische Regisseur Paco Plaza mit einem Ouija-Brett und einer Sonnenfinsternis den paranormalen Horror heraufbeschwört, ist es in La Abuela – Sie wartet auf dich die Besessenheit mit der Jugend und der furchterregende Terror des Alterns.
Paco Plaza, der unter anderem auch für die Found-Footage Reihe [REC] verantwortlich ist, hat in seiner bisher Filmografie schon mehrfach sein Gespür für eine klaustrophobische, düstere und gänsehauttreibende Atmosphäre unter Beweis gestellt. Ähnlich wie in Verónica entwickelt das begrenzte Set, hier nun das Apartment der Oma, einen ganz eigenen Charakter und atmet dabei die Beklemmung, das Gefühl von Gefangenschaft und Gefahr buchstäblich aus. Wie in einem alten Geisterhaus scheint die alte Dame, die oft nicht viel mehr als ein weißes Schlafgewand trägt, durch die Korridore zu gleiten, lugt immer wieder aus den etlichen dunklen Ecken hervor oder verschwindet hinter Türen, die wie von selbst zufallen.
Dazu Kameraeinstellungen, die mit der Fantasie und der Erwartungshaltung auf den nächsten Schreckmoment spielen und Musik, die sich aus dem Hintergrund anschleicht und sich langsam bedrohlich aufbäumt. Vieles von dem, was der Regisseur in seine sorgfältig komponierten düsteren Bilder verpackt, wo einzelne Lichter in Rot oder Orange oft lediglich nur noch die Silhouetten erleuchten, erscheint zunächst einmal nicht bahnbrechend neu für einen Horrorfilm. Zumal der Regisseur die Erklärung für die übernatürlichen Begebenheiten nicht lang verbirgt und bereits in den ersten Minuten die Karten auf den Tisch legt. Trotz der unausweichlichen Vorhersehbarkeit entwickelt La Abuela im Verlauf der Geschichte einen erstaunlichen Sog und unfassbar nervenaufreibende Spannung.
Konfrontation mit der Vergänglichkeit
Neben der exzellenten Kameraarbeit, die in Spiegelbildern oft nackte Angst, Unbehagen und Unsicherheit einfängt, sind es vor allem die beiden Schauspielerinnen, die dafür sorgen, dass die perfiden psychologischen Spielchen ihre Wirkung entfalten können. Die über 80-jährige Schauspielerin Vera Valdez, die in den 60er-Jahren selbst einmal Model für Chanel war, spielt die alte Frau mal gebrechlich, fast schemenhaft und abwesend, mal blitzt die einstige Stärke und Eleganz durch, die sich sonst lediglich in dem riesigen dominierenden Porträt als Mahnmal der Vergangenheit wiederfindet. Der Kampf von Susana hingegen mit dem zerfallenden Körper der Oma, der nur noch gelegentlich ein Bewusstsein zu beherbergen scheint, den trügerischen Kindheitserinnerungen und den plötzlichen Albträumen, die scheinbar reale Gestalt annehmen, wird zur wahrhaften Belastungsprobe, die Almudena Amor mit spürbarer Fassungslosigkeit und Zerrissenheit darstellt.
Die anfängliche bedingungslose Fürsorge und das familiäre Pflichtbewusstsein weichen zusehends einem Terror, der die junge Frau und das Publikum fest im Griff hat und aus dem es kein Entkommen mehr gibt. Eine beeindruckende Konfrontation mit der Vergänglichkeit und wie wir dieser an uns selbst und anderen mit Angst begegnen. Ein Film, der die Obsession eines perfekten jugendlichen Körpers gekonnt aufschlüsselt und den wirklichen Horror, die tatsächliche Gefahr dahinter versucht herauszuarbeiten.
OT: „La Abuela“
Land: Spanien, Frankreich, Belgien
Jahr: 2021
Regie: Paco Plaza
Drehbuch: Carlos Vermut
Musik: Fatima Al Qadiri
Kamera: Daniel Fernández Abelló
Besetzung: Almudena Amor, Vera Valdez, Karina Kolokolchykova, Marina Gutiérrez, Berta Sánchez
Sitges 2021
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