Es gibt Menschen, die sind scheinbar vom Pech verfolgt. So wie die Familie von Andriy Suleyman, dem Protagonisten des Dokumentarfilms This Rain Will Never Stop. Dabei heißt Pech nicht, irgendwelche Ärgerlichkeiten im Alltag bestreiten zu müssen. Da geht es nicht um eine rote Welle im Straßenverkehr oder dass mal wieder irgendwas mit dem Auto nicht in Ordnung ist. Vielmehr ist es der Krieg, der sich an ihre Fersen geheftet hat. Andriy wurde in Syrien geboren, wo er bis zu seinem neunten Lebensjahr lebte. Der Bürgerkrieg ließ ihn und die anderen in die Ukraine fliehen, das Land seiner Mutter. Doch es dauerte nicht lange, bis auch dort Gewalt und Tod einzogen, als Russland im Jahr 2014 einfiel. Dieses Mal gibt es aber keine Alternative, keinen Plan B. Zumindest nicht sofort.
Keine gewöhnliche Kriegsdoku
Der Verdacht liegt da natürlich nahe, dass es sich hierbei um einen dieser Filme handelt, die dem Publikum vor Augen führen wollen, was es heißt, in einem solchen Kriegsgebiet zu leben. Die preisgekrönte Doku Für Sama fällt einem an der Stelle beispielsweise ein, in der eine werdende, später junge Mutter den Alltag im Ausnahmezustand festhält. Während dort aber zu jeder Zeit klar ist, was Inhalt und Zweck sind – selbst wenn sich das im Laufe der Zeit wandelt –, da ist This Rain Will Never Stop anders. Zunächst einmal spielt der Film nicht durchweg in der Ukraine. Vielmehr folgen wir der Familie, wie sie mal hier ist, mal dort. Die unterschiedlichsten Leute in mehreren Länder stehen auf dem Reiseprogramm von Andriy, wobei die Begegnungen teils gesucht, teils zufällig sind.
Das hört sich sehr rastlos an. Tatsächlich hat Regisseurin Alina Gorlova aber einen sehr ruhigen Film gedreht. Und das wortwörtlich: Da sind immer wieder längere Passagen, in denen niemand etwas sagt. This Rain Will Never Stop lässt lieber Bilder sprechen. Es sind sehr schöne Bilder, geradezu unwirklich und irritierend. Passend zum poetischen Titel. Die kunstvollen Kompositionen, in stilvollem Weiß gehalten, erinnern an die Werke des ukrainischen Regisseurs Valentyn Vasyanovych, der in seinen Filmen Atlantis und Reflection die grausamen Vorgänge in seinem vom Krieg heimgesuchten Heimatland mit betörenden Aufnahmen kombinierte. Realität und Traum wechseln sich da ab, Nachdenklichkeit und pure Gewalt.
Wechsel von Momentaufnahmen
Das ist bei This Rain Will Never Stop ganz ähnlich. Auch bei ihr fließen Inhalte und Stimmungen, gehen ineinander über, sodass man zwischendurch nicht mehr weiß, was wann wie wo warum ist. Tatsächlich ist das Werk von Gorlova dadurch nicht immer ganz einfach, wenn die Kontexte vorenthält, sich in Momentaufnahmen verliebt, die sich unvermittelt vor den Augen der Zuschauer und Zuschauerinnen offenbaren. Die müssen nicht zwangsläufig relevant sein, zumindest in dem Sinn, dass sie mehr über die Familie verraten oder den Krieg. Und doch fügen sich die vielen Mosaike, die das Team und die Menschen vor der Kamera unterwegs aufsammeln zu einem harmonischen Bild zusammen, das man vielleicht nicht in allein Einzelheiten versteht, das dabei aber Eindruck hinterlässt.
Es gibt deshalb auch nicht das eine Thema, welches der Film behandelt. Stattdessen packt der Dokumentarfilm, der auf einer ganzen Reihe von Festivals zu sehen war, mehrere Punkte aus, die sich um die Themenkomplexe Heimat und Identität drehen, aber auch Krieg und Frieden. Andriy wirkt verloren in dieser Welt und ist doch stellvertretend für diese. This Rain Will Never Stop wird zu einer Reflexion über das menschliche Dasein, sowohl während des Alltags wie auch in Ausnahmesituationen. So schauen wir einer Hochzeit zu, einer Gay Parade, Momente der Freude und des Glücks, bevor die nächste Flut ansteht. Das ist einerseits erschreckend, gleichzeitig tröstlich. Das Gefühl des Unvermeidbaren geht mit der Gewissheit einher, dass es im Anschluss immer irgendwie weitergeht. Wenn nicht hier dann woanders.
OT: „This Rain Will Never Stop“
Land: Ukraine, Lettland, Deutschland, Katar
Jahr: 2020
Regie: Alina Gorlova
Drehbuch: Alina Gorlova, Maksym Nakonechnyi
Musik: Goran Gora, Serge Synthkey
Kamera: Vyacheslav Tsvetkov
goEast 2021
DOK.fest München 2021
Fünf Seen Filmfestival 2021
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