Anfang des 20. Jahrhundert irgendwo in den Regenwäldern der Dominikanischen Republik: Als Liborio (Vicente Santos) außerhalb seines Dorfes unterwegs ist, wird er von einem Sturm überrascht und muss Schutz in einer Höhle suchen. Nachdem er mehrere Tage verschollen war, taucht er genauso plötzlich wieder vor seinem Dorf auf, wie er verschwunden war – mit dem Geschenk der Erleuchtung. Etwas war ihm begegnet, hatte ihm die Gabe gegeben, Menschen zu heilen und spirituell zu unterstützen. Der neu erweckte Prophet zieht sich mit seiner schnell wachsenden Anhängerschaft in die Berge zurück, er will ihnen ein friedliches Leben mit der Natur ermöglichen. Doch das Paradies ist nicht von langer Dauer – die US-Marines intervenieren, um die chaotischen Zustände auf der Insel zu befrieden. Liborio muss sich entscheiden: Wird er für sein Land kämpfen oder um des Friedens Willen eine neue, gegebene Ordnung akzeptieren?
Eine historische Erzählerbasis
Der Film basiert auf dem Leben des Heilers „Papá Liborio“, gebürtig Olivorio Mateo Ledesa, der als messianisches Führer zur eine Art Legende und Figur der Revolution in der Dominikanischen Republik in die Geschichte einging. Der Filmemacher Nino Martínez Sosa verarbeitete diese an Wundern und Heldenhaftigkeit reiche Legende in diesem interessanten 90-Minüter. Liborio wirkt wie eine Mischung aus stillem, dokumentarischem Porträt mit fantastischen Elementen und einer episodenbasierten Story aus einer allwissenden dritten Erzählperspektive. Zuerst folgt man Papá Liborio höchstselbst, als er in einem Hurricane verloren geht und sich selbst als Propheten wiederfinden kann. Man begleitet ihn noch weiter bis nach seiner Rückkehr, beobachtet wie er den Menschen Hoffnung gibt, sie und ihre Familien von Krankheit und sogar Tod heilen kann. Später dann wechselt man als stiller Begleiter zu anderen Charakteren und erhält so einen vielschichtigen Einblick in diese eigens geschaffene Welt fernab einer Zivilisation.
Lange Stille
Was diesen Film so dokumentarisch wirken lässt, ist seine ungekünstelte Ästhetik, die unverblümt ein sehr detailreiches Leben dieser fremden Welt schildert. Von Holzsammeln und Hacken mit Macheten über das Häuten von Tieren bis hin zum Ernähren der Bewohner aus einem großen Kochtopf ist man Teil einer ganz realen Gemeinschaft. Auch das Fehlen jeglicher Filmmusik, die langen, leeren Einstellungen geben ein langsames Tempo vor, das sich konsequent durch den Film zieht. Das hat selbstverständlich auch seine Daseinsberechtigung, die Reduzierung der wahrgenommenen Reize kann intensivierend und bereichernd sein. Doch gerade ein Werk über einen Okkultisten, eine nahezu magische Legende, hätte von einem klassischeren, geheimnisvollen Filmscore profitieren können. Man fühlt sich dennoch nicht gänzlich verloren ohne eine führende Musik, denn die Einheimischen und Anhänger Liborios veranstalten immer wieder traditionelle Perkussionsmusik mit lobesliedähnlichem Gesang – diese tritt als eine Art Verzauberung seiner Anhänger auf und begleitet seine Reden und Prophezeiungen. Auch zu abendlichen Festivitäten unterhält diese die Gemeinschaft, allgegenwärtig ist die preisende Vergötterung für ihren „Meister“.
„Evil Be Gone“
Was Liborio will, ist nie wirklich zugänglich für uns, dennoch schwingt eine gewisse Freiheitsliebe in seinen Reden mit. Das Böse soll schwinden, das Gute siegen. Ein freies Land? Eine regierungsfreie Existenz im Einklang mit der Natur und den spirituellen Kräften derselben? Gerade diese Fragen scheinen Antwort zu bekommen, als man durch einen erzählerischen Perspektivwechsel zu den einfallenden US-Marines findet. Mehrere Jahre sind nun vergangen, in denen Liborio sein Volk immer wieder vor einer drohenden Gefahr gewarnt hatte und heute scheint dieser Tag gekommen zu sein. Die US-Amerikaner wollen nach eigener Aussage nur reden, den Frieden bringen, westliche, weiße Ordnung herstellen. Sie begegnen auf ihren Expeditionen ins Inland kaum aggressiven Guerilla-Einheiten, eher friedliebenden Bewohnern, die herzlich wenig mit dem zuvor herrschenden Diktator zu tun hatten und auch mit dem auf seine Ermordung folgenden politischen Chaos und Anarchie kaum Berührungspunkte hatten. Doch alles, was die USA berührt wird historisch bekanntermaßen giftiges Gold und so wird der ungewollte, militärische Frieden weitergetragen bis vor Liborios Türschwelle.
Bedeutsame Dunkelheit
Ein erwähnenswerter Aspekt dieses Filmes ist seine Affinität zu Feuer und dem Kreuzzeichen. Aus simplen, von Liboris Stamm gesetzten Holzkonstruktionen prangern sie die einfallenden Christen an, ist das Kreuz doch so passend als historisch zweideutiges Symbol für Krieg wie auch Frieden. Die dunklen Nächte hüllen sich in warm leuchtendes, feuriges Licht, voller Leidenschaft züngeln die Flammen gegen das Böse und die Angst. Die am Tage fehlende Bildästhetik wird durch die bedeutsam inszenierte Dunkelheit ausgeglichen.
OT: „Liborio“
Land: Dominikanische Republik, Puerto Rico, Katar
Jahr: 2021
Regie: Nino Martínez Sosa
Drehbuch: Pablo Arellano, Nino Martínez Sosa
Kamera: Óscar Durán
Besetzung: Vicente Santos, Karina Valdez, Ramón Emilio Candelario, Fidia Peralta, Fausto Rojas, Jeffrey Holsman
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