
Als Christoph Heider (Oliver Reinhard) von der Polizei aufgegriffen wird, staunt diese nicht schlecht. Schließlich befindet sich in seinem Auto die Leiche einer Frau. Genauer ist es die Leiche seiner eigenen Ex-Frau, die er aus der Friedhofskapelle gestohlen hat, um sie im Ausland obduzieren zu lassen. Seiner Theorie, dass ihr aktueller Lebensgefährte Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) sie ermordet hat, wollte zuvor niemand glauben, weshalb er sich zu dieser Verzweiflungstat hinreißen ließ. Als Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) die Ermittlungen aufnehmen, stoßen sie tatsächlich auf einige Ungereimtheiten. Warum will der Staatsanwalt partout jegliche Untersuchung unterbinden? Die Antwort führt die beiden weit zurück in die Vergangenheit …
Erinnerung an den Deutschen Herbst
Mehr als 40 Jahre liegt es mittlerweile zurück, dass die RAF – kurz für Die Rote Armee Fraktion – in Deutschland für Angst und Schrecken sorgte. Doch noch immer fasziniert die rein deutsche Terrororganisation Filmschaffende, wird ihre Geschichte in der einen oder anderen Form noch erzählt. So auch bei Der rote Schatten, der 1031. Film der ARD-Krimireihe Tatort. Zwar spielt die Geschichte in der Gegenwart und beginnt mit einem rätselhaften Mord, der offiziellen Bestimmungen zufolge überhaupt kein Mord ist. Doch je mehr die beiden Stuttgarter Kommissare Lannert und Bootz in der Sache ermitteln, umso mehr wird klar, dass die Ursprünge der Geschichte im sogenannten Deutschen Herbst liegen. Jener Zeit im Jahr 1977 also, als die RAF reihenweise Anschläge und Morde verübte und die Bundesrepublik in eine tiefe Krise schlitterte.
Der immer wieder für historische Stoffe zu begeisternde Regisseur und Co-Autor Dominik Graf (Die Sieger) nutzt diese Phase in Tatort: Der rote Schatten, um nicht nur über den Terrorismus als solchen zu sprechen. Vielmehr interessiert ihn die Verantwortung der Behörden, die in diese Geschichte verstrickt war und dabei gern einiges unter Verschluss hält. Vieles aus der Zeit ist bis heute nicht wirklich geklärt, etwa die Hintergründe der sogenannten Todesnacht von Stammheim am 18. Oktober 1977, als einige führende RAF-Terroristen und -Terroristinnen ums Lebens kamen – mitten in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart. Und wo Erklärungen und Beweise fehlen, schlägt die Stunde der Fantasie und der Verschwörungstheorien. Wo Leerstellen existieren oder zumindest vermutet werden, findet sich jemand, der diese mit eigenen Geschichten zu füllen weiß.
Kunstvoll überfrachtet
Wobei Graf sich zumindest sehr darum bemüht, diese Theorien authentisch erscheinen zu lassen. Zu diesem Zweck setzt er auf eine Kombination gegenwärtiger Szenen und realer historischer Aufnahmen, die um fingierte historische Aufnahmen ergänzt werden. Das gibt Tatort: Der rote Schatten zuweilen eine dokumentarische Anmutung. Um eine dröge Geschichtsstunde handelt es sich dabei jedoch nicht, dafür geschieht hier dann doch zu viel. Tatsächlich hält sich der Filmemacher sogar ziemlich zurück, wenn es um die Vermittlung von Wissen und Fakten geht. Wer nicht ohnehin einigermaßen bewandert ist bei dem Thema, dürfte am Anfang erst einmal gar nichts verstehen, wenn die relevanten Kontexte fehlen. Möglich, dass man bei dem TV-Krimi ein älteres Publikum vor Augen hatte, das sich noch selbst an die Ereignisse von damals erinnert. Ansonsten wird es schwierig.
Allgemein ist der Film etwas überfrachtet, da wird mal wieder Umständlichkeit mit Komplexität verwechselt. Sicher, so richtig glaubwürdig sind Krimis selten. Aber hier ist der Wunsch zu offensichtlich, die Welt und den deutschen Staat als unübersichtlichen Ort voller Lügen, Geheimnisse und Intrigen aufzuzeigen und damit ein Publikum zu bedienen, das sich an Verschwörungstheorien erfreut. Interessanter ist da schon, wie Tatort: Der rote Schatten aufzeigt, dass die Vergangenheit nie ganz vergangen ist und – dem Titel entsprechend – lange Schatten wirft. Als Diskussionsgrundlage, inwiefern sich Deutschland mit der eigenen Geschichte auseinandergesetzt hat, funktioniert das ganz gut. Schauspielerisch ist das auch in Ordnung, etwa Hannes Jaenicke (Der Amsterdam-Krimi: Der Tote aus dem Eis) als heruntergekommener vielleicht-vielleicht-auch-nicht-Terrorist.
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