Rabiye Kurnaz gegen George W Bush
Foto: Luna Zscharnt, Copyright: Pandora Film

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

Rabiye Kurnaz gegen George W Bush
„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ // Deutschland-Start: 28. April 2022 (Kino)

Inhalt / Kritik

Rabiye (Meltem Kaptan) weiß nichts von der großen Politik und will auch gar nichts davon wissen. George W. Bush, wer ist das? Guantanamo? Nie gehört. Die Bremer Hausfrau mit türkischen Wurzeln hat allerdings ein supergutes Gespür für Menschen. Sie merkt sehr schnell, wem sie trauen kann und wem nicht. Dem Rechtsanwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) traut sie, auch wenn sie oft keine Ahnung hat, wovon der merkwürdige Mann redet, der bei Wind und Wetter Fahrrad fährt. Docke soll ihren Sohn Murat nach Hause holen, der mit 19 Jahren von zu Hause abhaute und seines radikal-islamischen Glaubens wegen nach Pakistan reiste. Egal, wie kompliziert die Rechtslage auch sein mag, für Rabiye ist etwas Einfaches sonnenklar: Ein Sohn wartet darauf, dass seine Mutter ihn abholt. Und Bernhard Docke, der leicht introvertierte Intellektuelle wird ihr dabei helfen.

So weit, so wahr in Andreas Dresens Verfilmung des Falls Murat Kurnaz, der in den Nullerjahren für erhebliche Schlagzeilen sorgte. Kurnaz wurde 2001 nach den Anschlägen auf das World Trade Center fälschlicherweise für einen Al Kaida-Terroristen gehalten. Er saß fünf Jahre unschuldig in Guantanamo und wurde gefoltert.

Gegenwehr zwecklos

Als der Rechtsanwalt in sein Büro kommt, ist die energiegeladene Deutschtürkin mit dem blondierten Lockenkopf und dem Doppelkinn schon da. „Wir kennen uns“, übertölpelt sie den genervten Menschenrechtspezialisten, der kaum etwas mehr hasst als unangemeldeten Besuch. Keine Ahnung, die Frau hat er noch nie gesehen. „Vom Telefon“, behauptet sie. Auch das lässt keinen Groschen fallen. „Vom Telefonbuch“, räumt die Frau schließlich ein. Da stand sein Name drin und daher kennt sie ihn. Gegenwehr scheint zwecklos angesichts der dampfwalzenartigen Übermacht, mit der sich diese Frau ihren Weg bahnt.

Aber eines ist klar: Ein Taschentuchdrama wird dies nicht, zumindest nicht im ersten Filmdrittel, das ganz von zwei humoristischen Traditionen bestimmt wird, der Charakterkomödie und dem Kulturschock. Rabiye Kurnaz ist bei Dresen und seiner Drehbuchautorin Laila Stieler eine pralle, lebenslustige Vollblutmama – eine unberechenbare Frau voller Widersprüche, scheinbar naiv und trotzdem lebensklug. Diese Überdosis Übergriffigkeit trifft auf einen zurückhaltenden, nachdenklichen Vernunftmenschen, den am Fall Kurnaz vor allem eines zu interessieren scheint: „Hier geht es um die DNA des Rechtsstaats“.

Das Komödienmotiv irritiert bei einem Stoff, den Regisseur Stefan Schaller bereits 2013 in Fünf Jahre Leben zu einem erschütternden Gefängnisdrama verarbeitet hatte. Um Andreas Dresens Motiv für den humoristischen Einstieg zu verstehen, ist es sinnvoll zu wissen, dass der Filmemacher bereits seit 2008 Gespräche mit Murat Kurnaz führte und ebenfalls eine Geschichte aus der Sicht des Inhaftierten plante. Aber die Arbeit am Drehbuch scheiterte, weil Dresen mit der trostlosen Ausweglosigkeit der Lage in Guantanamo nicht klarkam. Erst der Perspektivwechsel zum Schicksal der Mutter brachte das Projekt wieder in Gang.

Überwältigender Lebensmut

Der Zuschauer, der über die hart am Klischee kratzenden Witze (die füllige Hausfrau im Fitnessstudio neben einer durchtrainierten Sportlerin) hinwegsieht, wird schließlich belohnt. Wenn der Film die wirklich schwierigen Klippen des Falls ansteuert, versteht man, worauf die seichteren Gewässer vorbereiten sollten. Nur wer die Frau in ihrem ganzen Lebensmut und Überschwang kennengelernt hat, begreift in voller Tiefe, was eine aus einfachen Verhältnissen kommende Mutter durchmacht, wenn aus Tag 92 oder Tag 315 seit Murats Verschwinden eine vierstellige Zahl wird.

Dann ändern sich auch Ton und Machart des Filmes. Neben den Alltagsrealismus treten poetischere Momente. Sie gipfeln in dem emotionalen Höhepunkt, wenn Rabiye in einer amerikanischen Kirche, in der sie eigentlich gar nichts sagen wollte, nach ein paar floskelhaften Grußworten noch einmal ans Mikrophon tritt. Nun spricht sie wirklich von sich, in unvergleichlicher Klarheit und tiefer Menschlichkeit. Die Szene geht derart unter die Haut, dass nicht nur die Zuhörer auf den Kirchenbänken den Atem anhalten, sondern auch das Publikum im Kinosaal. Je länger der Film dauert, desto klarer wird auch, dass er bei aller Weltläufigkeit ein Kammerspiel im Herzen trägt. Rabiye und ihr Anwalt Bernhard entwickeln ein Miteinander, das selten ist zwischen derart verschiedenen Gemütern. Sie nähern sich an, akzeptieren die Macken des anderen und verstehen einander irgendwann blind. Man könnte es eine Art von Liebe nennen. Aber das wäre dann auch wieder etwas zu kitschig.

Credits

OT: „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“
Land: Deutschland, Frankreich
Jahr: 2022
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Laila Stieler
Musik: Johannes Repka, Cenk Erdogan
Kamera: Andreas Höfer
Besetzung: Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner, Nazmi Kirik, Sevda Polat, Ali-Emre Sahin

Bilder

Trailer

Interview

Wer mehr zu Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush erfahren möchte: Wir durften uns zum Kinostart mit Regisseur Andreas Dresen im Interview über die Arbeit an dem Drama und Themen wie Gerechtigkeit unterhalten.

Andreas Dresen [Interview]

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Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush
Fazit
Andreas Dresen erzählt den Fall des unschuldig in Guantanamo inhaftierten Murat Kurnaz aus der Sicht seiner Mutter Rabiye. Gemeinsam mit dem Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke bildet sie ein unwiderstehliches Paar, das dem eigentlich tristen Stoff eine gewaltige Dosis Optimismus mitgibt. Zu Recht bekam Rabiye-Darstellerin Meltem Kaptan, im Hauptberuf Comedienne, bei der Berlinale einen Silbernen Bären, genau wie Drehbuchautorin Laila Stieler, die für die umwerfenden Dialoge verantwortlich zeichnet.
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