Die Aufarbeitung des Holocausts und der Zeit des Dritten Reiches hat sich nicht nur der Dokumentation verschrieben, denn über den zahlreichen Museen, Ausstellungen und historischen Denkstätten steht in erster Linie der Gedanke der, dass man gefeit ist gegen die Symbolik und das Narrativ einer im Kern menschenfeindlichen Ideologie. Gerade in der heutigen Zeit, in der wir das Wiedererwachen populistischer Parteien sowie alter Mythen, wie der des russischen Reiches, wie es sich ein Wladimir Putin erträumt, erscheint der Gedanke an ein sinnstiftendes Narrativ, wie es einst unter anderem die Faschisten anboten, durchaus ein nicht allzu ferner Gedanke in den Köpfen vieler. Vielleicht haben wir das Ende der großen Erzählungen schon längst erreicht, wie es der Autor Jean-François Lyotard in seinem Werk Das postmoderne Wissen in den 1970er Jahren postulierte, gefolgt von einer Sehnsucht nach eben jenen Narrativen sowie einer Zeit der Unsicherheit und Angst. Jene Mythen und Sagen nutzten Adolf Hitler, Heinrich Himmler und ihre Vasallen einst, um eben nicht nur eine maximale Wirkung ihrer Worte zu inszenieren, sondern sich eben als jene Retter aufzuspielen, die letztlich jenes Heil über die Welt bringen können, was weitaus mehr meint als die Schaffung von Arbeitsplätzen und Kulturveranstaltungen. Mit Blick auf die Tagespolitik ergibt es durchaus Sinn, einen Blick auf diese unterschwelligen Konzepte zu legen, welchen Stellenwert sie auch außerhalb der deutschen Geschichte genießen und warum deren Kenntnis ein wirkliches Erkennen von Manipulation erst ermöglicht.
Eine solche Idee trieb auch Dokumentarfilmer Rüdiger Sünner (Zeige deine Wunde – Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys) an, als er sich an die Arbeit für seinen Film Schwarze Sonne in den 1990ern machte. Nach der Lektüre des Sachbuches The Occult Roots of Nazism des britischen Historikers Nicholas Goodrick-Clarke vertiefte sich Sünner in die Überlegungen und Thesen, die Clarke nutzt, vor allem aber in die Frage, warum eine solche Art der Aufarbeitung in seiner Heimat keine Rolle spiele und aktiv gemieden werde. Durch seine Dokumentation, die den Untertitel „Mythologische Hintergründe des Nationalsozialismus“ wagt sich Sünner an die Ursprünge jener Ideologie der Nazis, zeigt, wie die reiche Sagen- und Mythenwelt nicht nur der Germanen, sondern auch die der Kelten und anderer Kulturen, eine Rolle bei der Entwicklung dieser Weltsicht und ihrer Symbolik spielte, doch auch wie sie pervertiert wurde und bis heute letztlich durch die Verbindung mit dem Dritten Reich belegt ist, was schließlich die tiefere Beschäftigung mit diesen verhindert. Dabei greift Sünner nicht nur auf eine Vielzahl historischer Dokumente und Aufnahmen zurück, er interviewt auch Wissenschaftler, die sich mit Themen wie Runenforschung befassen und wichtige Hinweise darauf geben können, warum beispielsweise das Hakenkreuz letzten Endes zum Symbol der NSDAP wurde.
Die Suche nach den esoterischen und spirituellen Wurzeln
Das Symbol der schwarzen Sonne dient seit vielen Jahren der rechten Szene neben dem Hakenkreuz und der SS-Rune als wichtiges Symbol, welches zurückzuführen ist auf den Obergruppenführersaal in der Wewelsburg im Kreis Paderborn, die den Oberen der NSDAP nicht nur als wichtiger Tagungsort, sondern ebenso als Ort für Rituale und andere spirituelle Feierlichkeiten diente. Ausgehend von derlei Symbolen zeigt Sünners Film auf, was viele gar nicht erst wissen, nämlich nicht nur, dass diese Zeichen auf den alemannischen Kulturkreis zurückgehen, sondern ebenso zeigen, wie derlei Quellen von den Nationalsozialisten wie auch anderen zweifelhaften Autoren und Autorinnen korrumpiert worden sind und für die eigenen Zwecke ausgenutzt wurden. Sünner zeigt auf, inwiefern eine Ideologie derlei Symbole nicht nur geschaffen hat, denn sie wurden in der Folge vereinnahmt, was eine Forschung und eine andere Beschäftigung mit ihnen auf dem akademischen Feld im deutschen Sprachraum fast unmöglich macht.
Neben den facettenreichen Ursachen für Spiritualität, die Berufung auf Mythen wie Atlantis oder die Stadt Thule bis hin zu der Geschichte germanischer Ritterorden, spielt jedoch auch die Gegenwart des Jahres 1997 eine Rolle bei Sünner. Genauso vielsagend wie die umfangreiche Rekapitulation von Wissen, Archivaufnahmen und Interviews mit Runenforschern, belegen die Gespräche mit jungen Leuten, wie wenig in der Öffentlichkeit bekannt ist darüber, welchen Ursprung bestimmte Symbole haben, welche Macht sie haben und welche Gefahr von ihnen ausgeht, wenn das Wissen um sie nach wie vor nicht gegeben ist. Wenn die Aufklärer bessere und wirkungsvollere Symbole gehabt hätten, heißt es an einer Stelle, hätten die Nazis wohl kaum jene Macht bekommen, die letztlich hatten. Mit Blick auf die heutige Zeit zeigt sich nicht nur, wie wichtig eine solche Auseinandersetzung mit Symbolen und der Wirkungskraft nach wie vor ist, sondern wie anfällig viele Menschen noch für sie sind und die Erzählungen, die mit ihnen in Verbindung stehen.
OT: „Schwarze Sonne“
Land: Deutschland
Jahr: 1997
Regie: Rüdiger Sünner
Drehbuch: Peter Sitz, Hanns Zischler
Musik: Ian Melrose, Manolis Vlitakis
Kamera: Michael Bertl
https://www.youtube.com/watch?v=4_lGjq1cgVY
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