Im professionellen Wrestling gehört neben einem guten Training sowie einer hohen Athletik des Sportlers oder der Sportlerin besonders im Ring ein gewisses Maß an Charisma und an Schauspiel. Ein Blick auf eine Übertragung der WWE, der größten und bekanntesten Wrestlingliga auf der Welt, ist ein sogenanntes „Gimmick“ ohne Frage ein Teil eines erfolgreichen Wrestlers, egal, ob Mann oder Frau. Neben den in der Einleitung genannten Eigenschaften kann ein gelungenes „Gimmick“ über weit mehr entscheiden, sicherte es beispielsweise Hulk Hogan, Steve Austin oder Dwayne Johnson eine Karriere, die längst die Begrenzungen des Ringes verlassen hat und bisweilen sogar Teil der Popkultur wurde.
Jenen Charakter zu verlassen, den man sich über die Jahre aufgebaut hat, ist durchaus nicht einfach, sodass es nicht immer einfach ist zu unterscheiden, ob jemand schauspielert oder authentisch ist. Im mexikanischen Wrestling wollen viele der „Luchadores“ und „Luchadoras“ gar nicht erst auf ihre Maske verzichten, was auf eine lange Tradition zurückgeht, nach der man neben dem sportlichen Ruhm auch eine Art Mythos um die Person im Ring etabliert. Ein Beispiel aus der bereits erwähnten WWE ist Rey Mysterio, der sogar bei öffentlichen Auftritten nicht auf seine Maske verzichten will, die eng mit seinem Ruhm und dem Mythos um seine Figur verbunden ist.
Im Gegensatz zum Nachbarland ist der Sport in der Welt vielleicht nicht so präsent, aber in Mexiko selbst sind die Luchadores und Luchadoras nicht nur immens bekannt, sondern haben unter Umständen einen Status, der dem eines Volkshelden gleicht. Zugleich gibt die Maske oder generell das Auftreten eines Wrestlers etwas, was gerade in Gegenden mit hoher Kriminalität und Armut äußerst selten ist, nämlich ein positives Vorbild. Eine solche Region ist sicherlich Ciudad Juárez, eine Stadt nahe der US-amerikanischen Grenze, die berüchtigt ist für ihre hohe Verbrechensrate und wegen ihrer Nähe zur besagten Grenze eine wichtige Station sowohl für Schlepper als auch die Drogenkartelle ist.
In ihrer Dokumentation Luchadoras begleiten die Regisseure Paola Calvo und Patrick Jasmin drei Wrestlerinnen, die trotz widriger sozialer und persönlicher Umstände an ihrem Traum vom Ruhm im Ring festhalten. Neben der Faszination um das Wrestlinggeschäft in Mexiko generell verhandelt die Dokumentation, welche auf dem Thessaloniki Documentary Film Festival mit gleich drei Preisen geehrt wurde, noch Themen wie Frauenrechte und Geschlechterrollen, und warum die Maske der Luchadora einen wichtigen Halt für ihre Trägerinnen darstellt.
Der Mensch unter der Maske
Baby Star, Miss Kat, Mini Sirenita und Lady Candy heißen die Hauptdarstellerinnen in der Dokumentation, welche sich zum einen auf ihr Leben außerhalb des Ringes und zum anderen auf ihre Identität als Wrestlerin konzentriert. Sie vereint darüber hinaus noch ihr Traum, sich von der teils niederschmetternden Realität in Ciudad Juárez zu emanzipieren, deren Verbrechen sich nicht zuletzt oft gegen Frauen richten, was viele von ihnen am eigenen Leib erfahren haben. Luchadores eröffnet gar mit einer Geschichte von Frauen, die auf einer Busfahrt von einer Bande Krimineller entführt wurden und in der Wüste teils brutal hingerichtet wurden – eine Angst, die viele der Frauen nicht nur immer begleitet, sondern auch mit Wut erfüllt, was sich in vielen Protesten entlädt, welche Calvo und Jasmin ebenfalls zeigen. Die vier Protagonistinnen sind Teil dieser Bewegung, identifizieren sie sich doch mit den Gefühlen dieser Frauen, durch ihre Biografie sowie ihren Traum, den sie sich, trotz aller Begleitumstände, nicht nehmen lassen wollen.
Interessant und durchaus sehr vielsagend ist die Dimension, mit der sich die vier Frauen mit ihren Wrestling-Persönlichkeiten identifizieren. Baby Star nimmt ihre Maske erst gar nicht ab und sieht es als große Schande an, überhaupt diese abzulegen oder diese im Ring abgerissen zu bekommen. Auch Lady Candy geht in ihrer Persönlichkeit im Ring auf, findet dort eine Form der Bestätigung, die sie aus ihrem bisherigen Umfeld, dem Mann, der sie in Richtung USA verlassen hat und den US-Behörden, deren Bürokratie sie von ihren Kindern sowie der Hoffnung auf einen Pass trennt, nicht kannte. Der Triumph im Ring und die damit verbundenen Kämpfe werden zu Siegen, die weit über den Ring hinaus gelten, und diese Frauen mit einer Aura umgeben, wie sie die großen Luchadores und Luchadoras umgab, eine erfüllt von Ehre und Respekt sowie einer Furchtlosigkeit, welche auf die Frauenbewegung an sich abfärbt.
OT: „Luchadoras“
Land: Mexiko, Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Paola Calva, Patrick Jasmin
Drehbuch: Paola Calvo, Patrick Jasmin, Phillip Kaminiak
Musik: Lonski & Jasim
Kamera: Patrick Jasmin
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