In seinem neuesten Werk Der Schneeleopard hält der französische Dokumentarfilmer Vincent Munier zusammen mit seiner Co-Regisseurin Marie Amiguet seine Reise in das naturbelassene Tibet fest. Sein Ziel: Die majestätische Großkatze finden, der etwas Mystisches nachgesagt wird. Begleitet wird er dabei von seinem langjährigen Reisegefährten Sylvain Tesson. Passend zum Kinostart am 10. März 2022 hatten wir die Möglichkeit mit dem leidenschaftlichen Liebhaber der Natur ein Interview zu führen.
Nach all den Nächten in der wilden Natur, sind Sie häufiger durch Tierlaute oder die Kälte wach geworden?
Ich bin auf dem Land, Mitten in der Natur, groß geworden. Deswegen reißen mich Tierlaute nicht wirklich aus dem Schlaf. Bei meinen abenteuerlichen Reisen ist das ein wenig anders, denn hier werden unglaublich die Sinne geschärft und man ist selbst im Schlaf in gewisser Hinsicht aufmerksam, auch wenn man gar nicht wach ist. Am Ende der Dokumentation, als wir den Kadaver gefunden haben und uns in der Höhle versteckten, da habe ich dies am stärksten gemerkt. Man weiß ja, dass da draußen der Schneeleopard unterwegs ist und so achtet man auf jedes kleine Geräusch. In Hinblick auf die Kälte ging es aber, da man es sich mit Schlafsack und Wärmepads halbwegs gemütlich machen kann. Grundsätzlich, wenn man so wie ich unterwegs ist, dann passt man sich an und das Tier im Menschen wächst mit jedem Tag. Von daher sind Geräusche und das Wetter irgendwann nicht mehr so wichtig. Die Nächte bringen aber schon etwas Großartiges mit sich, das merkt man auch wenn man träumt. Ich habe oft vom Schneeleoparden geträumt und dass er sich uns am Ende der Reise offenbarte, ist unglaublich. So etwas kann man kaum in Worte fassen.
Neben der Kamera und den Akkus, aus was bestand Ihr Gepäck?
Wir machen momentan ein Making-Of, da erhält man einen kleinen Einblick, wenn es um das Gepäck geht. Es ist aber nur das Nötigste, was man zum Überleben braucht: Trockenfutter, Wasser, Schlafsack, Gaskocher, Batterien. Auch wenn mir Musik und Bücher sehr viel bedeuten, darauf muss man aber alles verzichten. Aber das ist toll, mit so wenig unterwegs zu sein.
Wie viele Pausen mussten Sie einlegen und wie lange dauerten die Dreharbeiten an?
Sieben Monate waren wir in Tibet unterwegs. Die Pausen wird der Zuschauer zwar nicht mitbekommen aber wir mussten schon einige einlegen.
Bei all der Kälte und den generellen Hürden, worin bestanden die größten Schwierigkeiten beim Produzieren?
Tatsächlich die Polizei in Tibet. Da gab es teilweise wunderschöne Orte, die ich festhalten wollte, aber da gab es dann Probleme mit der chinesischen Polizei. Und die Wasserbeschaffung war manchmal ein wenig herausfordernd.
Die Tiere, die Sie festhalten, strahlen eine pure animalische Kraft aus. Entdecken Sie das auch in sich selbst wieder?
Es kommt drauf an, wo man sich befindet. Der Kontrast zwischen dem Leben in Europa und der tibetanischen Wildnis ist schon außerordentlich groß. Ich für meine Person kann es mir ja unmöglich vorstellen in einer Großstadt zu wohnen, deswegen wohne ich auch schon sehr lange auf einer Farm, mit vielen kleinen Tieren um mich herum. Ich würde sagen die Stadtmenschen entfernen sich schon immer mehr von der Natur und dem Animalischen. Die Leute haben in der Hinsicht einfach nicht mehr viel Respekt für die Natur und die Tierwelt übrig, das erlebe ich ständig. Wenn ich aber auf meiner Farm bin oder eben in der Natur, dann fühlt man sich richtig wohl. Und: Je weiter von der Zivilisation entfernt, desto besser! Nur da kann das Tier im Menschen erwachen und es zeigt mir, dass es auch wirklich herauswill.
Und eine Nachfolge-Frage: „Mich ärgert, dass wir so gar nichts Animalisches mehr an uns haben“ heißt es an einer Stelle. Wünschten Sie manchmal, sie wären mehr Tier als Mensch, ohne Verstand?
Bei den Menschen sah das ja für viele tausende Jahre noch anders aus. Früher waren wir selbst noch Raubtiere, haben uns aber zu Destrukteuren (Zerstörern) entwickelt. Keine Limitierungen und der Drang nach immer mehr haben dafür gesorgt, dass die Welt heutzutage so aussieht, wie sie eben aussieht. Ist man aber mal in Tibet unterwegs oder in der Antarktis, wo ich mit der Kamera auch schon die Wildnis eingefangen habe, dann hat man dieses Pure und diese Harmonie vor sich. Das Schöne dabei ist dann, dass man sich selbst wiederfindet und ab einem gewissen Punkt Teil des Ganzen wird. Man wird bei so einem Abenteuer zum Beispiel auch schnell sehr leise, das merkt man in der Doku, wenn wir immer wieder flüstern. Der Mensch passt also total in diese Schablone in der Natur rein und die Wertschätzung als auch der Respekt gegenüber der Natur wird schnell geweckt. Es dauert aber meistens nicht lang, dass der Mensch für eine Destabilisierung in so einem Ökosystem sorgt. Für mich ist es daher auch sehr wichtig, selbst sehr leise zu sein und sich auch zu tarnen, um für keine Destabilisierung zu sorgen. Zu der Frage in aller Kürze: Vor dem Hintergrund des ständigen Tarnens, das heißt ständig unsichtbar sein zu wollen, ein Stück weit vielleicht, ja.
Sie haben schon Polarwölfe, Schneeeulen und viele weitere spannende Tierarten festgehalten. Was war im Vergleich zum Schneeleoparden anders? Ist es nur die Seltenheit oder gibt es darüber hinaus noch einen anderen Aspekt?
Dem Schneeleoparden wird in Gebieten des Himalaya etwas Mystisches nachgesagt. Eines möchte ich jedoch klarstellen: Es gibt ja die Sorte Filmemacher, die wollen nur eine Tierspezies festhalten und alle anderen Tiere bleiben dann auf der Strecke. So eine Herangehensweise ist aber gar nicht meine Art. Deswegen haben wir auch sehr viele andere tolle Momente eingefangen, zum Beispiel die Wölfe, Vögel und Pallaskatzen. Das sind alles ganz großartige Tierspezies. Ich betrachte den Schneeleoparden daher auch nicht als Trophäe oder so etwas. Und das dazu gesagt, es war zu keiner Zeit garantiert, dass wir je einen zu Gesicht bekommen, da das sehr scheue Tiere sind, die auch vom Aussterben bedroht sind. Man könnte also sagen, dass das Besondere mehr in der Reise liegt. Und in der Vorfreude. Was wäre das auch für ein Film geworden, wenn wir den Schneeleopard nach einem Monat gefunden hätten? Sicherlich kein guter. Die Entschleunigung, die wir erlebt haben, war also nötig und auch sehr erholsam. Direkt alle Aufnahmen parat haben, um sie zu konsumieren, wäre mit meinen Werten und meiner Herangehensweise nicht vereinbar.
Sie begegneten so vielen Tieren auf Ihrer Reise, die Sie teilweise ansahen, als kämen sie von einem anderen Planeten. Als der Leopard Sie anblickte, war sein Blick anders?
Wenn sich die Blicke kreuzen, dann sind das schon berührende Momente. Manche sehen mich ein wenig verdutzt an, könnte man sagen, ja. Aber ich denke das ist eine individuelle Interpretationssache, was möglicherweise jeder anders auslegen würde. Gerade bei so etwas wie Angst oder Ehrfurcht, ich könnte jetzt nicht sagen, welches mehr in dem Blick eines Tieres schlummert. Was ich aber merke: eine gewisse Art von Ruhe. Das geht mir immer sehr ans Herz, denn anders als die meisten Menschen leben diese Tiere wirklich im Hier und Jetzt und sind daher sehr ruhig, eben weil sie keine Gedanken zum Beispiel an die Zukunft verschwenden. Und was den Schneeleopard anbelangt, er bestimmt ja das Geschehen, gerade weil es sich um so eine anmutige und mächtige Spezies handelt. Sein Blick versetzt mich in Angst und Demut, weil er so eine unbändige Kraft ausstrahlt. Ich schäme mich in solchen Momenten dann ein wenig, wenn ich daran denke, dass die Menschheit so ein desaströses Verhalten an den Tag legt. Der Blick des Schneeleoparden hat also etwas Belehrendes und Erhabenes, so würde ich das sagen.
Auch wenn der Vergleich hinkt, ich musste in den letzten Minuten an Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger zurückdenken. Da heißt es am Ende: „Ich weinte, weil mich der Tiger verlassen hatte, ohne Abschiedsgruß, einfach so. Es hat mir das Herz gebrochen.“ Wenn man mal nicht so genau hinschaut und es auf Großkatzen reduziert, empfanden Sie dies bei dem Schneeleopard genauso?
Ich kenne den Film zwar nicht, aber mit diesem Spruch kann ich mich schon ein wenig anfreunden, ja. Ein anderer Film, der mir aber direkt in den Sinn kommt: Dersu Uzala mit dem Sibirischen Tiger, von Akira Kurosawa. Ein sehr toller Film, an den musste ich direkt wieder zurückdenken, in dem es auch so ähnlich ist. Das sind tolle Momente, weil sie einem tief im Inneren berühren.
Nach Antarktika, Tibet und vielen weiteren tollen Orten in der Wildnis, wie geht es für Sie weiter?
Ich habe noch sehr viele Träume. Für mich ist es aber immer sehr wichtig darauf zu achten, dass man die Natur nicht so einfach weg-konsumiert. Ich muss für Filme also immer die goldene Mitte finden. Einerseits möchte ich tolle Momente einfangen und diese dann mit dem Publikum teilen. Auf der anderen Seite möchte ich mir aber auch eine gewisse Distanz zur Wildnis bewahren. Der Drang nach mehr und besseren Aufnahmen sowie der Punkt Destabilisierung durch den Menschen, den ich in einer vorherigen Frage angesprochen habe, sind zum Beispiel zwei solcher Sachen, die ich großzügig umgehen will. Stattdessen Schritt für Schritt und mit aller Zeit der Welt, so möchte ich arbeiten. Dabei wird es immer um die Schönheit der Natur gehen. Und um meine unermessliche Liebe zur Wildnis. Das nächste konkrete Ziel wird sich aber auf das Waldleben fokussieren, denn hierbei handelt es sich um ein wirklich sehr diversitäres Ökosystem. Aufgrund der Vielzahl an Baum- und beispielsweise Insektenarten, die alle gleichermaßen wichtig sind, kann dieses Ökosystem erst fortbestehen.
Vielen Dank für das fantastische Gespräch!
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